Von: mk
Bozen – Die Vereinigung der Südtiroler Biologinnen und Biologen kritisiert irreführende Formulierung bei der Änderung des “Wolfsgesetzes”. Erst kürzlich genehmigte der Gesetzgebungsausschuss des Landtages eine Änderung des Landesgesetzes Nr. 11 von 2018 zur Entnahme von Großraubwild. Darin wird der Schutzstatus des Wolfs von streng geschützt auf geschützt herabgestuft. Die Zwecke für die Entnahme sind u.a. der Schutz der Tierhaltung und der Schutz der Biodiversität.
„Während eine Wolfsentnahme aus Gründen der Tierhaltung nachvollziehbar ist, ist der Abschuss von Wölfen zum Schutz der Biodiversität irreführend und wissenschaftlich nicht haltbar“, so Norbert Dejori, Vorsitzender der Vereinigung Südtiroler Biologinnen und Biologen.
Der Wolf sei Teil der alpinen Artenvielfalt und somit auch der Südtiroler Biodiversität. Durch kontinuierliche Verfolgung sei der Wolf Anfang des 20. Jahrhunderts im Alpenraum ausgestorben, erst durch Unterschutzstellung hätten sich die Bestände erholt und im letzten Jahrzehnt auch wieder Südtirol erreicht. „Der Wolf ist und war seit Jahrtausenden ein natürlicher Bestandteil der alpinen Landschaft – kein Feind der Biodiversität, sondern Teil davon“, so die Biologen.
Durch die Erfüllung seiner ökologischen Nische als Top-Beutegreifer trage der Wolf zudem zum Erhalt und Förderung dieser Biodiversität bei. Er sei ein wichtiges Glied in der Nahrungskette. So reguliere er die Präsenz von mittleren Beutegreifern wie Fuchs und Goldschakal. „Kommt der Wolf, geht der Schakal. Davon profitieren indirekt auch andere Arten, die im selben Lebensraum leben, etwa bodenbrütende Vogelarten wie Raufußhühner. Der Wolf hat auch einen Effekt auf seine bevorzugten Beutetiere Rothirsch und Reh, indem er die Gesundheit dieser Populationen positiv beeinflusst“, unterstreicht Biologe Dejori.
Die Aussage, dass die Rückkehr des Wolfs – die auf natürlichem Wege und ohne menschliches Zutun erfolgt sei, wie die Biologen betonen – zur Aufgabe der Almwirtschaft führe und dadurch ein Rückgang der Biodiversität zu befürchten sei, sei in vielerlei Hinsicht falsch oder bestenfalls irreführend.
Stabile Zahlen bei Almvieh
„Die Zahlen der auf Südtirols Almen aufgetriebenen Weidetiere sind seit Jahren weitgehend stabil, bei Ziegen und Rindern ist sogar ein leichter Anstieg zu verzeichnen, wie im Agrar- und Forstbericht 2024 schwarz auf weiß steht“, so Dejori. Demgegenüber werde der Wolf in einer seit Jahren emotional hochgeschaukelten Debatte als Hauptbedrohung für die Almwirtschaft stilisiert.
„Zu Unrecht, wie ein Blick auf die Fakten zeigt: Knapp 85 Prozent der gesamten Almabgänge von Schafen und Ziegen sind nämlich auf Krankheiten, Abstürze und Schlechtwetter zurückzuführen. Wir sprechen hier von Tausenden unbeaufsichtigt verendeten Tieren jeden Sommer, wo der Aufschrei jedoch ausbleibt“, die Biologenvereinigung, die sich auf Daten der EURAC-Studie “Almvieh in Gefahr” 2025 beruft.
Die Ursachen für die Aufgabe traditioneller Formen der Almwirtschaft – insbesondere der Schafhaltung – würden in erster Linie in den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen liegen: etwa in der drastisch gesunkenen finanziellen und gesellschaftlichen Wertschätzung von Produkten wie Wolle und Schaffleisch. Die professionelle Kleintierhaltung, auch hinsichtlich der Weidepflege, sei somit vielfach in den Bereich des Hobbybetriebs gedrängt worden.
Intensivierung der Landwirtschaft als Haupttreiber des Artenschwunds in Südtirol
„Das Bild der Landwirtschaft als Förderin der Biodiversität wird vor allem in den letzten Jahren zunehmend und pauschal propagiert – hier muss jedoch sehr stark differenziert werden“, erklärt die Vereinigung der Südtiroler Biologinnen und Biologen. Sie weißt mit Nachdruck darauf hin, dass der Hauptursache des Biodiversitätsverlusts in der Intensivierung der Landwirtschaft der letzten Jahrzehnte liege. „Wenn Landesrat Walcher der heimischen Biodiversität eine derart große Bedeutung beimisst, dass er deren Schutz explizit in Gesetzestexte aufnehmen möchte, so erwarten wir uns in naher Zukunft tiefgreifende gesetzliche Maßnahmen zur Förderung der Biodiversität auf landwirtschaftlich genutzten Flächen – denn gerade dort ist sie am stärksten bedroht“, betont Dejori in der Aussendung.
Auch bei der Almwirtschaft lasse sich der Schutz der Biodiversität nicht plakativ an die Wand malen. Ob Weiden tatsächlich zur Förderung der Biodiversität beitragen oder primär der Nahrungsmittelproduktion bzw. landschaftspflegerischen Zwecken dienen, hänge wesentlich von Faktoren wie dem Viehbesatz, der Beweidungsintensität, Düngung oder Mahdpraktiken ab. „Almwirtschaft kann, muss aber nicht die Biodiversität fördern. Eine völlige Auflassung und Verbuschung führt jedoch in fast allen Fällen zu einem Rückgang der Artenvielfalt“, so die Biologinnen und Biologen.
Der Begriff der Biodiversität verlange Verantwortung. Damit Politik zu machen und eigene Interessen zu verfolgen, ohne dabei über das nötige ökologische Hintergrundwissen zu verfügen, sei das eine. Den Begriff in Gesetzestexten politisch zu missbrauchen – sei es aus Unwissenheit oder aus Instrumentalisierung – lehne die Vereinigung Südtiroler Biologinnen und Biologen in Zeiten der Biodiversitätskrise jedoch entschieden ab, heißt es in der Aussendung weiter.
Mehr pragmatische Unterstützung für Viehalter gefordert
Die Vereinigung Südtiroler Biologinnen und Biologen wünscht sich in der Wolfsthematik weniger Instrumentalisierung und mehr pragmatische Hilfestellungen für die Viehwirtschaft. Der Abschuss spezifischer Wölfe, falls es überhaupt gelingt, vermöge im besten Fall, kurzfristig und lokal Probleme zu lösen. „Der Wolf ist gekommen, um zu bleiben. Langfristig sind nur präventive und deutlich effektivere Maßnahmen wie ständige Behirtung oder, wo möglich, zuverlässige Herdenschutzhunde wirksam. Die Politik ist hier dringend gefragt, die notwendige und ausreichende finanzielle Unterstützung zu gewährleisten“, so die Biologen.
Die Förderung eines professionellen Hirtenwesens zur Umsetzung des geführten Weidegangs wäre laut Vereinigung der Südtiroler Biologinnen und Biologen ein konkretes Beispiel, um landwirtschaftliche Tätigkeit mit Förderung der Biodiversität in unmittelbarer Wolfspräsenz zu verbinden. „So könnte man die wahre Win-Win-Situation erreichen, die vom Landwirtschaftslandesrat angestrebt wird“, heißt es abschließend in der Aussendung.
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