Von: ka
Turin – Der Fall eines Turiner Jugendlichen, der von seinen Eltern in die Erste Hilfe gebracht wurde, weil er schwere Entzugserscheinungen zeigte, die denen von Alkohol- und Drogenabhängigen ähneln, schockiert die italienische Öffentlichkeit. Das Problem war nur, dass der Teenager, der sich in einem Zustand schwerer psychomotorischer Unruhe befand, nicht von Drogen, sondern von seinem Smartphone abhängig war.
Als der Teenager in der Notaufnahme eintraf, wies er genau dieselben Symptome auf, wie sie bei Entzugserscheinungen beobachtet werden. „Schade nur, dass das, was ihm in psychotroper Hinsicht fehlte, sein Smartphone war“, so Professor Gianluca Rosso.
Professor Gianluca Rosso, Facharzt für Psychiatrie und Professor für Psychiatrie an der Abteilung für Neurowissenschaften der Universität Turin im Krankenhaus San Luigi in Orbassano, hatte an jenem Abend Bereitschaftsdienst, als der Jugendliche in Begleitung seiner Eltern in die Notaufnahme kam. Er befand sich in einem Zustand schwerer psychomotorischer Unruhe, die sich durch Ruhelosigkeit, zielloses Umhergehen, die Unfähigkeit, stillzusitzen, und beiläufiges Hantieren manifestierte.
Der Grund? Die Eltern waren verärgert über die ständige Smartphonenutzung ihres Sohnes und hatten beschlossen, ihm das Smartphone wegzunehmen. Eine Geste, die eine Reaktion auslöste, die mit der eines Drogenabhängigen in Entzug vergleichbar ist. Es mag überraschen, aber die Nutzung eines Smartphones schafft eine Bindung an das Objekt, die jener durch andere Drogen wie Alkohol, Zigaretten und harte Drogen ähnelt“, erklärt Rosso. „Sie alle führen zu einer ständigen Stimulierung des dopaminergen Systems, an die sich unser Gehirn gewöhnt. Gerade deshalb verspüren wir das ständige Bedürfnis nach diesem Reiz“, fügt der Professor für Psychiatrie hinzu.
Aus diesem Grund musste dem Jugendlichen eine Therapie verabreicht werden, wie sie bei Drogenentzug angewendet wird. „Ihm wurden hohe Dosen von Anxiolytika, also Medikamenten zur Linderung von Angstzuständen, verabreicht, sowohl intramuskulär als auch intravenös. Es handelt sich um eine echte Sucht. Das ist beängstigend und erschütternd, aber man muss die Dinge beim Namen nennen“, erklärt Professor Gianluca Rosso.
Nachdem die Krise überwunden war und sich der Jugendliche beruhigt hatte, wurde er nach Hause entlassen. „Wir können nur bei psychiatrischen Erkrankungen, die mit der Sucht zusammenhängen, eine Einweisung in ein Krankenhaus veranlassen, nicht aber bei der Sucht im engeren Sinne. Dafür ist der Dienst für Abhängigkeitserkrankungen zuständig“, so Gianluca Rosso.
Mit anderen Worten wird also an den Auswirkungen und nicht an den Ursachen angesetzt, obwohl die Fakten zeigen, dass eine engere Zusammenarbeit zwischen den Diensten für Abhängigkeitserkrankungen und den Krankenhäusern immer notwendiger wird. Ein Projekt, das der lokale Gesundheitsbetrieb Città di Torino verwirklichen möchte, soll dieses Problem lösen. „Die Behandlung von Abhängigkeitserkrankten ist noch an veraltete Vorschriften aus den 1970-er Jahren gebunden, die den heutigen psychologischen und sozialen Rahmenbedingungen der Patienten überhaupt nicht mehr entsprechen”, meint der Generaldirektor des Gesundheitsbetriebs, Carlo Picco.
„In Turin haben wir das Konzept einer integrierten Suchtabteilung, die die Bereiche Psychiatrie, Neuropsychiatrie und Psychologie umfasst, erprobt. Das ist ein erster Schritt, um komplementär und nicht in getrennten Bereichen zu arbeiten. In einem sozialen Umfeld wie dem aktuellen, in dem Jugendprobleme weit verbreitet sind, ist das unerlässlich und funktioniert“, erklärt Carlo Picco das Modell seines lokalen Gesundheitsbetriebs.
In Turin freut man sich zwar, dass es dem Jugendlichen nach der pharmakologischen Behandlung wieder besser geht, doch die Erfahrung, dass die Wegnahme des Smartphones bei einem Teenager schwere Entzugserscheinungen auslösen kann, wie sie sonst nur bei Drogenabhängigen auf Entzug beobachtet werden, wirkt insbesondere auf italienische Eltern verstörend.
In der italienischen Öffentlichkeit werden einschneidende Maßnahmen wie ein Verbot von Smartphones und sozialen Medien für Unter-Zwölfjährige diskutiert. Es wird aber auch über Kampagnen nachgedacht, die zu einem Onlineverzicht, etwa im Urlaub oder in Lokalen, aufrufen.
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