Von: mk
Robotyne/Bachmut – Die Ukraine meldet neue Erfolge bei ihrer Gegenoffensive. Sowohl an der Ost- als auch an der Südfront hätten die Streitkräfte weitere Gebiete befreit, erklärte Vize-Verteidigungsministerin Hanna Maljar. Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock traf am Montag unterdessen überraschend zu einem Besuch in Kiew ein.
Bei ihrer Ankunft sagte Baerbock der Ukraine anhaltende Unterstützung auf dem Weg in die Europäische Union zu, pochte aber auch auf weitere Reformbemühungen. Die Ukraine verteidige “auch unser aller Freiheit. So wie sich die Ukraine vor uns stellt, kann auch sie sich auf uns verlassen” – etwa darauf, dass Deutschland der Ukraine auf ihrem Weg in die Europäische Union entschlossen unter die Arme greife.
Im Osten seien in der vergangenen Woche rund um die Stadt Bachmut fast zwei Quadratkilometer zurückerobert worden. Darunter zählt auch ein Teil des Dorfes Opytne südlich der Stadt Awdijiwka. Die russischen Truppen hatten das Gebiet im Mai eingenommen.
❗️The Armed Forces of 🇺🇦Ukraine liberated part of Opytne near Donetsk, – Deputy Minister of Defense of Ukraine Malyar.
During the week, Ukrainian troops also had partial success in the Novomaiors’ke region of the Donetsk region. pic.twitter.com/5VBum760N2
— 🇺🇦Ukrainian Front (@front_ukrainian) September 11, 2023
Seit Beginn der Gegenoffensive vor rund drei Monaten habe das ukrainische Militär 49 Quadratkilometer in der Nähe von Bachmut befreit, hieß es.
Operativ bedeutsame Erfolge auch im Süden
Im Süden seien in der vorigen Woche 1,5 Quadratkilometer zurückerobert worden. Erfolge hätten die ukrainischen Truppen südlich der Ortschaft Robotyne und westlich des Dorfes Werbowe in der Region Saporischschja erzielt.
Im Raum Tokmak wurde am Sonntag bestätigt, dass die Ukraine eine der wichtigsten Versorgungsstraßen am Brückenkopf gesichert und mit der Verstärkung begonnen hat. Ein Brückenkopf ist eine begrenzte militärische Stellung auf feindlich besetztem Gebiet jenseits eines Gewässers.
Die Ukrainer setzten laut russischen Quellen täglich mindesten zwei Transporthubschrauber in sehr geringer Höhe ein, um Munition nachzuliefern. Vor allem der südliche Abschnitt der Straße nach Robotyne verlief direkt vor den russischen Schützengräben und Befestigungen. Die Russen hatten damit die vollständige Feuerkontrolle.
Kürzlich veröffentlichte Aufnahmen zeigen jedoch, wie die Russen die Gräben und die Befestigungen neben der Straße beschießen, was darauf hindeutet, dass die Ukrainer die Russen auch aus ihren Stellungen westlich von Robotyne vertrieben haben. Bisher gibt es keine Hinweise darauf, dass die beiden Grabennetze in der Nähe unter ukrainischer Kontrolle stehen. Die meisten Quellen suggerieren allerdings, dass sich das gesamte Gebiet zumindest in der Grauzone befindet.
Da die Russen wichtige Befestigungen um Robotyne verloren und sich in allen Richtungen zurückgezogen haben, ließ der Druck auf die ukrainische Logistik nach. Die Ukrainer verstärkten deshalb zusehends ihre Angriffe auf Werbowe und durchbrachen dabei kürzlich eine weitere Verteidigungslinie.
Die zweite Verteidigungslinie besteht aus mehreren Befestigungslinien. Die Russen setzten einen Panzergraben und Drachenzähne ein, um einen mechanisierten Durchbruch zu verhindern. Die zweite Befestigungslinie war auf die Abwehr von Infanterie ausgelegt. Bereits vor rund einer Woche ist es den Ukrainern gelungen, die Drachenzähne zu passieren. Nach einer kurzen taktischen Pause bereiteten sich die Ukrainer auf einen zweiten kraftvollen Vorstoß vor, wie russische Analysten erklärten. Die Region wurde mit Elementen der 82. Brigade verstärkt.
Der Hauptangriffsvektor der Ukraine lag südlich von Werbowe, wobei die Ukrainer tief eindrangen, um die russische Versorgung des Dorfes zu unterbrechen. Nach einer Reihe von Bodenoperationen, die auf die Artellerie mit Streumunition und Drohnenangriffen folgten, wurde die russische Verteidigung südlich von Werbowe durchstoßen. Ukrainische Kämpfer veröffentlichten ein Video, das bestätigt, dass sie die Kontrolle über neue Schützengräben übernommen haben.
Um einen vollständigen Einbruch der Front zu verhindern, setzten die Russen ihre Luftwaffe ein und warfen massive Bomben auf die Felder, um dem Vorrücken der Ukrainer einen Riegel vorzuschieben. Angesichts des übermächtigen Widerstands beschlossen die Ukrainer, sich auf die Verbreiterung der Kontrolle über die zweite Verteidigungslinie zu konzentrieren, um diese vollständig abzuschneiden.
Weil die Russen bemerkten, dass die Lage um Werbowe kritisch ist, begannen sie mit dem Bau neuer Verteidigungsanlagen östlich von Werbowe. Satellitenaufnahmen zeigen, dass die Russen zuvor nur einen Graben zur Abwehr von Fahrzeugen errichtet hatten und nun auch Drachenzähne dahinter gesetzt haben. Insgesamt durchbrachen die Ukrainer alle Befestigungslinien, die die zweite Verteidigungslinie bildeten. Ihr Ziel ist es nun, den eingekerbten Brückenkopf in feindlichem Gebiet zu erweitern. Analysten zufolge sind die Gewinne durchaus operativ bedeutsam: Russische Gegenangriffe seien weniger erfolgreich als früher, weil die Ukrainer die eroberten Befestigungen nutzen können, um die Russen besser abzuwehren.
Bohrinseln zurückerobert
Die Ukraine hat nach Angaben ihres Militärgeheimdienstes außerdem mehrere Bohrinseln in der Nähe der von Russland 2014 annektierten Halbinsel Krim zurückerobert. Offenbar handelt es sich um die sogenannten Boiko-Bohrtürme, die seit 2015 von Russland besetzt gewesen sind. Seit Beginn des Kriegs im Februar 2022 hat Russland die Plattformen für militärische Zwecke genutzt.
Die Ukraine wehrt seit über 18 Monaten eine russische Invasion ab. Vor gut 14 Wochen hat Kiew eine lang angekündigte Gegenoffensive gestartet, in deren Verlauf bisher rund 250 Quadratkilometer zurückerobert werden konnten. Moskau besetzt einschließlich der bereits 2014 annektierten Schwarzmeerhalbinsel Krim weiter rund 100 000 Quadratkilometer ukrainischen Staatsgebiets.
Die Ukrainer haben nach Einschätzung des Militärexperten Carlo Masala einem Zeitungsbericht zufolge eine Erfolgschance von 40 bis 50 Prozent, bis zum Ende des Jahres die verbliebenen russischen Abwehrstellungen zu überwinden. “Ja, das ist realistisch”, sagte Masala den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Montagausgabe) auf die Frage, ob er die dementsprechende Einschätzung des US-Militärgeheimdienstes Defense Intelligence Agency teile. “Das hängt allerdings von mehreren Faktoren ab: Wie reagieren die Russen? Haben sie noch genug Reserven? Werden die Ukrainer die relativ kluge Operationsführung beim Durchbruch durch die ersten beiden Verteidigungslinien fortsetzen? Und: Können Sie ihre Verluste minimieren?” Entscheidend sei, dass die ukrainischen Streitkräfte die russischen Verbände in Bewegung halten können. “Wenn ihnen das nicht gelingt, haben die Russen die Möglichkeit, sich wieder einzugraben.” Die Ukrainer benötigten vor allem Nachschub an Munition, Ersatzteilen und Artilleriesystemen.