„Virtuelle Untreue“ führt zu Anlastung der Schuld

Kassationsgericht: Bezahlen von Dating-Seiten beweist eheliche Untreue

Donnerstag, 25. Februar 2021 | 08:02 Uhr

Rom – Das römische Kassationsgericht, das angerufen worden war, um in einem Scheidungsfall zu entscheiden, hat ein richtungsweisendes Urteil gefällt, das noch für viele Diskussionen sorgen dürfte.

Die Richter urteilten, dass das Bezahlen von Dating-Seiten bereits die Untreue des Ehepartners beweist. Kurz zusammengefasst folgt daraus, dass dem untreuen Partner die Schuld am Aus der Ehe angelastet wird, was meist dazu führt, dass dem oder der „Schuldigen“ nicht unwesentliche finanzielle Nachteile – in den meisten Fällen handelt es sich dabei um Unterhaltszahlungen – entstehen.

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Wurde der Ehemann oder die Ehefrau nicht mit einer oder einem anderen in flagranti beim Sex ertappt, musste man sich früher mit Indizien wie Lippenstift am Hemd, verdächtigen Kassenbons oder abendlichen „verlängerten Arbeitszeiten“ begnügen. Den Gerichten fiel es daher manchmal schwer, einem der beiden trennungswilligen Ehepartner die Schuld am Ehe-Aus – die oft mit Unterhaltszahlungen verbunden ist – anzulasten. Mit dem Aufkommen neuer „digitaler Möglichkeiten“ gesellten sich zu den bisher bekannten „Indizien und Beweisen“ neue hinzu. Zu diesen gehören unter anderem verdächtige Chats in den sozialen Netzwerken und Fotos auf dem Smartphone.

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Die römischen Höchstrichter entschieden nun, dass zu diesen „Beweisen“ nun auch das Bezahlen von Dating-Seiten, die in Zeiten eingeschränkter Bewegungsfreiheit immer beliebter werden, gehört. Auch wenn ein Indiz noch lange kein Beweis ist, vermögen viele Indizien einen Richter doch davon zu überzeugen, dass es sich um einen Fall ehelicher Untreue handelt, woraus ein Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung und damit ein Trennungsgrund mit der entsprechenden Anlastung der Schuld entsteht.

Der Fall, den die Richter des Kassationsgerichtshofs zu entscheiden hatten, geht auf das Jahr 2013 zurück. Damals hatte eine Frau ihren Ehemann in ihrem eigenen Schlafzimmer mit der Nachbarin erwischt. Diesem „schwarzen Tag“ waren weitere Indizien für eheliche Untreue wie kompromittierende Fotos auf seinem Smartphone, die ihren Mann mit einer anderen Frau zeigen, verdächtige E-Mails und der Fund von zwei Zahlungsbelegen für zwei verschiedene Dating-Seiten – „Meetic“ und „senzapudore.it“ – gefolgt.

Die Nachbarin hingegen war später wegen versuchten Mordes an ihren Ehemann verhaftet worden, dieser Fall war jedoch nicht Teil des Verfahrens.

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Die Ehefrau hielt bis zur Hochzeit ihrer Tochter durch und reichte dann die Trennung ein. Obwohl laut Darstellung des Ehemannes seine Frau das gemeinsame Haus verlassen und damit ihre mit der Ehe verbundenen Pflichten missachtet hatte, lastete das Gericht von Verona in erster Instanz dem Mann die Schuld am Ende der Ehe an. Später bestätigten die Richter des Berufungsgerichts von Venedig das Urteil ihrer Kollegen von Verona.

Das Kassationsgericht, das vom Mann angerufen worden war, bestätigte wiederum das Urteil des Berufungsgerichts. Die Höchstrichter verurteilten den Mann nicht nur zur Bezahlung aller gerichtlichen Spesen, sondern auch dazu, seiner ehemaligen Frau monatlich 1.000 Euro als Unterhalt zu überweisen.

stnews/luk

Das Urteil sorgt für großes Aufsehen. Während einige Stimmen kritisieren, dass nun allein schon die Mitgliedschaft in einem Dating-Portal stigmatisierend sei, unterstreichen andere, dass das Urteil richtungsweisend sei. Beobachter hingegen meinen, dass sich das Kassationsgericht in seiner Rechtsprechung ganz unabhängig vom „physischen Beweis“ immer stärker in Richtung der „virtuellen Untreue“ bewege. Laut deren Meinung wird in der heutigen Zeit – vor allem nach dem ersten Lockdown – der Absicht, untreu zu sein, immer größeres Gewicht zugemessen.

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Rechtsexperten warnen aber davor, eine „automatische Verbindung“ zwischen ehelicher Untreue im Sinne des Artikels 143 des italienischen Zivilgesetzbuchs und Anlastung der Schuld am Ehe-Aus herzustellen.

„Früher war es so, dass wenn einer der Ehegatten die Untreue beweisen konnte, die Anlastung der Schuld fast automatisch war. Um zu beurteilen, ob die Untreue wirklich die Ursache für die Ehekrise war, wird heute viel mehr Wert auf den allgemeinen Zustand der Paarbeziehung gelegt. In diesem speziellen Fall wäre es ein Fehler zu sagen, dass nur die Dating-Seiten Bedeutung hatten. Sie waren zwar ausschlaggebend, wurden aber in Zusammenhang mit den anderen Indizien bewertet“, so die auf Scheidungsverfahren spezialisierte Anwältin Valeria De Vellis.

Insgesamt dürfte die Anpassung des Scheidungsrechts an das digitale Corona-Zeitalter mit seinen „unbegrenzten Möglichkeiten“ noch für viele Diskussionen sorgen.

Von: ka