Von: apa
Es riecht nach frischer Erde, Holz, Wurzeln und Feuchtigkeit. Die Erdinstallation der Kolumbianerin Delcy Morelos nimmt fast die gesamten 200 Quadratmeter des abgedunkelten Ausstellungsraums ein. Schräg steigt die Landschaftsskulptur seitlich meterhoch an, kriecht die hintere Wand empor. An der erhöhten Linksseite gewährt Morelos Blicke ins geheimnisvolle Innere des Erdreichs. An der Oberfläche keimen kleine Gräser. Das Werk scheint zu leben, zu atmen.
“Sorgin” heißt die Installation. “In der baskischen Mythologie ist eine Sorgin eine gute Hexe, die mit Naturmitteln heilt. Genau wie die Erde uns heilt, uns Nahrung schenkt und immer wieder Leben hervorbringt. Was wir aber leider immer häufiger vergessen”, meint Morelos.
Die Erde am Altar
Bewusst – und im Gegensatz zu ihren vorherigen Erdinstallationen – darf man “Sorgin” aber nicht betreten oder angreifen. “Ich will die von uns Menschen immer wieder misshandelte und ausgebeutete Erde damit auf einen Altar stellen, als etwas Heiliges und Unantastbares darstellen, was wir achten sollten”, sagt Morelos. Sie wolle anregen, über unser Verhältnis zur Natur und unserer Entfremdung von der Erde nachzudenken.
Genau darum geht es ab Freitag in der bis zum 3. Mai dauernden Gruppenschau “Arts of the Earth” im baskischen Guggenheim-Museum Bilbao. Dabei will die mit rund 100 Werken von über 40 international renommierten Künstlern bestückte Ausstellung aber keine universellen Lösungen oder Patentrezepte präsentieren, wie Umweltschutz aussehen muss, erklärte Kurator Manuel Cirauqui im Gespräch mit der APA. Vielmehr gehe es darum, Sensibilitäten aufzubauen.
Dennoch zeigen uns einige Werke konkrete Strategien, wie wir mit unserer Umwelt interagieren können. Mel Chins “Revival Field” (1991) ist ein Kunstprojekt, das kontaminierte Böden mit Hilfe von Pflanzen reinigt. Damit hinterfragt Chin, wie Kunst aktiv zur Heilung der Umwelt betragen kann, welche ethische Rolle Künstler in ökologischen Krisen spielen können. Das Projekt ist ein Pionierwerk der “Environmental Art”.
Jungbäume am Roten Teppich
Aus dem Dunkeln von Morelos Erdinstallation geht es in den hellbeleuchten nächsten Ausstellungsraum. Hier strahlen Pflanzenwerke wie Stars im Rampenlicht. Der US-Amerikaner Asad Raza hat seinen kleinen Wald aus 26 Jungbäumen sogar auf dem wiederverwendeten Roten Teppich des Internationalen Filmfestivals aus dem nahen San Sebastian platziert. In der Bauminstallation “Root Sequence. Mother Tongue”, in der im März auch Performances und Talks über Umweltschutz und Kunst stattfinden werden, geht es um ein symbiotisches System, in dem Kunst zeigt, dass Natur uns nicht nur guttut, sondern auch Fürsorge braucht. Das Museum ist angehalten, die Bäume zu pflegen und sie nach der Ausstellung in der Nähe Bilbaos wieder anzupflanzen.
Direkt vor seinem Wald zwingt Isa Melsheimer Pflanzen in ihre Glaskästeninstallation. “Wardian Case” untersucht, wie wir mit Architektur Natur kontrollieren und einschließen. Daneben zeigt Hans Haacke mit seiner Installation “Directed Growth” das Gegenteil – Natur, die auch unter künstlichen Bedingungen ihren eigenen Regeln folgt. Um Fürsorge, Überlieferung von Wissen, indigenen Bräuchen und kolonialer Ausbeutung geht es hingegen in den Skulpturen des ghanaischen Künstlers Frederick Okai und die cartoonhaften Tonfiguren des Argentiniers Gabriel Chaile.
Die Ausstellung umfasst auch das jüngste Projekt “Grains of Paradise” der südafrikanischen Architektin Sumayya Vally, welches die Migrationsgeschichte von Samen zwischen kolonisierten Gebieten und ihren europäischen Metropolen rekonstruiert. Die Erforschung alter Praktiken zur Erhaltung amazonischer Biotope steht im Mittelpunkt der Arbeiten des brasilianischen Künstlers und Architekten Paulo Tavares und findet ihr Echo in der Wiederbelebung überlieferter Praktiken.
Historische Würdigung inklusive
Die Ausstellung zeigt eine multidisziplinäre Auswahl an Kunstwerken, die von Land Art über Arte Povera bis hin zum Konzeptualismus reichen. Dabei deckt die Schau einen Zeitraum von 1970 bis heute ab. Denn sie soll auch zeigen, dass Künstler seit Jahrzehnten und lange vor dem heutigen globalen Bewusstsein für den Klimanotstand die Dringlichkeit spürten, sich der Erde auf eine viel intimere, respektvollere und gemeinschaftlichere Weise zuzuwenden. So beginnt die Ausstellung mit einer historischen Würdigung von Künstlern wie Jean Dubuffet und Joseph Beuys, die mit ihren filigranen Pflanzencollagen frühe Wegbereiter waren. Oder Jimmy Lipundja, ein Künstler der Milingimbi-Nation in Australien, dessen Gemälde auf Baumrinde mythische Visionen darstellen, die eng mit seinem heimischen Biom verbunden sind.
(S E R V I C E – www.guggenheim-bilbao.eus)




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