Von: luk
Bozen/Rovereto – Sandro Canestrini ist verstorben. Der Rechtsanwalt aus Rovereto ist in der Nacht im Alter von 97 Jahren entschlafen. Der Südtiroler Heimatbund hat Canestrini als Kämpfer für Gerechtigkeit und die Menschenrechte gewürdigt. Auch die Freiheitlichen, der Schützenbund und die Süd-Tiroler Freiheit würdigen den Trentiner.
“Ein treuer und lieber Freund ist von uns gegangen”
“Es schmerzt alle patriotischen Kräfte, besonders aber die noch lebenden ehemaligen politischen Südtiroler Häftlinge der Sechzigerjahre, die das Glück hatten, ihn persönlich kennen zu dürfen, dass Sandro Canestrini diese Welt mit der Ewigkeit vertauschen musste”, so Roland Lang, Obmann des Südtiroler Heimatbundes, in seiner Aussendung.
Canestrini hatte als Partisan gegen die Faschisten gekämpft und in den Terrorprozessen der 1960er-Jahre die Südtirol-Aktivisten verteidigt, in seiner Karriere als Anwalt hat er auch Minderheiten, Opfer der Mafia und Wehrdienstverweigerer vertreten. Er war auch politisch aktiv und saß für die Kommunistische Partei im Regionalrat. 2006 hat Sandro Canestrini das Verdienstkreuz des Landes Tirol erhalten, außerdem ist er mit dem Ehrenkranz des Südtiroler Schützenbundes und mit dem Ehrenring der Gemeinde Neumarkt ausgezeichnet worden.
“Nach dem Kriege zunächst KPI-Gemeinderats- und Regionalratsabgeordneter, musste er in der Folge erkennen, dass die Ideologie des Kommunismus eine demokratische Entwicklung nicht zuließ. Da sein Gewissen ihm den geraden Weg vorschrieb und er mit seiner Kritik nicht hinter dem Berg hielt, wurde er nicht mehr zur Kandidatur aufgestellt. Der Rechtsanwalt Sandro Canestrini stand in den folgenden Jahren haushoch über den Ideologien. In seiner langen und ruhmreichen Anwaltslaufbahn verteidigte und vertrat er die Schwachen, die Verfolgten – ohne die lächerliche Figur eines verbohrten Eiferers abzugeben. Zu seinen Schutzbefohlenen gehörten die Opfer der Mafia ebenso wie die Wehrdienstverweigerer aus Gewissensgründen, die Opfer von Spekulanten, die Überlebenden faschistischer und nazistischer Konzentrationslager, die inhaftierten Südtiroler Freiheitskämpfer und immer wieder die Verfolgten wegen des Rechtes auf freier Meinungsäußerung”, so Lang.
Eintreten für die Gefolterten und Verfolgten
“Noch als Abgeordneter hatte er im Regionalrat in Trient Briefe gefolterter Südtiroler Häftlinge verlesen und damit den geballten Zorn italienischer Nationalisten auf sich gezogen. 1963 stellte er als Anwalt der gefolterten Südtiroler Häftlinge im Trienter Carabinieriprozess die Vertuschungs-Praktiken des Staates, der Carabinieri und der Gerichtsbehörden an den Pranger und erklärte im Gerichtssaal, dass das Dulden der Tortur jenem rassistischen Denken entspringe, aus welchem einst der Faschismus und der Nationalsozialismus entstanden seien. Ebenso unerschrocken, mutig und mit Überzeugung verteidigte Canestrini im großen Mailänder Südtirolprozess die angeklagten Südtiroler Freiheitskämpfer. In späteren Jahren wurde Sandro Canestrini auch zum persönlichen engen Freund ehemaliger Freiheitskämpfer, wie etwa dem ehem. Bundesobmann des Südtiroler Heimatbundes Hans Stieler, und er erhob seine Stimme in der Öffentlichkeit, wenn es um Grundsätzliches ging, sei es auf einer antifaschistischen Kundgebung des Südtiroler Schützenbundes, sei es in Leserbriefen gegen die Beibehaltung der faschistischen Tolomei-Ortsnamen”, erklärt Lang.
Verdiente Anerkennung
1993 ehrte ihn der Südtiroler Schützenbund mit dem „Ehrenkranz“ für die „Verteidigung der demokratischen Bürgerrechte“ und 2006 wurde ihm für seinen „tätigen Einsatz um die Menschenrechte“ das „Verdienstkreuz des Landes Tirol“ verliehen:
Als ihm durch die Nordtiroler Landesregierung die Ehrung mitgeteilt und er zur Verleihung eingeladen wurde, schrieb Sandro Canestrini zurück, dass er die Ehrung aus vollem Herzen annehme:
Die höchste Auszeichnung, die mir verliehen wurde, das Verdienstkreuz, erfüllt mich mit lebhafter Freude und erweckt in mir wieder viele Erinnerungen. Es hat mir große Freude bereitet, dass das Land Tirol daran gedacht hat, einen Welschtiroler, einen Italiener, auszuzeichnen.Ich habe immer darauf gehofft, in einer Welt ohne politische Prozesse und ohne Folter zu leben, in welcher jeder das Recht hat, seine eigene Meinung zu sagen, ohne den Kerker fürchten zu müssen. Ich kann nun die Schlussfolgerungen aus meiner Tätigkeit und aus meinem Leben ziehen. Während meines ganzen Lebens habe ich für die Freiheit gekämpft, für die Brüderlichkeit und für die Gerechtigkeit – zum Teil in Gesellschaft anderer, zum Teil allein. Ich denke, dass die Zukunft Tirols so sein sollte, dass sie ein arbeitsames und ausgeglichenes Leben für alle Bürger ermöglicht. Die Anliegen der Gerechtigkeit sollen erfüllt werden ohne jene Diskriminierungen, die es seit 1918 zwischen den Bürgern italienischer und deutscher Zunge gegeben hat. Ich schließe mit der Hoffnung, dass diese meine Auszeichnung auch von jenen jungen Anwälten, die nun ihren Berufsweg beginnen, als Botschaft verstanden wird: Es ist gut, zu arbeiten, aber vor allem ist es wichtig, Ideale zu haben!
Diese Botschaft hat Canestrini auch immer wieder jungen Leuten nahe zu bringen versucht. „Für mich“,so hat er im Jahre 2009 vor einer studentischen Versammlung in Montichiari erklärt, „stellt der Beruf des Advokaten eine Mission dar, einen kämpferischen Auftrag gegen die Macht.“
“Unser treuer Welschtiroler und Südtiroler Landsmann Sandro Canestrini hat Zeit seines Lebens alles getan, um einer gerechteren Welt einen Schritt näher zu kommen. Wenn wir für Freiheit, Toleranz und Selbstbestimmung eintreten, so handeln wir auf einer Linie, die zu ziehen er geholfen hat. Auf Wiedersehen, lieber Avvocato! Unser Mitgefühlt gilt seiner Familie, er selbst wird immer in unseren Herzen sein”, so der Südtiroler Heimatbund.
Freiheitliche würdigen Sandro Canestrini
Die Freiheitlichen nehmen Anteil am Ableben von Sandro Canestrini. Als Widerstandskämpfer gegen Faschismus und Nationalsozialismus, als Jurist und als Politiker habe sich der gebürtige Roveretaner in seinem Tun und Handeln stets als aufrechter und unerschütterlicher Kämpfer für Gerechtigkeit und die Verteidigung von Minderheitenrechten gezeigt.
„Sandro Canestrini war einer, der über die Grenzen der damals vorherrschenden ethnischen Zwietracht hinausdachte, ein edler Kämpfer für Gerechtigkeit, eine wahre Persönlichkeit des letzten Jahrhunderts Gesamttiroler Geschichte, die nun vielen als Vorbild in Erinnerung bleiben wird. Als Rechtsanwalt verteidigte er in den großen politischen Prozessen, allen voran im Mailänder Prozess 1956, selbstlos die von den staatlichen Schergen inhaftierten und gefolterten Südtiroler Freiheitskämpfer. Als Politiker und Intellektueller sprach er sich vehement für die Abschaffung der von Tolomei frei erfundenen faschistischen Ortsnamen sowie für die Schleifung von faschistischen Relikten aus“, so der freiheitliche Obmann Leiter Reber.
„Dabei ging es dem vielfach geehrten Canestrini nie um Deutsch oder Italienisch, sondern um die Sache der Gerechtigkeit, wie er 2006 bei einer Danksagung für die Verleihung des Tiroler Landesverdientskreuzes zum Ausdruck brachte: ‚Ich denke, dass die Zukunft Tirols so sein sollte, dass sie ein arbeitsames und ausgeglichenes Leben für alle Bürger ermöglicht. Die Anliegen der Gerechtigkeit sollen erfüllt werden ohne jene Diskriminierungen, die es seit 1918 zwischen den Bürgern italienischer und deutscher Zunge gegeben hat.’ Canestrinis Vermächtnis sollte uns Tirolern von heute als Inspiration, seine Ideale uns als Vorbild gelten“, so Leiter Reber abschließend.
Schützenbund: “Ein Leben lang Kämpfer für die Gerechtigkeit”
Der Südtiroler Schützenbund trauert um den gebürtigen Rufreiter Rechtsanwalt Dr. Sandro Canestrini, der im Alter von 97 Jahren verstorben ist und drückt ihm seine Hochachtung für sein Lebenswerk aus.
Sandro Canestrini, der bereits während des Zweiten Weltkriegs im Widerstand gegen die Nationalsozialisten gekämpft hatte, wurde schon 1993 „für seine Verdienste um die „Verteidigung der demokratischen Bürgerrechte“ mit dem Ehrenkranz des Südtiroler Schützenbundes ausgezeichnet. 1992 wurde Canestrini zum „Trentino dell’anno“ gekürt, und 2006 wurde ihm „für seinen tätigen Einsatz um die Menschenrechte“ das Verdienstkreuz des Landes Tirol verliehen.
“Canestrini hat Zeit seines Lebens tirolische Grundwerte gelebt. Er verkörperte jenen Tiroler Menschenschlag italienischer Zunge, von dem man sich wünscht, dass es mehr geben sollte. Unvergessen bleibt sein Auftritt bei der Kundgebung „Gegen Faschismus – Für Tirol“ am 8. November 2008 in Bozen, bei welcher er als italienischer Mitbürger allen faschistischen Denkmälern jede Existenzberechtigung absprach”, so der Schützenbund.
Dr. Sandro Canestrini hat sich ein Leben lang für die Minderheiten und für die Ausgegrenzten stark gemacht. Als Mitglied von Amnesty International, als Vorsitzender des „Movimento per la pace“, und vor allem als erfolgreicher Strafverteidiger in vielen großen Prozessen der Justizgeschichte Italiens, nicht zuletzt als Anwalt der Südtiroler Freiheitskämpfer beim Mailänder Prozess.
STF: “Unerschrockener Kämpfer für Gerechtigkeit”
Die Bewegung Süd-Tiroler Freiheit trauert mit den Angehörigen um Sandro Canestrini und spricht ihnen tiefes Beileid aus. Die Bewegung würdigt Sandro Canestrini als “unerschrockenen Kämpfer für Recht und Gerechtigkeit, für Menschenrechte und Menschenwürde und als Verteidiger der Ideale Demokratie und Freiheit.”
“Sandro Canestrini hat ohne Ansehen der Person und ohne ideologische Vorbehalte Schwache und Minderheiten gegen Willkür – häufig des Staates – verteidigt und ihnen ihre Würde wiedergegeben.
So hat er in den großen Prozessen der 60-er Jahre, vor allem in den Mailänder Prozessen, die politischen Südtiroler Häftlinge nicht nur mutig, sondern auch mit Herz vertreten. Menschen wie ihm ist es zu verdanken, dass die Wahrheit über die Geschichte und das Schicksal Südtirols in Italien bekannt gemacht wurden. Nicht minder mutig und unerschrocken hat er dafür gesorgt, dass die Folter-Carabinieri vor Gericht gebracht, und so die Grausamkeiten und Verletzungen der Menschenwürde ans Licht gebracht wurden. Sandro Canestrini ist seiner persönlichen Überzeugung treu geblieben und hat sich nie gescheut, Zeichen zu setzen. Für seine Glaubwürdigkeit und Rechtschaffenheit spricht die Tatsache, dass er der Kommunistischen Partei den Rücken gekehrt hat, als die Sowjetunion 1968 die Tschechei besetzte und damit die Freiheitsbestrebungen eines ganzen Volkes gewaltsam zunichte machte”, so die Süd-Tiroler Freiheit.