Von: apa
Seit November steht es im Raum, diesen Mittwoch hat die Europäische Kommission tatsächlich den ersten Schritt zur Einleitung eines EU-Defizitverfahrens gegenüber Österreich getan. Nach der Feststellung eines übermäßigen Defizits kündigte sie an, ein Defizitverfahren zu empfehlen. Nachdem dies vermutlich Ende Juni formell erfolgt, muss es danach noch der Rat der Wirtschafts- und Finanzminister beschließen. Dies könnte bei seinem Treffen am 8. Juli in Brüssel geschehen.
Die EU-Kommission hat am Mittwoch in Brüssel ihr Frühjahrspaket zum sogenannten Europäischen Semester vorgelegt. Darin enthalten sind neben wirtschaftspolitischen und Reform-Empfehlungen an die EU-Länder auch Berichte zur Haushaltsüberwachung, die die Einhaltung des Defizit- sowie Schuldenkriteriums für gefährdete Länder unter die Lupe nehmen. Für Österreich wird von der Kommission darin ein übermäßiges Defizit festgestellt. Neben Österreich wurden auch Finnland, Lettland und Spanien genauer wegen ihrer Haushaltslöcher überprüft.
Dombrovskis: Klarer Fall für Verfahren
Grund für das Verfahren ist, dass Österreich mit seinem Budgetdefizit von 4,7 Prozent des BIP im vergangenen Jahr und den geplanten 4,5 Prozent heuer klar über der erlaubten Grenze von drei Prozent der Wirtschaftsleistung der sogenannten Maastricht-Kriterien der EU liegt. “Für Österreich kommt der Bericht zu dem Schluss, dass die Defizitkriterien nicht eingehalten wurden”, erklärte der zuständige EU-Kommissar Valdis Dombrovskis in der Pressekonferenz. Er sprach von einem “klaren Fall für die Eröffnung eines Defizitverfahrens”.
Laut Bericht lagen die öffentlichen Defizite in Österreich und Finnland 2024 “über und nicht in der Nähe des Referenzwerts”. Für Spanien lag es “in der Nähe”. In Lettland sei das überhöhte Defizit 2025 vollständig auf einen Anstieg der Verteidigungsausgaben zurückzuführen. “Nach der Frühjahrsprognose 2025 der Kommission werden die öffentlichen Defizite in Österreich und Finnland voraussichtlich auch 2025 und 2026 über drei Prozent des BIP liegen. Es wird daher erwartet, dass ihre Defizite, die über dem Referenzwert liegen, nicht vorübergehend sind”, heißt es im Bericht weiter. Bei Finnland sei das aber auf hohe Verteidigungsausgaben zurückzuführen.
Klausel für Verteidigungsausgaben nicht beantragt
Österreich habe bisher die Aktivierung der nationalen Ausweichklausel nicht beantragt, und die Verteidigungsausgaben seien seit 2021 stabil und relativ niedrig, betont die Kommission. 16 EU-Staaten haben die Ausweichklausel beantragt, damit ein bestimmter Anteil höherer Ausgaben für Verteidigung aus der Berechnung des Budgetdefizits ausgenommen werden kann. Die Kommission hat heute Empfehlungen an den Rat zur Aktivierung der nationalen Ausweichklausel für die betroffenen Länder angenommen.
Neben der 3-Prozent-Grenze müssen noch weitere Faktoren in Betracht gezogen werden, wie etwa die mittelfristige Wirtschafts- und Haushaltslage des Mitgliedstaats. Laut Kommission weist für Österreich “die Schuldentragfähigkeitsanalyse auf mittelfristig hohe Risiken hin”. Im Jahr 2024 stieg der Schuldenstand im Verhältnis zum BIP auf 81,8 Prozent und wird den Projektionen zufolge weiter auf 84,0 Prozent Ende 2025 und 85,8 Prozent Ende 2026 ansteigen.
“Der nächste Schritt ist nun, dass der Wirtschafts- und Finanzausschuss eine Stellungnahme formuliert und die Kommission auf deren Grundlage dem Rat vorschlägt, ein Defizitverfahren für Österreich einzuleiten”, so Dombrovskis. Derzeit bewerte die EU-Kommission den von Wien im Mai eingebrachten mittelfristigen fiskalisch-strukturellen Plan. In Gesprächen mit den österreichischen Behörden sei das drohende Defizitverfahren angesprochen worden und die Notwendigkeit, dass dieses im Plan berücksichtigt werde. Wenn dies geschehe, werde die Kommission den Plan positiv bewerten.
Österreich muss Plan durchführen
Danach liegt es laut dem EU-Kommissar an Österreich, diesen Plan durchzuführen. Am 15. Oktober muss Österreich laut Kommission den nächsten allgemeinen Budgetplan einreichen. In diesem sollten dann auch weitere Maßnahmen zum Defizitabbau enthalten sein. 2028 will die Bundesregierung wieder aus dem EU-Defizitverfahren herauskommen. Finanzminister Markus Marterbauer (SPÖ) hatte vergangene Woche im Bundesrat erklärt, er habe vor dem Defizitverfahren “überhaupt keine Angst”.
SPÖ-EU-Abgeordnete Evelyn Regner ist Mitglied im Wirtschaftsausschuss und bekräftigt die Aussagen des Finanzministers: “Ein Defizitverfahren ist bei weitem kein Weltuntergang und heißt vor allem Koordination, nicht Kontrolle. Es bringt auch Chancen für Österreich mit sich, insbesondere wenn nachhaltig investiert wird, wie im neuen Budgetplan vorgesehen. Bereits im letzten Frühjahr haben wir uns auf EU-Ebene für flexiblere Regeln beim Schuldenabbau eingesetzt, das heißt mehr Raum für Investitionen, um unseren Wirtschaftsstandort zu stärken.”
Brunner: Rahmenbedingungen sind herausfordernd
Der frühere Finanzminister und aktuelle EU-Kommissar Magnus Brunner (ÖVP) sagte zu dem Defizitverfahren: “Die Rahmenbedingungen sind herausfordernd.” Die aktuelle wirtschaftliche Situation sei in ganz Europa mit einem durchschnittlichen Wachstum von 1,1 Prozent sehr herausfordernd. Es gebe Unsicherheiten im globalen Handel und in der Wirtschaft. “Die österreichische Bundesregierung hat sich jetzt dazu entschieden, diesen Weg zu gehen und das ist zu akzeptieren.” Weiters wollte Brunner das bevorstehende Verfahren nicht kommentieren.
Außenministerin Beate Meinl-Reisinger (NEOS) sagte am Rande einer Pressekonferenz, dass die Regierung einen “sehr ambitionierten Budgetplan” vorgelegt habe. Es wäre ihr lieber gewesen, ein Defizitverfahren zu vermeiden. Aber “wir biegen das gerade”. Sie freue sich auch sehr auf die kommende Landeshauptleutekonferenz, weil die Budgetkonsolidierung eine “enorme gemeinsame Kraftanstrengung” brauche, erklärte sie am Mittwochnachmittag in Wien.
Der ebenfalls anwesende frühere EU-Budgetkommissar Johannes Hahn (ÖVP) gab sich zuversichtlich. “Es geht ja auch um Reformen, es geht nicht nur um die Konsolidierung des Budgets. Es geht auch um nachhaltige Investitionen, die Europa insgesamt und daher auch Österreich wettbewerbsfähiger und widerstandsfähiger machen in einer zunehmend globalisierten und aber auch disruptiveren Welt.” Er sei “zuversichtlich”, dass “wir das auf die Reihe kriegen werden”.
Kritik kam dagegen von der FPÖ. Die Regierung steuere das Land “geradewegs und sehenden Auges unter die Kuratel der Brüsseler EU-Zentralisten” und breche damit ein zentrales Versprechen aus ihrem Regierungsprogramm, polterte der freiheitliche Generalsekretär Michael Schnedlitz und warnte vor “sozialen Kahlschlägen und massiven Protesten” wie in Frankreich, Spanien, Portugal oder Griechenland.
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