Von: mk
Innsbruck – Die Rückkehr der EU-rechtlich streng geschützten großen Beutegreifer stellt die traditionelle Almwirtschaft mit Schafhaltung im freien Weidegang vor große Herausforderungen. Eine vom Land Tirol in Auftrag gegebene Machbarkeitsstudie sollte anhand von vier Almen im Tiroler Oberland und in Osttirol untersuchen, ob und wie Herdenschutz in Tirol mit seinen hochalpinen und teils stark frequentierten Almgebieten machbar ist.
Auf einem Teil der untersuchten Tiroler Schafalmen sind Maßnahmen wie Behirtung, gezielte Weideführung, Zäune, Pferche oder Hunde zum Schutz der Schafherden vor Wölfen machbar. Auf einem anderen Teil der Almen sind Herdenschutzmaßnahmen auf Basis der momentanen Bewirtschaftungspraxis und der derzeitigen Rahmenbedingungen jedoch nicht umsetzbar. Grundsätzlich ist Herdenschutz mit einem finanziellen und arbeitstechnischen Mehraufwand verbunden.
Zukunft der Almwirtschaft sichern
„Das Thema Wolf hat gesellschaftspolitische Sprengkraft. Es ist höchst emotional und polarisiert wie kaum ein anderes“, ist sich LHStv Josef Geisler bewusst. „Ich sehe meine politische Verantwortung darin, kein Öl ins Feuer zu gießen, sondern besonnen auf ausnahmslos allen Ebenen dafür zu arbeiten, damit die Schafhaltung und die Almwirtschaft in Tirol Zukunft haben. Wir müssen alles dafür tun, dass unsere Schafalmen auch weiterhin bestoßen werden.“
In Tirol gibt es knapp 400 Almen, auf die im Sommer rund 68.000 Schafe aufgetrieben werden. 2019 gab es in Tirol fünf Bärennachweise in Form von Fotos, DNA und Spuren sowie neun genetische Wolfsnachweise. Im Zusammenhang mit Wolf und Bär wurden 14.000 Euro Entschädigungszahlungen für 18 nachweislich von Wolf (15) oder Bär (drei) gerissene sowie für weitere 40 (31 Wolf, neun Bär) tote, nicht beurteilbare oder nicht mehr auffindbare Schafe geleistet. 1.000 Euro wurden für Futterkosten für aufgrund der Wolfspräsenz abgetrieben Schafe aufgewendet.
Herdenschutz kostet und hat Grenzen
Die vorliegende Machbarkeitsstudie zeigt, dass Herdenschutz unter den derzeitigen Rahmenbedingungen auf Almen nur bedingt umsetzbar und vielfach mit erheblichen Kosten verbunden ist, die aus der Landwirtschaft heraus nicht zu erwirtschaften sind. Die Kosten liegen je nach Voraussetzungen und Maßnahmen zwischen elf und 80 Euro pro Schaf.
„Aber wir können EU-Recht nicht aushebeln und werden nicht umhinkommen, uns auch in Tirol mit dem Thema Herdenschutz intensiver zu befassen“, rechnet Geisler trotz des Beschlusses des Dreierlandtages in absehbarer Zeit nicht mit einer europarechtlichen Anpassung zum Schutz der Nutztiere auf den Almen. Studienautor Daniel Mettler berichtet aus seiner Erfahrung in der Schweiz: „Herdenschutz hat auch Grenzen. Herdenschutz funktioniert in Kombination mit Regulierung und gezielten Abschüssen.“
Im benachbarten Südtirol ist es bereits zur Bildung von Wolfsrudeln gekommen. Auch in Niederösterreich, der Schweiz, in Deutschland und anderen europäischen Ländern gibt es Wolfspopulationen. Tirol ist derzeit nur mit durchziehenden Einzeltieren konfrontiert. „Wir müssen, können und wollen im Herdenschutz nicht von Null auf Hundert kommen. Für alle jene, die erste Schritte in Richtung Herdenschutz unternehmen wollen, haben wir aber ein Maßnahmenpaket geschnürt“, präsentiert LHStv Geisler eine Reihe von Initiativen.
Landes-APP informiert über Wolfspräsenz
Mit Beginn der kommenden Almsaison wird das Land Tirol im Rahmen der Landes APP eine Anwendung anbieten, die die Öffentlichkeit umgehend über eine allfällige Wolfspräsenz informiert. Für Tiere, die in einer solchen Situation von den Almen geholt werden, übernimmt das Land Tirol schon jetzt die Futterkosten. Ebenfalls bereits in Kraft ist ein neues, gut funktionierendes Entschädigungsmodell für gerissene Tiere.
Weidelenkung als Vorstufe
Die Machbarkeitsstudie Herdenschutz hat gezeigt, dass eine gezielte Weideführung der Schafe in den weitläufigen Almgebieten die Voraussetzung für die spätere Umsetzung konkreter Herdenschutzmaßnahmen ist. Eine gelenkte Beweidung anstatt des freien Weidegangs der Schafe wirkt sich zudem positiv auf die Nutzung der vorhandenen Futterflächen und auf die Biodiversität aus. „Bewirtschaftern von Schafalmen, die sich für eine gezielte Weideführung interessieren, bieten wir Almbegehungen mit unseren Experten an“, erläutert Geisler. Diese würden vor Ort auch die Machbarkeit von Herdenschutzmaßnahmen einschätzen.
Pilotprojekte
In ein bis zwei Almgebieten sollen die gelenkte Weideführung und in weiterer Folge Herdenschutzmaßnahmen in einem Pilotprojekt mit Unterstützung des Landes ganz gezielt umgesetzt und erprobt werden. Welche Almen das sein werden, steht noch nicht fest. Auf die Förderung von Herdenschutzzäunen verzichtet man in Tirol vorerst. Erfahrungen aus Nachbarländern haben gezeigt, dass die Förderungen selbst bei steigendem Wolfsdruck kaum angenommen werden. Für den Akutfall stellt das Land Tirol seit vergangenem Jahr acht Notfall-Kits mit Stromversorgung und 300 Laufmetern Elektrozaun zum Ausleihen bereit.
www.tirol.gv.at/baer-wolf- luchs