Ukrainischer Chefverhandler Umjerow: Lösung nur bei Treffen mit Putin

Ukraine und Russland einig über weiteren Gefangenenaustausch

Montag, 02. Juni 2025 | 19:46 Uhr

Von: APA/dpa/Reuters

Die Ukraine und Russland haben bei Verhandlungen in Istanbul einen weiteren Austausch von Gefangenen vereinbart. Der ukrainische Verteidigungsminister Rustem Umjerow sagte vor Journalisten, dabei gehe es zuerst um einen Austausch schwer verletzter und schwer kranker Kriegsgefangener. Und die zweite Kategorie seien junge Soldaten zwischen 18 und 25 Jahren. Dabei gelte das Prinzip “alle gegen alle”. Geeinigt habe man sich also auf konkrete Kategorien “und nicht auf Ziffern”.

Der Leiter der russischen Delegation Wladimir Medinski bestätigte die Vereinbarung über den Austausch von Gefangenen in den genannten Kategorien. Ihm zufolge werde angestrebt, in beiden Gruppen jeweils mindestens 1.000 Kriegsgefangene auszutauschen. Zusätzlich wurde beiden Seiten zufolge auch ein Austausch von 6.000 Leichen getöteter Soldaten vereinbart.

Dafür solle es eine kurze Waffenruhe von zwei, drei Tagen an verschiedenen Frontabschnitten geben, damit beide Seiten ihre Toten bergen könnten. “Dies wird nun von unseren militärischen und den ukrainischen Fachleuten ausgearbeitet”, sagte Medinski.

Ukraine: Lösung nur bei Treffen Selenskyj-Putin

Kiew schlug Umjerow zufolge den Russen zudem Ende Juni als nächsten Termin für Folgegespräche vor. Die Ukraine forderte außerdem erneut ein Treffen auf höchster Ebene: “Alle Schlüsselfragen können nur auf Ebene der Führungsspitze gelöst werden”, sagte Umjerow und sagte, auch eine Teilnahme des US-Präsidenten Donald Trump sei möglich. Umjerow schlug vor, bis Ende Juni ein Treffen der beiden Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und Wladimir Putin zu organisieren.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan äußerte die Hoffnung, dass es schon bald zu einem direkten Treffen zwischen Putin und Selenskyj in der Türkei kommen werde. Daran könne auch Trump teilnehmen, sagte Erdogan nach dem russisch-ukrainischen Treffen in Istanbul.

Bezüglich der angestrebten Waffenruhe seien die beiderseitigen Vorschläge übergeben worden. Man sei derzeit noch dabei, das russische Dokument auszuwerten, sagte der Sprecher des ukrainischen Außenministeriums, Heorhij Tychyj. “Der Plan ist ziemlich ausführlich”, sagte Medinski in Istanbul. Der erste Teil beinhalte Moskaus Vorstellungen für die Erreichung eines dauerhaften Friedens. Der zweite Teil liste – in verschiedenen Varianten – Schritte auf, um eine vollständige Waffenruhe zu erreichen. Laut Berichten staatlicher russischer Medien macht die erste Option zur Bedingung, dass die Ukraine mit einem Abzug all ihrer Truppen aus den vier ukrainischen Regionen beginnt, die Russland für sich beansprucht. Die zweite Option wäre Teil eines größeren Pakets, das aber mehrere Bedingungen beinhalte.

Gespräch dauerte nur eine Stunde

Das Gespräch in Istanbul am Montag habe etwa eine Stunde gedauert, meldeten die staatliche Nachrichtenagentur TASS und die Agentur Interfax unter Berufung auf eigene Quellen. Eine Fortsetzung im weiteren Tagesverlauf sei nicht vorgesehen.

Die Ukraine übergab nach eigenen Angaben den russischen Vertretern bei dem Treffen eine Liste mit den Namen nach Russland verschleppter, ukrainischer Kinder, damit diese wieder in ihre Heimat zurückkehren könne. Russland habe eine Liste mit Namen von 339 Kindern erhalten, sagte Medinski. Die Fälle würden nun geprüft. Kinder und ihre Eltern sollen zusammengeführt werden, hieß es. Die russische Delegation habe nur zugesagt, die Rückkehr von zehn Kindern vorzubereiten, sagte Selenskyj.

Ukraine übergibt Russland Liste verschleppter Kinder

“Es geht um Hunderte Kinder, die Russland gesetzwidrig deportierte, zwangsweise umsiedelte oder in den temporär besetzten Gebieten festhält”, schrieb der Chef des ukrainischen Präsidentenbüros, Andrij Jermak, bei Telegram. Die Rückkehr dieser Kinder sei Teil eines gerechten und stabilen Friedens. “Nun ist Russland am Zug”, schrieb er weiter.

Nach früheren Angaben aus Kiew hatte Moskau mehr als 19.500 ukrainische Minderjährige aus den eroberten Gebieten “zwangsverschleppt”. Mehr als 1.000 konnten dabei auch durch internationale Vermittlung in die Ukraine zurückkehren. Über 160 aus ukrainischer Sicht verschleppte Kinder fanden sich teils mit ihren gesetzlichen Vertretern in Deutschland wieder. 2023 hatte der Internationale Strafgerichtshof wegen des Vorwurfes der Verschleppung von ukrainischen Kindern Haftbefehle gegen den russischen Staatschef Wladimir Putin und die russische Kinderbeauftragte Maria Lwowa-Belowa ausgestellt.

Bei den zweiten direkten Gesprächen zwischen den Kriegsparteien nach dem 16. Mai im Çırağan-Palast in Istanbul sollte es eigentlich um Wege aus dem seit drei Jahren dauernden Krieg Russlands gegen die Ukraine gehen. Kiew hatte dazu im Vorfeld eine bedingungslose 30-tägige Waffenruhe als ersten Schritt gefordert. Moskau hatte eine Feuerpause jedoch an Bedingungen geknüpft, zu denen ein Verzicht westlicher Staaten auf Waffenlieferungen an die Ukraine gehört. Kiew wiederum sollte die Mobilmachung von Soldaten einstellen.

“Die Augen der ganzen Welt”

Vor Beginn der zweiten Gesprächsrunde sagte der türkische Außenminister Hakan Fidan als Gastgeber: “Die Augen der ganzen Welt sind auf die Kontakte hier gerichtet.”

Aus ukrainischen Verhandlungskreisen verlautete, man sei bereit, echte Schritte zu einem Frieden zu unternehmen. Russland müsse aber Bereitschaft zu Fortschritten zeigen, “anstatt nur die gleichen früheren Ultimaten zu wiederholen”. Nach Angaben von Medinskij hat Russland vor den Gesprächen den ukrainischen Entwurf eines Memorandums für ein Friedensabkommen erhalten.

In Istanbul befanden sich zudem ranghohe Vertreter europäischer Staaten, darunter auch Deutschlands. “Die europäischen Partner sind … auf der Ebene der außen- und sicherheitspolitischen Berater in Istanbul”, sagte der deutsche Regierungssprecher Stefan Kornelius in Berlin. Diese könnten sich in die Gespräche einbringen, wenn dies gewollt sei. “Und das ist unser Beitrag, auch um zu zeigen, dass es sich hier auch um den festen Willen Europas handelt, einen Waffenstillstand herbeizuführen.”

Die Gespräche in Istanbul waren die zweiten direkten Verhandlungen nach der ersten Runde im Mai. Davor hatte es zuletzt 2022 solche direkten Verhandlungen über ein Ende des Krieges gegeben. Sie scheiterten damals.

Das Treffen fand einen Tag nach einem massiven ukrainischen Drohnenangriff auf russische atomwaffenfähige Langstreckenbomber in Sibirien und anderen Regionen statt. Einflussreiche russische Kriegsblogger forderten die Regierung in Moskau zu einem harten Vergeltungsschlag auf. Die getroffenen Bomber sind ein Schlüsselfaktor im russischen nuklearen Arsenal. Öffentlich zugängliche Satellitenbilder zeigten, dass Russland erhebliche materielle Verluste erlitt. Zu dem Drohnenangriff auf russische Militärflugplätze sagte Selenskyj, der Einsatz habe dazu beigetragen, dass die Partner der Ukraine wieder mehr Vertrauen in die Abwehrfähigkeiten der Ukraine gegen Russland fassen könnten.

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