Von: APA/dpa/Reuters/AFP
Nach einem jahrzehntelangen blutigen Konflikt mit dem türkischen Staat hat die verbotene Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) laut einem Bericht ihre Auflösung und das Ende ihres bewaffneten Kampfes verkündet. “Der zwölfte Kongress der PKK hat beschlossen, die Organisationsstruktur der PKK aufzulösen und die Methode des bewaffneten Kampfes zu beenden”, erklärte die PKK laut der prokurdischen Nachrichtenagentur ANF. Die Türkei sprach von einer “historischen Entscheidung”.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat die angekündigte Auflösung begrüßt. “Wir betrachten diese Erklärung als eine Entscheidung, die alle Ableger der Organisation, allen voran im Nordirak, Syrien und Europa, umfasst”, sagte Erdogan. Die Einhaltung der “Versprechen” würde von der Türkei genau beobachtet.
“Die Entscheidung der PKK ist eine historische und wichtige Entscheidung, insbesondere im Hinblick auf den dauerhaften Frieden und die Stabilität in unserer Region”, erklärte der türkische Außenminister Hakan Fidan am Montag bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit seinen Kollegen aus Syrien und Jordanien. Die Entwicklung mache “uns sehr stolz auf unser Land”, fügte Fidan hinzu. Der angekündigten Auflösung müssten nun konkrete Schritte folgen. Die Regierung werde den Prozess “genau verfolgen”.
Mission erfüllt
“Die PKK hat ihre historische Mission erfüllt”, hieß es in der PKK-Erklärung laut der Nachrichtenagentur Firat. Die der PKK nahestehende Agentur veröffentlichte die Abschlusserklärung des Parteikongresses, den die PKK vorige Woche im Nordirak abgehalten hat, ebenfalls. Ihr Kampf habe die kurdische Frage an einen Punkt gebracht, an dem sie durch demokratische Politik gelöst werden könne. “Dies wird auch eine grundlegende Änderung der offiziellen Staatsdoktrin der Türkei erfordern”, erklärte Tayip Temel, stellvertretender Vorsitzender der prokurdischen DEM, der drittgrößten Partei im türkischen Parlament.
Man werde nun die notwendigen Maßnahmen ergreifen, um einen reibungslosen Übergang zu einem “terrorfreien” Land zu gewährleisten, schrieb der Leiter des Büros von Präsident Recep Tayyip Erdoğan auf dem Kurznachrichtendienst X. Erdoğans Partei reagierte zu der am Montag in einer von der prokurdischen Nachrichtenagentur ANF verbreiteten Entscheidung vorsichtig optimistisch. “Wenn der neue PKK-Beschluss vollständig umgesetzt wird und alle PKK-Unterorganisationen und illegalen Strukturen geschlossen werden, wird dies ein Wendepunkt sein”, so AKP-Sprecher Ömer Çelik laut der Nachrichtenagentur Anadolu Ajansı.
Sonderrolle Öcalans
Die PKK war 1978 von Abdullah Öcalan in der Türkei gegründet worden – hauptsächlich als Reaktion auf politische, soziale und kulturelle Unterdrückung der Kurden in dem Land. Seit den 1980er-Jahren kämpft sie mit Waffengewalt und Anschlägen für einen kurdischen Staat oder ein Autonomiegebiet im Südosten der Türkei. Inzwischen ist die PKK von der Forderung eines unabhängigen Staates abgerückt. Die PKK wird in der Türkei, in der EU und in den USA als Terrororganisation eingestuft.
Öcalan soll den Prozess koordinieren, berichtete Firat am Montag. Es blieb jedoch unklar, ob die türkische Regierung mit Öcalans weiterer Rolle einverstanden ist. Ein AKP-Funktionär sagte am Montag der Zeitung “Türkiye”, Öcalan sei 76 Jahre alt und es sei unwahrscheinlich, dass er die Gefängnisinsel Imrali in der Türkei verlasse. Er könne aber mit Hafterleichterungen rechnen.
Reaktion auf Aufruf Öcalans
Die PKK reagiert mit dem Schritt nun auf einen Aufruf Öcalans, der seit 1999 auf der Gefängnisinsel Imrali inhaftiert ist. Im Februar hatte er die Organisation aufgefordert, die Waffen niederzulegen und sich aufzulösen. Die Aussicht auf die Auflösung der PKK hatte bei vielen die Hoffnung auf eine Lösung des Kurdenkonflikts, mehr Rechte für Kurden in der Türkei und vor allem ein Ende der Kämpfe geschürt. Laut der Denkfabrik International Crisis Group sind im Kontext des Konflikts im Laufe der Jahrzehnte bisher etwa 40.000 Menschen getötet worden.
Ziel der PKK war ein eigenständiges Kurdengebiet. 2015 scheiterten Friedensgespräche. Früher konzentrierte sich der Kampf für kurdische Autonomie hauptsächlich auf den überwiegend kurdischen Südosten der Türkei. Zuletzt lag der Schwerpunkt im Norden des Irak, wo die PKK ihren Sitz hat. Auch in Syrien mit seiner kurdischen Bevölkerungsgruppe hat die PKK Einfluss. Das türkische Militär geht immer wieder gegen kurdische Milizen in den beiden Nachbarländern vor.
Weitreichende Folgen
Die Entscheidung der PKK dürfte weitreichende politische und sicherheitspolitische Folgen für die Region haben. Das gilt auch für das benachbarte Syrien, wo kurdische Kämpfer der YPG mit den US-Streitkräften verbündet sind. Die YPG hatte zuvor erklärt, Öcalans Aufruf gelte nicht für sie.
Der syrische Außenminister Asaad al-Shaibani gratulierte der türkischen Regierung auf der Pressekonferenz mit Fidan zu einem “Schritt von entscheidender Bedeutung” für die “Stabilität unserer gesamten Region”. Der Präsident der autonomen Kurdenregion im Irak, Nêçîrvan Barzanî, lobte die Entscheidung der PKK. Diese ebne “den Weg für einen Dialog, der das Zusammenleben und die Stabilität in der Türkei und der Region fördert”, erklärte Barzani. Er hoffe auf einen “dauerhaften Frieden, der der jahrzehntelangen Gewalt ein Ende setzt”.
Der Aufruf Öcalans ging auf eine Initiative des ultranationalistischen Regierungspartners des türkischen Präsidenten Erdoğan, der Partei MHP, zurück. Ihr Chef Devlet Bahçeli, bisher eigentlich ausgesprochener Gegner einer Aussöhnung mit der PKK, hatte im Oktober eine Freilassung Öcalans ins Spiel gebracht, sollte die PKK ihre Waffen niederlegen und sich auflösen. Experten sehen dafür mehrere Gründe. Zum einen sei die PKK im Irak durch die türkischen Angriffe geschwächt. Auch in der kurdischen Bevölkerung wachse die Forderung nach einem Ende der Kämpfe. Zudem sei mit dem Gaza-Krieg, der Schwächung des Iran und des Umsturzes in Syrien in der Region ein Machtvakuum entstanden – sowohl Kurden als auch die Türkei wollten das gestalten.
Experten verweisen auf Präsidentenwahl
Eine nicht unwesentliche Rolle dürfte zudem Erdoğans angestrebte Verfassungsänderung spielen, um erneut als Präsident kandidieren zu können. Dafür braucht er etwa die Stimmen der prokurdischen Partei.
Die Türkei-Expertin Gönül Tol vom Middle East Institute in den USA vermutet, dass es Erdoğan in erster Linie um eine “Konsolidierung seiner Macht” gehe. Ziel des Präsidenten sei es, bei der Wahl 2028 gestärkt gegen eine gespaltene Opposition anzutreten. Sollte die Auflösung der PKK reibungslos über die Bühne gehen, wäre dies ein “großer Sieg für Erdogan”, sagte Tol.
Sie verwies auf die geringe Beteiligung der kurdischen Bevölkerung an den Protesten gegen die Verhaftung des Erdogan-Rivalen Ekrem İmamoğlu im März. Dies zeige, dass Erdoğans Strategie, “einen Graben zwischen der prokurdischen Partei und dem Rest der Opposition aufzureißen”, aufgehe.
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