Venedigs Bürger wollen lebendige Stadt und keinen „Touristenpark“ – VIDEO

Widerstand: Venezianer kämpfen um ihren Fischmarkt

Montag, 08. Oktober 2018 | 08:09 Uhr

Venedig – Auch saftige Preise leisten der Beliebtheit der „schönsten Stadt der Welt“ und „Stadt der Verliebten“, wie Venedig weltweit gerne genannt wird, keinen Abbruch, sodass jedes Jahr der Touristenstrom eher zu- als abnimmt. Den echten Venezianern selbst ist es längst zu viel. Bereits in den vergangenen Jahren verließen viele von ihnen aus verschiedenen Gründen – unter anderem aus Arbeits- und Studiumsgründen, wegen der schlechten Erreichbarkeit aber vor allem wegen der enormen Teuerung – die Lagunenstadt.

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Mit den echten Bewohnern der Stadt verliert Venedig aber auch einen Teil des Flairs und der Geschichte, die ihre eigentliche Lebendigkeit ausmacht. Letztes Opfer dieser Fehlentwicklung ist der historische Fischmarkt von Rialto. Früher, als Venedig noch voller Venezianer war, war es eine fast tägliche Angewohnheit der Venezianerinnen, am Vormittag den Fischmarkt aufzusuchen, um sich mit dem für das Mittagsmahl nötigen, aus der Lagune oder aus der Adria stammenden, frischen Fisch einzudecken. Aber in den letzten Jahren wurde es für die Fischhändler unter den historischen Kolonnaden am Fuß der berühmten Rialtobrücke immer schwieriger. Die Frauen und Männer, die hinter den Fischbänken stehen und ihren frischen Fisch preisen, spüren die Konkurrenz der Supermärkte, die alles unter einem Dach anbieten. Der Hauptgrund der Krise des Fischmarkts ist aber, dass mit den Tausenden von Venezianern, die in den vergangenen Jahren die Stadt verließen, den Fischhändlern auch ihre treuen Kunden abhandenkamen.

stnews/luk

„Der Fischmarkt von Rialto ist Teil der Kultur und der Geschichte von Venedig. Er ist älter als der Markusplatz. Unter diesen Kolonnaden sind Generationen von Händlern durchgegangen. Ihre gekrümmten Rücken haben ein Stück des Wesens der Stadt dargestellt. Das kann nicht so enden. Denn wenn es den Markt mit seinem Leben und seinen Farben nicht mehr gibt, was würden die Touristen dann sehen? Ein leeres Bauwerk?“, so Andrea Vio, der seit mehr als 40 Jahren einen der 18 Fischbänke betreibt.

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Aber es regt sich Widerstand. Immer mehr „Biovenezianer“ wollen die Zustände in ihrer Stadt, die sich immer mehr zu einem „touristischen Freizeitpark“ entwickelt, nicht länger hinnehmen. Die echten Bewohner der Lagunenstadt spüren, dass mit dem Fischmarkt auch ein Stück der Geschichte und der Lebendigkeit ihrer Stadt verschwindet. Zudem wollen sie als Bewohner der Stadt und nicht als Komparsen und Statisten, die als Hintergrund für die Selfies der Touristen dienen, wahrgenommen werden. Um die Fischhändler von Rialto zu unterstützen, wurde auch ein Solidaritätskonzert organisiert. Von ihrer Gemeindeverwaltung verlangen die Venezianer ein ganzes Maßnahmenpaket, das nicht nur den Fischmarkt von Rialto retten, sondern auch die „Bewohnbarkeit“ von Venedig verbessern soll. Dabei reichen die Vorschläge von finanzieller Unterstützung für junge Venezianer, die in der Lagunenstadt bleiben wollen, über Parkplätze bis hin zu Maßnahmen gegen die hohen Lebenshaltungskosten in der Lagune.

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Unsere Leserinnen und Leser mögen nun einwerfen, dass die Probleme von Venedig von Südtirol weit weg sind. Aber das Beispiel aus der Lagunenstadt zeigt auch, was passiert, wenn eine touristische Entwicklung aus dem Ruder läuft, sodass die „echten Bewohner“ fliehen, und die, die bleiben, nur mehr als bunter Hintergrund wahrgenommen werden. Gleich, ob in der Lagune oder in Südtirol ist Tourismus nur nachhaltig und vertretbar, wenn auch die Bedürfnisse der Einheimischen berücksichtigt werden. Auch Südtirol leidet unter hohen Lebenshaltungskosten und teurem Wohnraum. Bei letztem Punkt wurde vonseiten der Landesregierung inzwischen gegensteuert.

Aber Wachsamkeit ist weiter gefragt. Südtirol ist erfolgreich, weil wir den Urlaubern neben einer grandiosen Landschaft und einer Fülle von Geschichtsdenkmälern vor allem ein lebendiges Land bieten. Aber Südtirol ist in allererster Linie für die Südtiroler da. Begehen wir also nicht die in Venedig begangenen Fehler.

Von: ka