Zehntausende von polnischen Nummernschildern in Neapel – VIDEO

“Polnische Neapolitaner”: Trickreich zu günstiger Versicherung

Donnerstag, 04. Juli 2024 | 07:07 Uhr

Von: ka

Neapel – Touristen, die die süditalienische Metropole Neapel besuchen, fällt bald die enorme Verbreitung polnischer Nummernschilder auf. Am Steuer der Autos, Scooter und Kleinlieferwagen, die polnische Kennzeichen tragen, sitzen wider Erwarten aber nicht Polen, sondern waschechte Neapolitaner. Mittlerweile nutzen Zehntausende von Einwohnern der Hafenstadt einen Trick, der es ihnen ermöglicht, viel weniger für die Versicherung zu bezahlen, ohne gegen das Gesetz zu verstoßen. Aber dieses „Schlaumeiertum“ hat viele Schattenseiten.

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Seit einigen Jahren sieht man auf den Straßen Neapels immer häufiger ausländische Nummernschilder, von denen insbesondere die polnischen ins Auge fallen. In der Tat sind Zehntausende von Neapolitanern mit Autos und Scootern mit polnischem und bulgarischem Kennzeichen unterwegs. Laut Angaben des Registro dei veicoli esteri (REVE) – dem italienischen Kfz-Register, in dem ausländische Fahrzeuge eingetragen werden müssen – sind allein in der süditalienschen Metropole 35.000 der 53.000 in ganz Italien verkehrenden Fahrzeuge mit ausländischen Kennzeichen unterwegs.

Der Grund für dieses Phänomen ist denkbar einfach. Wer mit einem Fahrzeug mit polnischem Kennzeichen unterwegs ist, zahlt in Italien nicht nur keine Steuern, sondern auch viel weniger für die Versicherung, die in Neapel seit jeher sehr teuer ist.

Die Kosten für die Versicherung hängen von der Wahrscheinlichkeit ab, dass sich in einem bestimmten Zeitraum ein Unfall ereignet. Diese Berechnung variiert je nach der Stadt, in der die Person, die eine Versicherung beantragt, ihren Wohnsitz hat. Laut letzten Zahlen des IVASS, des Instituts für Versicherungsaufsicht, werden in Neapel für eine Autohaftpflichtversicherung durchschnittlich 569 Euro pro Jahr fällig. In der Praxis bedeutet das aber, dass Führerscheinneulinge, aber auch Autonutzer, die der Pflichtversicherung europaweit übliche zusätzliche Leistungen und Garantien hinzufügen, jährlich Summen zwischen 1.900 und 2.500 Euro berappen müssen.

Um diesen hohen Kosten, die sich die meisten Neapolitaner nicht leisten können, zu entgehen, wird ein komplizierter, aber mittlerweile bewährter Trick angewandt. Das Auto wird zuerst aus dem öffentlichen italienischen Kraftfahrzeugregister (PRA) gelöscht und dann als Fahrzeug einer polnischen Leasingfirma neu angemeldet. Die Agentur, die dieses Verfahren durchführt, wird faktisch zum Eigentümer des Fahrzeugs, das an den früheren Fahrzeugbesitzer vermietet wird. Da die Fahrzeuge, die Neapel nie verlassen haben, nun ganz offiziell polnische Fahrzeuge sind und damit ganz legal in Polen versichert sind, sind die Versicherungskosten viel niedriger. Während im ersten Jahr noch 600 bis 800 Euro fällig werden, müssen in den folgenden Jahren nur mehr höchstens 350 Euro bezahlt werden, was in der süditalienischen Metropole ein traumhaft günstiges Angebot ist.

35 Mila targhe polacche a Napoli ? 😳🙄🤔🤔🤔

Posted by Roberto Marconi on Tuesday, June 4, 2024

In Zusammenarbeit mit polnischen und bulgarischen Leasingfirmen bieten viele neapolitanische Autoagenturen Rundum-sorglos-Pakete an, die im Auftrag des Fahrzeugbesitzers von der Löschung des Autos oder Scooters vom italienischen Kraftfahrzeugregister über die Besorgung des polnischen Kennzeichens und die Hauptuntersuchung bis hin zur Übernahme der Bezahlung der Autosteuer und der Versicherung die gesamte bürokratische Abwicklung übernehmen. Wie die italienische Autozeitschrift Quattroruote anhand eines Fallbeispiels berichtet, werden für diesen Service im ersten Jahr 1.200 Euro und in den folgenden Jahren jährlich nur mehr 550 Euro berechnet.

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Diese Praxis ist vollkommen legal. Das italienische Gesetz verbietet Autobesitzern mit Wohnsitz in Italien, ein Auto mit ausländischem Kennzeichen zu fahren, ohne es beim italienischen Kraftfahrzeugregister PRA anzumelden. Jedoch für den Fall, dass die Person, die das Fahrzeug fährt, nicht der offizielle Eigentümer des Fahrzeugs ist, sieht dasselbe Gesetz keine Beschränkungen vor. Bei der Vermietung reicht es beispielsweise aus, ein Begleitdokument mitzuführen, aus dem hervorgeht, wie lange der Fahrer das Auto oder Moped nutzen darf.

Diese eigentlich für ausländische Autoleasingfirmen gedachte gesetzliche Erleichterung wird von neapolitanischen Autoagenturen ausgenutzt. Sie nehmen das Fahrzeug in Besitz und mieten es nach der Zulassung in Polen wieder an den früheren Besitzer zurück. Im Gespräch beteuern die Inhaber der Agenturen, dass der frühere Besitzer „unter der Hand“ der eigentliche Besitzer des Autos oder Scooters bleibt. Das einzige Risiko, das sich aus dieser Praxis für die tatsächlichen Eigentümer ergibt, ist ein möglicher Konkurs der Agentur, aber da es sich zumeist um Fahrzeuge geringen Werts handelt, ist dieses Risiko überschaubar.

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Für die heimischen Versicherungen und für den italienischen Staat ist der Schaden enorm. Wer ein Auto oder einen Scooter mit ausländischem Nummernschild benutzt, spart nicht nur bei der Versicherung, sondern zahlt auch keine Kfz-Steuer. Da die für ausländische Fahrzeuge vorgeschriebene Eintragung ins Kfz-Register REVE häufig nicht erfolgt oder umgangen wird, können den „Mietern“ auch keine Bußgelder für Geschwindigkeitsübertretungen durch Blitzer aufgebrummt werden.

Wer in einen Unfall mit einem „polnischen“ Fahrzeug verwickelt wird, hat Pech. Da der Mieter nicht immer ausfindig gemacht werden kann und die polnische Versicherung oftmals schwerlich den entstandenen Schaden als solchen anerkennt oder falls überhaupt erst nach langer Zeit für ihn aufkommt, bleiben die Geschädigten nicht selten auf einen Großteil der Kosten sitzen. „Es ist ein Betrug und im Falle eines Unfalls zahlt niemand. Da das Gesetz keine Überprüfung der Kfz-Versicherung zulässt, wie es bei in Italien zugelassenen Fahrzeugen der Fall ist, gibt es im Falle eines Unfalls mit einem dieser Autos mit ausländischem Kennzeichen keine Garantie auf Entschädigung“, so der Präsident des italienischen Automobilclubs ACI von Neapel, Antonio Coppola, gegenüber dem Onlinemedium Fanpage.it.

Nicht zuletzt, weil das Dokument der erfolgten Eintragung in das Kfz-Register für ausländische Fahrzeuge fehlt, fällt es oftmals schwer, den Fahrzeugmieter zu ergründen. Personen, die in Unfällen mit „polnischen“ Fahrzeugen verwickelt sind, wenden sich immer wieder an das ACI-Büro von Neapel, aber da es kein System für den Austausch dieser Daten zwischen den europäischen Ländern gibt, ist nur einem Bruchteil der Anfragen Geschädigter ein Erfolg beschieden.

Kritiker wie der Präsident des italienischen Automobilclubs ACI von Neapel fordern seit Langem, diesen „Sumpf“ trockenzulegen. Zugleich ist es aber auch notwendig, Mittel und Wege zu finden, die Kosten für Autoversicherungen in Neapel auf ein erträglicheres Maß zu senken. Bis dahin werden aber viele Neapolitaner weiterhin mit „polnischen Autos“ auf Neapels Straßen kurven.