Von: apa
Mit lautstarkem Jubel und Standing Ovations ist am Freitagabend die Premiere von Gaetano Donizettis Oper “Maria Stuarda” im Großen Festspielhaus in Salzburg gefeiert worden. Der deutsche Regisseur Ulrich Rasche bewies in seiner erst dritten Operninszenierung, dass sich sein im Schauspiel bewährtes Maschinen- und Tanztheaterkonzept auch für das Musiktheater eignet, auch wenn manches buchstäblich überdreht wirkte. In der Titelrolle restlos überzeugend: Lisette Oropesa.
Am Tag nach dem Tod von Robert Wilson fühlte man sich in den knapp drei Stunden der Aufführung immer wieder an die außergewöhnlichen Bilderwelten des US-Bühnenmagiers erinnert – und tatsächlich war Rasche, der Lichtregie, Rhythmus und Anti-Naturalismus ebenfalls zu den Grundelementen seiner Arbeit zählt, während seiner Ausbildung Stipendiat in Wilsons Watermill Center. Die Kunstwelt Rasches ist allerdings eine Scheibenwelt.
Gehtheater statt Stehtheater
Diesmal ist die Welt keine Scheibe – sondern besteht aus drei Scheiben. Die beiden großen Rivalinnen, die englische Königin Elisabeth und die schottische Königin Maria Stuart, bewegen sich auf ihren eigenen Sphären: Auf je einer großen Drehscheibe, deren Oberflächen an Spinnennetze erinnert und deren Rand sich auch gegenläufig drehen lässt, ziehen sie planetengleich ihre Bahnen. Der wiegende Schrittrhythmus, der gemeinsam mit chorischem Sprechen Rasches Klassikerinszenierungen prägt, lässt sich über weite Strecken erstaunlich gut mit Donizettis Musik in Einklang bringen, sorgt aber gelegentlich für Drehwurm-Gefahr. Rasche setzt dem Stehtheater ein Gehtheater entgegen – das einem mit der Zeit genauso auf die Nerven gehen kann.
Diese Scheiben lassen sich kippen, in der Höhe verstellen und auf der großen Bühne verschieben – was insgesamt zu viel Bewegung und gelegentlich zu störenden Geräuschen der ausgeklügelten Mechanik sorgt. Das ist deshalb auffallend, weil Dirigent Antonello Manacorda, sonst nicht eben im Belcanto-Fach zu Hause, die Wiener Philharmoniker sehr sängerfreundlich dirigiert, das heißt, ihnen auch dann genug Gehör verschafft, wenn sie im riesigen Bühnenraum ein wenig im Abseits agieren. Das können die durchwegs soliden Männer (Bekhzod Davronov als vergeblich um seine Liebe kämpfender Leicester, Aleksei Kulagin als Talbot und Thomas Lehman als Cecil) besser gebrauchen als die Damen.
Überzeugende Sängerinnen
Kate Lindsey als Elisabetta und Lisette Oropesa als Maria Stuarda sind ein Ereignis. Rasche inszeniert sie in jeder Hinsicht als Gegensatzpaar. Lindsey ist eine in schwarz gewandete Schreckensherrscherin, die von Eifersucht zerfressen wird, Oropesa, die erst kürzlich in Madrid ihr Rollendebüt gab und an deren Koloraturen man sich nicht satt hören kann, eine Unschuld in Weiß, der von der Rivalin vorgeworfen wird, ihre Weiblichkeit gezielt zur Durchsetzung ihrer Interessen einzusetzen.
In Wirklichkeit sollen die beiden Herrscherinnen einander nie persönlich begegnet sein, in der Oper kommt es wie in Schillers Stückvorlage zur entscheidenden Begegnung im Kerker. Rasche lässt die Szene mit einem das Machtgefälle illustrierenden Niveauunterschied der beiden Scheiben beginnen, bis sich die Dinge aufschaukeln und die beiden nun auf Augenhöhe agierenden Damen jegliche Contenance verlieren. Die Sache eskaliert, und wie jüngst im Weißen Haus zwischen den Präsidenten der USA und der Ukraine ergibt ein Wort das andere, und die Berater erbleichen. Statt Annäherung folgt offene Eskalation, statt Aussöhnung das Todesurteil für die stolze Gefangene.
Dritte Scheibe als Projektionsfläche
Es ist die einzige Szene, in der die Ankündigung, die Auseinandersetzung der beiden Frauen auf eine politische Ebene zu heben, aufgeht. Ansonsten wirken die Tänzer und Tänzerinnen, die Choreograf Paul Blackman um die zentralen Akteurinnen gruppiert, mehr als Staffage statt als Symbol eines Machtapparates, der selbst Druck erzeugt. Dass auch diese “Maria Stuarda” vor allem ein Frauen-Duell ist, illustriert Ulrich Rasche auf der über dem Geschehen mitunter UFO-gleich schwebenden dritten Scheibe, die nicht nur als Farbträger, sondern auch als Projektionsfläche eingesetzt wird. Videos von Florian Hetz zeigen Maria als Projektion der Ängste und Wünsche Elisabeths: eine selbstbewusste, vielfach begehrte Frau, die ihre Sinnlichkeit genießt.
Die Scheibe erfüllt am Ende, als sich die Tragödie immer mehr in die Länge zieht und so manche unbeschwerten Klänge einen irritierenden Kontrast zum Bühnengeschehen bilden, noch eine andere Funktion. Wie ein Fallbeil senkt sie sich langsam über Maria und einer Schar sie zum Schafott geleitenden und ihre Gebete händeringend begleitenden halb nackten Lendenschurzträger und zermalmt auch die Menschenmenge, die als angedeutete blutige Masse über die Scheibenränder quillt. Am Ende schrammt der kühle Bühnenästhet nahe am Kitsch – ein kleiner Wermutstropfe in einer in vieler Hinsicht gelungenen Aufführung, die bis 30. August noch sechsmal angesetzt ist.
(Von Wolfgang Huber-Lang/APA)
(S E R V I C E – “Maria Stuarda”, Tragedia lirica von Gaetano Donizetti, Libretto von Giuseppe Bardari, Regie und Bühne: Ulrich Rasche, Kostüme: Sara Schwartz, Video: Florian Hetz, Choreografie: Paul Blackman, Musikalische Leitung: Antonello Manacorda, Mit: Kate Lindsey – Elisabetta, Lisette Oropesa – Maria Stuarda, Bekhzod Davronov – Roberto, Graf Leicester, Aleksei Kulagin – Giorgio Talbot, Thomas Lehman – Lord Guglielmo Cecil, Nino Gotoshia – Anna Kennedy, Wiener Philharmoniker, Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor, Tänzer und Tänzerinnen von SEAD, Salzburg Experimental Academy of Dance. Salzburger Festspiele, Großes Festspielhaus, Weitere Aufführungen: 7., 11., 16., 19., 23., 30.8., www.salzburgerfestspiele.at)
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