Von: mk
Bozen – In der touristischen Hochsaison im Sommer verwandeln sich Südtirols Passstraßen Jahr für Jahr in eine Art Motodrom. Neben dem regulären Ausflugsverkehr sorgen zehntausende Motorräder, Sportwagen-Rundfahrten, Oldtimer-Sternfahrten und andere Motorsportevents für Belastung und Ärger. Allein am Timmelsjoch wurden 2024 erstmals über 100.000 Motorräder gezählt. Die Folgen seien gravierend, erklärt der Heimatpflegeverband.
Die Palette reicht von gefährlichen Verkehrssituationen über hohe Schadstoffemissionen bis hin zu dauerhafter Lärmbelastung für ganze Täler. Eine Minderheit an PS- und Lärmbegeisterten schränke die Lebensqualität einer großen Mehrheit von Anwohnern, Wanderern, Radfahrern und Gästen ein, so die Heimatpfleger.
„Strukturelle Probleme und politische Untätigkeit“
Südtirol leidet laut Heimatpflegeverband besonders unter dieser Entwicklung: „Die schnelle Erreichbarkeit aus dem Norden und Süden Europas, die gut ausgebaute, ganzjährig mautfreie Straßeninfrastruktur und eine Tourismuswerbung, die gezielt Motorrad- und Sportwagenfahrer anspricht – etwa am Timmelsjoch – haben einen Trend begünstigt, der längst aus der Zeit gefallen ist.“ Selbst lokale Autoverleiher hätten die Lücke erkannt und würden leistungsstarke Sportfahrzeuge als touristisches Erlebnisprodukt anbieten. „Die Politik hat bislang – trotz vereinzelter Anläufe – keine wirksamen Maßnahmen zur Entschärfung der Situation ergriffen“, so der Heimatpflegeverband.
„Erholungsraum statt PS-Arena“
Dabei sei die Lärm- und Verkehrsbelastung keine Naturgewalt. „Unsere Bergregionen, einschließlich der Passstraßen, sind wertvolle Erholungsräume, Lebensräume für Tiere und oft gesetzlich geschützte Landschaften – etwa im Nationalpark Stilfser Joch, in den Naturparken des Landes oder im UNESCO-Weltnaturerbe Dolomiten“, betonen die Heimatpfleger. Die unbegrenzte Nutzung des eigenen Fahrzeugs stehe in Widerspruch zu einem Land, das bis 2035 den motorisierten Individualverkehr um 25 Prozent senken und bis 2040 klimaneutral werden will.
Beispiele aus dem Alpenraum zeigen Alternativen auf
Dass es anders geht, zeigen laut Heimatpfleger Beispiele aus Nachbarregionen: In Tirol etwa hat der Bezirk Reutte seit 2020 auf sechs langen Straßenabschnitten ein Fahrverbot für besonders laute Motorräder mit über 95 dB Standgeräusch eingeführt. Die Maßnahme wurde vom Land Tirol evaluiert – mit dem Ergebnis: Der Lärm ist deutlich zurückgegangen, die Bevölkerung begrüßt das Fahrverbot, das Land hält daran fest.
Die Großglockner-Hochalpenstraße in Österreich ist ein weiteres Beispiel: Dort werden für die Durchfahrt von Motorrädern und Autos in den Sommermonaten hohe Mautgebühren erhoben. Das hat den Verkehr massiv reduziert – heute fahren nur noch etwa halb so viele Fahrzeuge wie in den 1990-er Jahren. Ein öffentlicher Shuttlebus bietet eine umweltfreundliche Alternative.
Positiv ist das Beispiel des Veltlins (Provinz Sondrio), wo auf mehreren Passstraßen jährlich mindestens 20 autofreie Rad- und Wandertage organisiert werden – und diese Zahl wächst stetig. „Die Beliebtheit dieser Veranstaltungen zeigt: Es gibt ein Bedürfnis nach Ruhe, Bewegung und Naturerlebnis. Ein mögliches Ziel dieses Ansatzes wäre es, umweltfreundliche Mobilität – also Radfahrer, Wanderer und Shuttlebusse – zur Regel zu machen und motorisierten Verkehr auf einzelne Tage zu beschränken, für jene, die nicht darauf verzichten möchten“, erklärt der Heimatpflegeverband.
In Südtirol hingegen sei ein bereits 2022 unterzeichnetes Protokoll für die Einrichtung einer „Dolomiti Low Emission Zone“ bis heute nicht umgesetzt worden. Die geplante Einführung eines Online-Buchungssystems mit Tageskontingenten für die Zufahrt zu besonders belasteten Dolomitenpässen sei im Frühjahr 2024 ohne Angabe von Gründen auf unbestimmte Zeit verschoben worden – obwohl die Grundlage zur Umsetzung längst gelegt gewesen sei. „Hier wurde eine große Chance vertan“, so der Heimatpflegeverband
Klare Maßnahmen gefordert
Der Heimatpflegeverband fordert seit Jahren eine grundlegende Neuausrichtung der Verkehrspolitik auf den Südtiroler Passstraßen. „Eine echte Verkehrsreduzierung braucht mutige Entscheidungen: Dazu zählen zeitliche Sperren für den motorisierten Individualverkehr während der Sommerhochsaison sowie Lärmschutzmaßnahmen nach Tiroler Vorbild – nicht nur bezogen auf das Standgeräusch, sondern vor allem auch auf das Fahrverhalten mit starkem Beschleunigen und Bremsen. Die Geschwindigkeit muss gesenkt, die Überwachung verbessert werden“, so die Heimatpfleger.
Sie fordern die Landesregierung auf, den Landtagsbeschluss vom 8. Mai 2025 umzusetzen und gesetzliche Voraussetzungen für eine wirksame Verkehrsreduktion zu schaffen. Dazu gehöre zuerst die sofortige Umsetzung der „Dolomiti Low Emission Zone“ samt Online-Buchungspflicht. „Wir laden die (Südtiroler) Parlamentarier ein, in diesem Sinne auch auf staatlicher Ebene aktiv zu werden“, erklären die Heimatpfleger.
„Landesgesetz erlaubt Maut – jetzt umsetzen!“
Nicht zuletzt rufen die Heimatpfleger die Landesregierung auf, endlich den bestehenden Artikel 11/bis des Landesgesetzes zur Luftreinhaltung (16. März 2000, Nr. 8) anzuwenden, der die Einführung von Mautgebühren auf stark befahrenen Straßen ausdrücklich erlaube. „Gerade auf hochfrequentierten Passstraßen muss dieses Instrument jetzt zum Einsatz kommen. Wer Klimaschutz, Lebensqualität und alpine Erholung ernst meint, darf nicht länger zusehen“, so der Heimatpflegeverband.
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