Ngugi wa Thiong'o wurde 87 Jahre alt (hier 2017)

Afrikas wohl wichtigste Stimme: Autor Ngugi wa Thiong’o tot

Donnerstag, 29. Mai 2025 | 11:06 Uhr

Von: apa

Er wurde über viele Jahre hinweg alljährlich als einer der heißesten Kandidaten auf den Literaturnobelpreis gehandelt. Nun ist der aus Kenia stammende Autor Ngugi wa Thiong’o, eine der bekanntesten Stimmen Ostafrikas, am Mittwoch im Alter von 87 Jahren in seiner Wahlheimat, dem US-Bundesstaat Georgia, gestorben. Damit findet ein Lebensbogen sein Ende, der einer fast unglaublichen Emanzipations- und Aufstiegsgeschichte gleichkam.

Geboren unter britischer Kolonialherrschaft

Geboren wurde Ngugi wa Thiong’o am 5. Jänner 1938 in einem Kral im ländlichen Zentralkenia, in einer von Stammestraditionen geprägten Gesellschaft, in der selbst einfachste Bildung kein selbstverständliches Gut war. Und in einer Gesellschaft unter britischer Kolonialherrschaft. “Ich weiß nicht, welchen Platz ich unter den 24 Kindern meines Vaters und seiner vier Frauen vom Alter her einnahm, aber ich war das fünfte Kind im Haus meiner Mutter.” Schon dieser Satz auf den ersten Seiten seines Buches “Träume in Zeiten des Krieges”, dem Auftakt seiner autobiografischen Trilogie, macht die kulturellen Rahmenbedingungen deutlich, unter denen seine Kindheit stattfand. Eine uralte, patriarchalisch geprägte Stammesgesellschaft stand am Beginn ihrer Ablöse.

Die Mau-Mau-Befreiungsbewegung erhielt immer stärkeren Zulauf, die Spannungen führten zum offenen Bürgerkrieg. Die scharfe Kritik an den britischen Kolonialherren, aber auch an der damaligen kenianischen Regierung von Präsident Daniel arap Moi brachten dem Schriftsteller immer wieder Ärger mit den Behörden ein. Moi, der von 1978 bis 2002 an der Macht war, hatte Ngugi nicht nur ins Gefängnis werfen lassen, sondern sorgte auch dafür, dass er anschließend keine Lehraufträge an kenianischen Universitäten mehr erhielt. Nach Haft und Verfolgung verließ Ngugi mit seiner Familie sein Heimatland und unterrichtete seit 1992 an verschiedenen US-amerikanischen Universitäten Englische und Vergleichende Literaturwissenschaft.

Debütroman 1964

Sein unglaublicher Bildungsweg führte ihn von der Missionarsschule über die Highschool an Universitäten in Uganda und Großbritannien. 1964 feierte er mit seinem englischsprachigen Debütroman “Weep Not, Child” seinen internationalen Durchbruch. In den 1970er-Jahren legte er seinen christlichen Namen James ab und schrieb seitdem in seiner Muttersprache Gikuyu. Er erarbeitete sich damals den Ruf, eine der einflussreichsten Stimmen des afrikanischen Kontinents zu sein. Seine Werke wurden in knapp 50 Sprachen übersetzt, auf Deutsch neben seinen Erinnerungen etwa seine Romane “Verbrannte Blüten”, “Matigari” und “Herr der Krähen”.

Vier seiner Kinder wurden ebenfalls Schriftsteller – allerdings schreiben sie auf Englisch. “Dass sie nicht in einer afrikanischen Sprache schreiben, hat schon für manche Diskussion zu Hause gesorgt, man muss es aber verstehen: Es ist nicht so schwer, in einer afrikanischen Sprache zu schreiben, aber fast unmöglich für einen jungen Schriftsteller, in dieser Sprache publiziert zu werden. Es gibt schlicht kaum ein Verlagswesen”, sagte Ngugi wa Thiong’o einst im APA-Gespräch.

Dauerfavorit auf den Literaturnobelpreis

Er selbst galt spätestens ab 2010 als steter Topfavorit auf den Literaturnobelpreis. “Journalisten haben schon am Tag vor der Bekanntgabe vor meinem Haus gecampt, sie wollten unbedingt das erste Interview mit dem Nobelpreisträger. Er ging dann an Mario Vargas Llosa. Und sie sahen so furchtbar enttäuscht aus! Meine Frau machte ihnen Kaffee und musste sie trösten”, erinnerte sich der Autor 2017 gegenüber der APA. Nun wird Ngugi wa Thiong’o diese größte literarische Ehre nicht mehr teilwerden. “Der alles überragende Gigant der kenianischen Literatur hat seinen Stift für alle Zeiten zur Seite gelegt”, schrieb Präsident William Ruto auf seinem X-Account.

Würdigungen von vielen Seiten

In ersten Reaktionen auf sozialen Medien würdigten Leser und Verlage ihn unter anderem als furchtlose Stimme, die Generationen geprägt habe. Der Schriftsteller habe gezeigt, dass die besten afrikanischen Geschichten von Afrikanern selbst erzählt würden. Thiong’o habe Generationen von Afrikanern zum Kampf für Gerechtigkeit inspiriert, schrieb der ugandische Musiker und Oppositionspolitiker Bobi Wine laut dpa.

Mit seinen Werken habe Thiong’o daran erinnert, dass Sprache eine Form von Macht und das Erzählen von Geschichten Befreiung seien, schrieb einer seiner Verlage in einer Würdigung auf der Plattform X, wo viele den Autor mit dem revolutionären Gruß “Rest in Power” verabschiedeten.

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