Von: apa
Der frühere slowakische Ministerpräsident Mikuláš Dzurinda hat die Gründung einer Art Eurozone im Verteidigungsbereich vorgeschlagen, die von einer “Koalition der Willigen” unter den EU-Staaten getragen werden soll. Bei regelmäßigen Gipfeltreffen im Rahmen eines zu schaffenden “Europäischen Sicherheitsrates” sollen diese Staaten dann auch über Militäreinsätze beraten, sagte der Chef des einflussreichen Brüsseler Thinktanks “Wilfried Martens Centre” im APA-Interview in Wien.
“Idealerweise sollten alle 27 Staaten daran teilnehmen, aber manchmal ist das aus politischen Gründen oder wegen der Führungspersönlichkeiten kompliziert”, erläuterte der christdemokratische Politiker am Rande der Jahrestagung des Austria Instituts für Europa- und Sicherheitspolitik (AIES). “Es sollte so etwas wie die Eurozone sein. Wenn wir 15 Staaten haben, sollten wir den Prozess starten.” Einen konkreten Vorschlag wolle die Denkfabrik, die der Europäischen Volkspartei (EVP) nahe steht, noch vor Weihnachten vorstellen.
Dzurinda will vor allem erreichen, dass die Staats- und Regierungschefs nicht wie bisher nur einmal jährlich über Verteidigungsfragen beraten. “Wenn Verteidigung eine wirkliche Priorität ist, sollten sie sich öfter zusammensetzen.” Entsprechend solle der Europäische Sicherheitsrat regelmäßig in der Zusammensetzung der Staats- und Regierungschefs der teilnehmenden EU-Staaten tagen und auch per Mehrheitsbeschluss entscheiden. Derzeit gibt es in Verteidigungsfragen ein absolutes Vetorecht jedes einzelnen Mitgliedsstaates. Offen sei, ob die Beschlüsse des neuen Gremiums rechtsverbindlich sein sollen oder es sich formell nur um Empfehlungen handeln werde, die dann noch von den regulären EU-Gremien abgesegnet werden müssten.
“Hätte gerne, dass Österreich Mitglied wäre”
Was den Vorsitz des Europäischen Sicherheitsrates betrifft, so dürfte dieser wohl vom EU-Ratspräsidenten wahrgenommen werden, führte Dzurinda weiter aus. Für eine Teilnahme Österreichs an der verstärkten Kooperationsform sieht er kein Hindernis. “Ihr seid neutral, aber ihr operiert jetzt schon als NATO-Bündnispartner. Ich hätte gerne, dass Österreich ein Mitglied wäre.”
Der slowakische Ex-Premier sprach sich auch klar für Atomwaffenkapazitäten der Europäischen Union aus, um feindliche Nuklearmächte wie Russland abzuschrecken. Diesbezüglich gebe es unterschiedliche Szenarien, etwa basierend auf Frankreich, in Kombination mit dem Ex-EU-Mitglied Großbritannien oder sogar unter Einbindung Deutschlands. Seine bevorzugte Variante sei jedoch eine “europäische Infrastruktur”, so Dzurinda, der zugleich einräumte, dass die Frage der Kommandostruktur in diesem Fall völlig offen sei.
Europäische NATO-Staaten sollen unabhängig von USA agieren können
Wer in dieser Struktur den militärischen Oberbefehl haben werde, “ist eine sehr komplizierte Frage”, sagte der frühere Außenminister seines Landes. Es gebe aber bereits bestehende Strukturen wie den EU-Militärstab oder die Europäische Verteidigungsagentur (EDA), die man nützen könne. Zudem verfüge auch die NATO über starke Kommandostrukturen. “Es wäre sehr sinnvoll, diese Strukturen nicht zu verdoppeln.”
Dzurinda betonte in diesem Zusammenhang den Wunsch, eine eigenständige europäische Säule des nordatlantischen Verteidigungsbündnisses zu schaffen. Diese Struktur solle nicht gegen die USA gerichtet sein, sondern den europäischen NATO-Staaten “ermöglichen, unabhängig zu agieren, wenn das erforderlich ist”.
“Viktor ist derzeit sehr kompliziert”
Die Position seiner Heimat Slowakei in der europäischen Verteidigungspolitik sieht Dzurinda “nicht so dramatisch wie es im Ausland aussieht”. “Fico ist nicht Orbán und eher ein Opportunist, der die Dinge nicht verkomplizieren will”, sagte er mit Blick auf den slowakischen Regierungschef Robert Fico und seinen ungarischen Amtskollegen Viktor Orbán. “Viktor ist derzeit sehr kompliziert”, kritisierte Dzurinda die Junktimierung von Änderungswünschen am Green Deal mit dem 19. Sanktionspaket gegen Russland durch den ungarischen Premier. “Ich bin mir ziemlich sicher, dass das den EU-Verträgen zuwiderläuft”, so Dzurinda, der zugleich auf seine langjährige enge Freundschaft mit Orbán verwies.
Dzurinda äußerte zugleich die Überzeugung, dass Orbán bei den Parlamentswahlen im kommenden Frühjahr “nicht die rote Linie der demokratischen Prinzipien überschreiten” werde. Diesbezüglich zog er einen Vergleich zu seinem ersten Wahlsieg im Jahr 1998, als er den ähnlich wie Orbán selbstherrlich regierenden slowakischen Ministerpräsidenten Vladimir Mečiar niederrang. Weil ihn die staatlich kontrollierten Medien damals totschwiegen, habe er die Kampagne mit dem Fahrrad quer durch die Slowakei absolviert, erinnert sich der 70-Jährige. “Ich bin damals mehr als 1.500 Kilometer auf dem Rad gefahren.” Am Wahltag habe die Opposition eine parallele Stimmauszählung veranstaltet, “und unsere Zahlen waren zu 99,9 Prozent identisch (mit den offiziellen, Anm.). Péter Magyar kann das auch machen”, riet Dzurinda dem ungarischen Oppositionsführer.
(Das Gespräch führte Stefan Vospernik/APA)




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