30 Prozent der Ukraine sollen vermint sein

Nehammer gegen österreichische Entminungshilfe in Ukraine

Freitag, 19. Mai 2023 | 20:19 Uhr

In die jüngste Debatte über eine mögliche Unterstützung Österreichs bei Entminungsarbeiten in der Ukraine hat sich am Freitag auch Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) eingeschaltet. Er sprach sich laut einer Pressemitteilung gegen eine österreichische Beteiligung aus, solange in der Ukraine Krieg herrsche, und ortete bei einem solchen Einsatz Probleme mit der Neutralität. Der ukrainische Vizeaußenminister Andrij Melnyk zeigte sich in Ö1 enttäuscht vom Vorgehen Österreichs.

“Es wird kein österreichischer Soldat für so einen operativen Einsatz ukrainischen Boden betreten, solange das ein Kriegsgebiet ist”, hieß es in Nehammers Stellungnahme. “Wer österreichische Soldaten in ein Kriegsgebiet schicken will, der riskiert, dass sie nicht mehr lebend zurückkommen”, so der Kanzler, der betonte, dass er einen solchen Einsatz “auch im Hinblick auf Österreichs Neutralität als problematisch” sehe. Österreich prüfe derzeit eine finanzielle Beteiligung an so einer Initiative.

Bundespräsident Alexander Van der Bellen hatte sich hingegen zuletzt für eine österreichische Unterstützung bei der Entminung ziviler Bereiche in der Ukraine starkgemacht: “Ich verstehe nicht, warum die Bundesregierung bei der Frage der Entminung immer noch zögert. (…) Unterstützung bei der Entminung ziviler Bereiche wie Wohnhäuser, Schulen, Kindergärten oder landwirtschaftlicher Gebiete widerspricht sicher nicht der österreichischen Neutralität, sondern ist eine humanitäre Angelegenheit”, sagte er im Rahmen des am Mittwoch zu Ende gegangenen Europarats-Gipfels in Reykjavik.

Auch der ukrainische Vizeaußenminister Melnyk appellierte am Freitag im Ö1-“Mittagsjournal” an Österreich, Entminungshilfe als “humanitäre Geste” zu leisten. Er forderte dazu auf, Van der Bellens Bitte zu unterstützen, da diese der Neutralität nicht widerspreche. 30 Prozent der Fläche der Ukraine – darunter ganze Dörfer und Felder – seien wegen der Okkupation Russlands vermint worden, so Melnyk. Und das auch in Gegenden, in denen es seit über einem Jahr keine Kampfhandlungen mehr gegeben habe.

Das Vorgehen Österreichs bezeichnete Melnyk als “sehr enttäuschend”, die österreichische Neutralität als “aus der Zeit gefallen”. Als Ukrainer könne er es nicht verstehen, in einem Krieg, in dem es um die “Vernichtung des ukrainischen Volkes” gehe, neutral zu bleiben – vor allem im Hinblick darauf, dass Österreich im Bereich der Entminung “weltweit federführend” sei.

“Humanitäre Entminung heißt, jene Gebiete und zivile Objekte, darunter Wohnhäuser, zu räumen, die keinesfalls mit der Front oder Kampfhandlungen im Zusammenhang stehen”, präzisierte der ukrainische Botschafter in Österreich, Wassyl Chymynez, in einer Mitteilung an die APA. Und er zeigte sich “überzeugt, dass die Regierung eine richtige Lösung schnell finden wird und diese Lösung zur Neutralität keinesfalls in Widerspruch stehen wird.”

Tatsächlich wäre das Bundesheer laut Major Heinrich Lindner aufgrund seiner Erfahrungen bei der Entminung am Westbalkan gut gerüstet. Er sagte gegenüber Ö1, dass Österreich im internationalen Vergleich über “sehr umfassende Fähigkeiten” verfüge und “am Stand der Technik” sei.

Unterdessen sprach sich auch der grüne Wehrsprecher David Stogmüller in einer Stellungnahme gegenüber der APA für Unterstützung bei der Minenräumung in der Ukraine aus. “Wer dem Bundespräsidenten zugehört hat weiß, dass Unterstützung bei Minenräumung nicht im unmittelbaren Kriegsgebiet, sondern bei Kindergärten, Schulen oder Feldern ein humanitärer Akt und keine Frage der Neutralität sind”, so Stogmüller. Bei der humanitären Entminung seien nicht nur zahlreiche NGOs und auch die OSZE im Einsatz, sondern auch die neutralen Staaten Irland und die Schweiz würden aktiv unterstützen.

“Jedes dritte Minenopfer ist nämlich ein Kind. Wieso sollte sich Österreich im Sinne einer aktiven Neutralität nicht auch mit Geld, Ausbildung und Gerät solidarisch zeigen und somit etwas beitragen, um Menschen in der Ukraine vor Minenexplosionen zu schützen”, führte er weiter aus und wies auf die Expertise des Bundesheeres im Zusammenhang mit Minenräumung hin.

Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) hatte den Vorstoß des Bundespräsidenten am Donnerstag gegenüber Ö1 abgelehnt. Sie betonte, dass es aktuell nicht möglich sei, in der Ukraine “zwischen einer humanitären und einer militärischen Entminung unterscheiden zu können”. Auch FPÖ-Chef Herbert Kickl sprach sich mit Verweis auf die österreichische Neutralität dagegen aus. Der Sicherheits- und Verteidigungssprecher der NEOS, Douglas Hoyos, unterstützte hingegen die Aussagen Van der Bellens. Der Völkerrechtler Ralph Janik sah zuletzt durch den EU-Ratsbeschluss über die Unterstützung der Ukraine Hilfe bei der Entminung verfassungsrechtlich gedeckt.

Die SPÖ fordert den Bundeskanzler, den Außenminister und die Verteidigungsministerin auf, in einem internationalen Prozess Partnerschaften für eine breite humanitäre Allianz zu schmieden, die UNHCR und EU unterstützt. Diese Gruppe solle eine gemeinsame Strategie und ein gemeinsames Vorgehen für humanitäre Hilfe in der Ukraine entwickeln und umsetzen, regte SPÖ-Wehrsprecher Robert Laimer am Freitag in einer Aussendung an. “Russland produziert mit seinen ständigen Raketenschlägen auf zivile Ziele laufend mehr Tote, Verletzte, Flüchtlinge und Obdachlose und verschärft die Versorgungslage in der Ukraine immer mehr”, sagte Laimer. “Als Spitzenreiter für humanitäre Hilfe kann Österreich mit Partnern innerhalb und außerhalb der EU gerade jetzt viel bewirken. Eine humanitäre Allianz kann einen entscheidenden Beitrag leisten, um die Not der ukrainischen Bevölkerung zu lindern und einen wichtigen Beitrag zur europäischen Sicherheits- und Stabilitätspolitik zu leisten.”

Von: apa