Von: ka
Bozen – Weil die ärmsten Bevölkerungsschichten unter Steuern und Kriegen litten, breitete sich 1525 in Mitteleuropa eine Protestbewegung aus. Diese erfasste auch das historische Tirol; in Südtirol führte der aus der Sterzinger Gegend stammende Michael Gaismair die Aufständischen an. Am heutigen Freitag (5. September) waren die historischen Ereignisse Thema des Symposiums „500 Jahre Bauernkrieg, 1525-2025 – Michael Gaismairs Revolte und Erbe“, das anlässlich des Tages der Autonomie vom Südtiroler Landtag in Bozen organisiert worden ist.
„Die liberale Demokratie, wie sie sich die über Jahrhunderte weiterentwickelt hat, ist unter Druck geraten“, betonte Landtagspräsident Arnold Schuler zum Auftakt „Umso wichtiger ist, zu verstehen und zu vermitteln, wie demokratische Grundwerte entstanden sind.“ Die Erinnerung an das historische Ereignis des Bauernkrieges und das Vermächtnis von Michael Gaismair biete eine solche Gelegenheit. Gaismairs Landesordnung sei als eine umfassende Verfassung Tirols gedacht gewesen – mit einer neuen Wertorientierung für das gesellschaftliche und politische Zusammenleben. Doch die Zeit für diese weitreichenden Umbrüche sei damals noch nicht reif gewesen. „Es wurde aber die Saat ausgebracht für neue Grundwerte, die heute die Basis unserer Demokratie sind.“ Diese Grundsätze seien für Südtirol als Grundlage der Autonomie und von deren Gestaltungsmöglichkeiten von besonderer Bedeutung.
Anschließend erinnerte Martha Verdorfer, stellvertretende Vorsitzende der Michael-Gaismair-Gesellschaft, an die Gründung der Gesellschaft 1976 in Innsbruck und deren Einstehen für eine „neue Tiroler Identität“. Seit 1985 gibt es auch in Südtirol eine Gaismair-Gesellschaft. Lange sei das Interesse an Gaismair gering gewesen, er als Orientierungsfigur für das oppositionelle Südtirol und Randgruppen gesehen worden. „Zum 500. Jahrestag scheint Michael Gaismair nun aber in der Mitte der Gesellschaft angekommen zu sein“, so Verdorfer. Davon zeugten zahlreiche Veranstaltungen, darunter jene im Landtag. Systemkritik und die Forderung nach Systemveränderung hätten im Mittelpunkt von Gaismairs Wirken gestanden – dies sei das Bindeglied zur Gegenwart, unterstrich Verdorfer und verwies in diesem Zusammenhang auf die „großen Herausforderungen unserer Zeit“: die wachsende soziale Ungleichheit und das Zusteuern auf den Klimakollaps.
Hannes Obermair von Eurac Research merkte an, dass Gaismair und der Bauernkrieg im Landtag spät thematisiert werden und ging in der Folge in seinem Beitrag „500 Jahre Bauernkrieg – Die Qualität einer Revolte“ u.a. auf die Beteiligten am Aufstand – neben Bauern auch Handwerker, Knappen und andere, weshalb Bauernkrieg als Bezeichnung nicht ganz zutrifft – sowie auf die Ursachen für die Unruhen in weiten Teilen Europas ein: die zunehmende Ausbeutung der Bevölkerung durch herrschende Klassen, die Kapitalkrise, die Krise des feudalen Schutzversprechens sowie die Montanwirtschaft und der Frühkapitalismus. In Südtirol begann der Aufstand im Mai 1525 mit der Befreiung des zum Tode verurteilten Peter Paßler, „Sozialrebell“ aus Antholz. Gaismair indes sei ein „Revolutionär” gewesen, allerdings einer „aus Versehen“. Der Historiker schilderte ihn als charismatischen Anführer des Aufstandes, der ein progressives, transformatorisches Programm mit dem Fokus auf die Gesellschaft hatte. Nach dem Scheitern der Revolte flüchtete Gaismair in die Schweiz; 1526 entwarf er im Exil eine neue Tiroler Landesordnung, die auf die Ehre Gottes und die Wohlfahrt ausgerichtet gewesen sei. 1532 wurde er schließlich in Padua ermordet. Mit einem Alexander-Langer-Zitat von 1984 – das Jahr des 175-Jahr-Jubiläums des Tiroler Volksaufstands und Andreas-Hofer-Gedenkjahr – verwies Obermair dann auf andere Tiroler Außenseiter und ihr Scheitern, bevor er die untergeordnete Rolle der Frauen sowohl in der Geschichte von Gaismair als auch in jener von Andreas Hofer erwähnte. Abschließend hob der Historiker hervor, dass „Wem gehört die Welt?” die zentrale Frage sei, die Gaismair und andere Revolutionäre stellten.
Die wirtschaftlichen Aspekte des „Bauernkrieges“ beleuchtete Katia Occhi: Die Wissenschaftlerin der Fondazione Bruno Kessler erinnerte an die bereits Ende des 15. Jahrhunderts immer häufigeren Aufstände gegen Grund- und Landesherren sowie die Verflechtung von religiösen und politisch-sozialen Forderungen. Die Rechte der Bevölkerung seien immer stärker eingeschränkt worden und die Verschlechterung der Lebensbedingungen auf dem Land habe zu einer Infragestellung der Ständegesellschaft geführt. Daraus hätten die Bauernkriege resultiert, die allerdings viel eher als „Aufstände des gemeinen Mannes” bezeichnet werden sollten. Die Befreiung Paßlers am Tag seiner Hinrichtung am helllichten Tag in Brixen sei zum Symbol eines breiteren Protests gegen kirchliche Willkür und Tyrannei geworden. Der Aufstand habe sich von Tirol bis ins Trentino ausgebreitet – gemeinsamer Nenner der Proteste seien steuerliche Fragen im Zusammenhang mit einer Änderung der Grundbesitzverhältnisse gewesen. Die Revolte habe mehr als 100.000 Todesopfer gefordert, bevor sie mit schwerer Repression endete.
In der Diskussion mit dem Publikum wurden unterschiedliche Themen angesprochen. U.a. die Rolle der Frauen in der Geschichte und dass es nicht ausreichend sei, Straßen nach ihnen zu benennen, etwa nach Gaismairs Ehefrau Magdalena Ganner, um die Sichtbarkeit ihrer Leistungen zu steigern. „Frauen- und Geschlechtergeschichte muss viel mehr auf Lücken hinweisen und darauf hinarbeiten, die Lücken zu schließen. Es braucht eine Veränderung in der Erinnerungskultur”, so Verdorfer. Angemerkt wurde auch, dass Gaismair an den Schulen wenig behandelt wird, obwohl er laut Occhi „eine sehr vorausschauende Vision“ hatte. Gestreift wurden ebenso die Themen Biografien von Gaismair und die Aktualität seiner Botschaft in der heutigen Zeit. Andreas Leiter Reber (Freie Fraktion) bedankte sich für die Umsetzung seines Beschlussantrags, der eine Veranstaltung zu Gaismair im Landtag gefordert hatte, und plädierte dafür, dass künftig öfter für alle offene Veranstaltungen im Landtag stattfinden.
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