Von: bba
Bozen – Wenn ein Individuum nur in Beziehung mit anderen existiert, was passiert dann in diesen Wochen, in denen jeder Kontakt ein potentielles Risiko darstellt? Wie leben und erleben die Menschen in Südtirol die Coronakrise? Das hat das Caritas Studienzentrum mittels einer Online-Umfrage untersucht, an der 488 Personen teilgenommen haben.
“Angst, Zorn, Unsicherheit, aber auch Dankbarkeit für die Möglichkeit, über existentielle Dinge nachzudenken. Das Bemühen, die eigene Gesundheit, aber auch besonders gefährdete Menschen zu schützen, führt zu Misstrauen und Distanz. Doch auf der anderen Seite zeigt sich ganz klar der Wunsch nach authentischeren und intensiveren zwischenmenschlichen Beziehungen“, erklärt die Leiterin des Studienzentrums, Giulia Rossi. “Etwa die Hälfte der Befragten hat angegeben, in dieser Zeit Familienangehörigen und Freunde besonders zu unterstützten, ein Viertel hat auch Nachbarn geholfen und ein Fünftel hat in die Brieftasche gegriffen, um zu helfen. Was den Schutz besonders gefährdeter Bevölkerungsschichten anbelangt, so sind 49 Prozent der Befragten der Meinung, die Institutionen hätten nicht alles getan, was möglich gewesen wäre”, so Rossi.
“Die Krise, die wir derzeit durchleben, birgt trotz aller Dramatik auch eine Chance, nämlich zu erkennen, was wirklich zählt, und was nicht“, fasst Caritas-Direktor Paolo Valente die Ergebnisse aus der Umfrage zusammen, welche das Caritas Studienzentrum am 26. März, also 17 Tage nach dem Lockdown online gestartet hat. “Denn auch wenn gar einige der Befragten ihre Angst zum Ausdruck gebracht haben, Bedrückung wegen der räumlichen Trennung von lieben Menschen und Sorgen um die Zukunft, so leben viele diese ungewöhnlichen Wochen auch als Zeit des Wartens und des Innehaltens, als eine Pause von der Normalität, die zum Nachdenken über den eigenen Lebensstil, die Gesellschaft und das System anregt. Diese beiden Tendenzen müssen nicht unbedingt im Widerspruch stehen. Vielmehr zeigen sie die Komplexität der menschlichen Gefühle und Verhaltensweisen“, erklärt Giulia Rossi, die Leiterin der Caritas Studienzentrums.
“Werden Beziehungen anders gelebt, wenn die Coronakrise vorbei ist? Die Hälfte der Befragten kann sich das gut vorstellen: mehr Verantwortungsbewusstsein für das eigene Wohlbefinden und für die anderen, mehr Distanz, aber auch mehr Intensität und Authentizität in zwischenmenschlichen Beziehungen, mit einem besonderen Blick für Bedürftige. Vielleicht gerade weil die Hälfte der Befragten den Schutz besonders gefährdeter Bevölkerungsgruppen von Seiten der Institutionen als unzureichend empfindet, wollen 38 Prozent ihr Verhalten diesen Menschen gegenüber ändern und mehr Hilfe und Unterstützung anbieten. Gar einige der Teilnehmer haben dieses Vorhaben auch schon in die Tat umgesetzt. So gaben 46 Prozent an, in diesen Wochen Angehörige verstärkt zu unterstützen, 24 Prozent haben in der Nachbarschaft Hilfe angeboten und geleistet. Ein Fünftel der Befragten hat auch finanziell geholfen, entweder direkt im Austausch mit in Not Geratenen, oder indirekt über Spenden. Die Antworten zeugen von viel sozialem Zusammenhalt und Gemeinschaftssinn, von viel Motivation auch zu Freiwilligendiensten. Und auch das Bewusstsein, dass sich etwas ändern muss, wird stärker“, fasst Giulia Rossi zusammen.
“Die Hoffnungen der Befragten konzentrieren sich hauptsächlich auf die Rolle der Politik, die zukünftig nicht nur soziale Ungleichheiten verstärkt im Blick haben müsse, sondern auch den nachhaltigen Umgang mit natürlichen Ressourcen. Insgesamt zeigt die Umfrage, dass der Wunsch nach Veränderung groß ist, nicht nur auf institutioneller Ebene, sondern auch im persönlichen Lebensstil und in den Beziehungen mit anderen Menschen. Deutlich wird auch eine gewisse Zuversicht, dass die guten Gedanken und Vorhaben dieser ganz besonderen Zeit nicht in einer Schublade verschwinden, sondern auch umgesetzt werden”, so Rossi abschließend.