Von: luk
Bozen – Nachdem chinesische Truppen 1950 in Tibet einmarschierten und das Land besetzten, folgte 1959 der Befreiungsaufstand der Tibeter, der von den Chinesen blutig niedergeschlagen wurde. Daraufhin gingen 80.000 Tibeter, unter ihnen der Dalai Lama, ins Exil. Bis 1966 zerstörte die chinesische Besatzung rund 6.000 Klöster und Tempel, tausende Tibeter starben in Arbeitslagern und in Folge von Hungersnöten. Aus Protest gegen die chinesische Herrschaft und die soziale und kulturelle Verdrängung durch die systematische Ansiedlung von Chinesen in ihrer Heimatregion, fanden seit 1998 150 Selbstverbrennungen statt. Während es in den 80er Jahren den Anschein hatte, dass sich die Lage entspannt, ist die Beziehung zu China heute zerrüttet: Seit 2010 gibt es keine Kontakte mehr zwischen Peking und der Exilregierung Tibets. Wie wirkt sich dieser Stillstand auf die tibetischen Autonomiebestrebungen aus? Und ist das Modell der Südtirol-Autonomie für Tibet nach wie vor erstrebenswert? Am kommenden Donnerstag um 18.00 Uhr geht Lobsang Sangay diesen Fragen in einer öffentlichen Veranstaltung nach und tauscht sich mit dem Publikum über die aktuelle politische Lage im Tibet aus. Die Veranstaltung in englischer Sprache findet im Forschungszentrum Eurac Research statt und ist für alle kostenlos zugänglich.
„Seit Chinas Aufstieg zur wirtschaftlichen Weltmacht haben sich viele Staaten bei ihrer Unterstützung Tibets eine Selbstzensur auferlegt. Um ihre Beziehungen zu Peking nicht zu gefährden, vermeiden sie es, öffentlich für Tibet einzustehen. Leider hat das Verständnis für Menschenrechte, Demokratie und Umweltschutz allgemein abgenommen, insbesondere in Ländern, die Freihandelsabkommen abgeschlossen haben.“ Diese Sorgen äußerte Lobsang Sangay in einem BBC-Interview Ende 2017. Er selbst werde von der chinesischen Regierung bezichtigt, Unruhe zu stiften und als Separatist zu agieren. „Von Forderungen nach Unabhängigkeit kann nicht die Rede sein. Was wir uns für das tibetische Volk wünschen, ist eine auf Dialog basierende, gewaltfreie Lösung der Tibet-Frage, und zwar unter Berücksichtigung der Souveränität Chinas“, so Sangay.
Seit Jahren bestehen enge Kontakte zwischen der Südtiroler Landesregierung und der tibetischen Exilregierung. Außerdem beraten Wissenschaftler von Eurac Research die tibetische Exilregierung in Autonomie-Fragen. Die Südtirol-Autonomie gilt für Tibet als Musterbeispiel für ein friedliches Zusammenleben. Wie sich die jüngsten Entwicklungen auf die Autonomiebestrebungen Tibets auswirken, darüber spricht Lobsang Sangay mit dem Publikum an diesem Donnerstag von 18.00 bis 19.30 Uhr im Forschungszentrum Eurac Research.
Die Veranstaltung ist öffentlich zugänglich und findet in englischer Sprache statt. Der Eintritt ist frei.
Zur Person: Lobsang Sangay ist Premierminister der tibetischen Exilregierung und wurde 2011 von rund 50.000 Exil-Tibetern aus aller Welt gewählt und 2016 in seinem Amt bestätigt. Er war der erste Tibeter, der an der Harvard Law School in Cambridge, Massachusetts, einen Doktorabschluss in Rechtswissenschaften erwarb. Bis zu seiner Wahl arbeitete er an der renommierten amerikanischen Universität. Seither lebt er in Dharamsala (Indien), wo die tibetische Exilregierung ihren Sitz hat. Er selbst war noch nie in Tibet.