Von: luk
Bozen – Der Landesbeirat der Schülerinnen und Schüler für die deutschsprachige Schule zeigt sich besorgt über die neuerliche Schließung der Ober- und Berufsschulen in Südtirol und die Umstellung auf Fernunterricht.
Ivan Gufler, der Vorsitzender des Landesbeirates der Schüler und Schülerinnen, spricht von einer großen Herausforderung und einem schweren Schlag. Gleichzeitig werden Forderungen laut.
Nachfolgend die Stellungnahme in voller Länge:
Nun ist es also fix, ab kommendem Montag werden die Ober– und Berufsschulen Südtirols ihre Tore nicht mehr für uns Schülerinnen und Schüler aufsperren – der Anteil des Fernunterrichts wird auf 100 Prozent steigen.
Zuhause bleiben ist wieder mal angesagt, der Ort, an dem wir unsere Freunde treffen, gemeinsam lachen und zusammen lernen, wird nicht mehr da sein – zumindest vorerst. Es ist wahr, dass für uns ältere Schülerinnen und Schüler die Möglichkeiten, dem Unterricht effizient und sinnvoll auf digitalem Wege zu folgen, größer und vielfältiger sind, als für die jüngeren. Doch auch für uns ist diese neuerliche Schließung ein schwerer Schlag, der
uns menschlich schmerzt. Der didaktische Teil unserer Bildung kann teilweise und vorübergehend auf Distanz stattfinden, wenn auch nicht in der gleichen Qualität, wie das in Präsenz der Fall wäre. Der soziale Aspekt ist jedoch nicht wirklich zu ersetzen, trotz der vielfältigen Möglichkeiten, die das Internet uns heute bietet. Das gesamte Frühjahr waren wir, die sonst immer von Gleichaltrigen umgeben sind, gezwungen, auf diese so wichtigen
Kontakte zu verzichten – und nun, nachdem wir über den Sommer ein wenig Sicherheit, die uns die Schule immer geboten hatte, zurückgewonnen haben, erleben wir ein Déjà-vu.Die Schule stellt trotz aller Konflikte, die wir des Öfteren mit ihr haben, einen großen Teil unseres alltäglichen Lebens dar. Einen Ort, der uns Arbeitsplatz und Heimat zugleich ist – dass wir diesen Raum erneut verlieren, ist bedauerlich und erschreckend.
Nun ist es ganz und gar nicht in unserem Sinne, die aktuelle Situation im Zusammenhang mit COVID–19 zu verharmlosen. Wir sind uns durchaus bewusst, dass eine Ausnahmesituation wie diese alles von der Gesellschaft fordert, auch von uns jungen Menschen. Die Schulen und vor allem jene der Oberstufe sind Gebäude, in denen sich viele Menschen aus den verschiedensten Ortschaften über einen längeren Zeitraum begegnen, somit stellen sie logischerweise eine natürliche Gefahr in einer Pandemie dar, die sich durch zwischenmenschliche Kontakte ausbreitet. Zwar bestanden seit Beginn dieses Schuljahres in den Schulen verschiedenste Regeln, die, entgegen der allgemeinen Meinung, von den allermeisten Schülerinnen und Schülern pflichtbewusst eingehalten wurden, jedoch tragen diese lediglich zu einer Minimierung des Risikos bei. In dieser Zeit, in denen die Infektionskurven wieder steil nach oben gehen, ist jede und jeder Einzelne gefordert, damit wir alle diese schweren Zeiten gut überstehen können. Aus diesem Grunde sind wir auch grundsätzlich bereit, trotz der erwähnten Widrigkeiten und Probleme, diese Schließung der Oberstufe zu akzeptieren, nach dem Grundsatz, „Es geht eben nicht anders”.
Daraus resultieren jedoch mehrere konkrete Bedingungen, die wir stellen: Diese Schließung muss vorübergehend sein, und darf nicht als letzte, sondern muss als erste Maßnahme wieder aufgehoben werden. Eine mögliche Öffnung von Geschäften, Gastronomie und Ähnlichem, während die Schulen weiterhin geschlossen bleiben, werden wir nicht akzeptieren – Bildung kann nicht durch finanzielle Beiträge ersetzt werden.
Des Weiteren fordern wir ein Umdenken bei der Unterrichtsform, die uns das ganze Frühjahr und auch nun wieder begleiten wird, dem Fernunterricht.
Prinzipiell stellt uns dieser vor große Herausforderungen: Selbstorganisation und auch Disziplin sind fundamental, wir müssen alle unseren eigenen Rhythmus und unsere eigene Strategie finden. Die Situation ist anders, anders als der Unterricht, den wir jahrelang gewöhnt waren. Aus diesem Grund kann es nicht sein, dass in diesen ungewöhnlichen Zeiten alle erdenklichen Hilfsmaßnahmen für die verschiedensten Branchen ergriffen werden, die Schule jedoch funktionieren muss, als wäre nichts passiert. Es ist an der Zeit, Unterrichts- und Bewertungsmethoden zu überdenken und der aktuellen Situation anzupassen – die Schule ist derzeit der einzige Ort, der trotz aller Unregelmäßigkeiten und Neuerungen weiterhin allen üblichen Regeln und Verhaltensmustern folgt, Stichwort Bewertungen. Zu glauben in Zeiten, in denen der Unterricht grundlegend anders erfolgt als üblich, wie in der Vergangenheit ganz normale Schularbeiten, Lernzielkontrollen und Prüfungen auf digitalem Wege durchführen zu können, ist realitätsfremd und kontraproduktiv. Des Weiteren ist es weder förderlich noch sinnvoll uns Schülerinnen und Schüler ständig mit Aufgaben und Arbeitsaufträgen zu überhäufen. Wir wollen und können nicht täglich 16 Stunden vor dem Bildschirm sitzen und uns nur in die Schule vertiefen. Abwechslung und Freizeit sind in diesen Zeiten fundamentaler denn je, sie hindern uns nicht am Lernen, sondern fördern es. Zurzeit sind wir Schülerinnen und Schüler gefordert, nachsichtig und verständnisvoll zu sein, wenn im Unterricht nicht alles perfekt funktioniert – das gleiche muss jedoch auch für die Lehrpersonen, die Schulführungskräfte und für das gesamte Bildungssystem gelten. Im Fernunterricht muss auf Schwierigkeiten und Probleme der Schülerinnen und Schüler genauer eingegangen werden als in Präsenz – Rücksicht und Verständnis vermissen wir öfters, vor allem in Bezug auf schwächere Schülerinnen und Schüler.
Außerdem müssen, je nach Schultyp, individuelle Lösungen gefunden werden, um den ausgefallenen Präsenzunterricht auszugleichen, vor allem an Schulen, die größtenteils praxisbezogen arbeiten. Die rechtlichen Möglichkeiten, die hier geschaffen wurden, müssen unbedingt ausgenutzt werden, damit das Bildungsniveau garantiert werden kann. Die Probleme, die im Fernunterricht anfallen, betreffen meistens die untersten Ebenen, sprich die einzelnen Schulen bzw. die einzelnen Klassen. Aus diesem Grund sind die Mitbestimmungsgremien und die gewählten Schülervertreter und -vertreterinnen von fundamentaler Wichtigkeit – sie müssen jedoch angehört und ernst genommen werden, nur so können Lösungen gefunden werden, die allen zugute kommen.
Wir erwarten uns, dass die Bildung endlich jenen Stellenwert einnimmt, der ihr von verschiedensten Seiten immer wieder zugesprochen wird. Wir erwarten uns, dass die Schulen so bald als möglich wieder öffnen und dass sie dabei als erste, nicht als letzte berücksichtigt werden.
Wir erwarten uns, dass sich das Bildungssystem, die Lehrpersonen und der Unterricht genauso wie wir an die aktuelle Situation anpassen, neue Zeiten erfordern neue Methoden, kein Weiter-so.
Und wir erwarten uns, dass wir, die Schülerinnen und Schüler und ihre Vertretungen, eingebunden werden in die Entscheidungen und Entschlüsse, die auf allen Ebenen bezüglich Bildung getroffen werden. Kurz, wir wollen angehört und auch ernst genommen werden.
Das Konzept des Fernunterrichts wurde bereits im letzten Schuljahr, und wird auch jetzt wieder, vor allem auf Kosten der Schülerinnen und Schüler angewandt – das werden wir nicht mehr hinnehmen.
Wenn es nicht endlich ein Umdenken gibt, wenn die Schule als Ganzes nicht endlich akzeptiert, dass die aktuelle Situation nunmal keine Normalität ist, so gerne wir uns das auch einreden wollen, dann werden das Bildungssystem selbst und nicht zuletzt wir Schülerinnen und Schüler die größten Schäden davontragen. Und damit auch die gesamte Gesellschaft.
Diese Pandemie hat uns gezeigt, was es heißt, was es bedeutet, wenn die Schule ihre Tore schließt. Junge Menschen leiden an den Einschränkungen, mindestens genauso viel wie alle anderen Altersgruppen. Im Frühjahr sind viele von uns vereinsamt, fühlten sich alleingelassen in einer unsicheren Welt, in der nicht einmal mehr der Schulalltag einen Anker darstellt. Das darf sich nicht wiederholen, das werden wir nicht mehr zulassen.
Wir wollen lernen, wir wollen uns begegnen, wir wollen zusammen in die Schule und lachen, diskutieren, leben.
Das Recht auf Schulbildung ist ein verfassungsmäßiges Grundrecht, das wir uns eigentlich nicht erkämpfen müssen sollten. Wir verlangen, dass diesem Grundrecht die höchste Priorität eingeräumt wird, vor allem in den nächsten Tagen, Wochen, Monaten. Eine erneute dauerhafte Schließung der Schulen wird uns Jugendlichen mehr Sorgen, Unsicherheiten und Schwierigkeiten aussetzen, als dies ohnehin der Fall ist. Keine Generation sollte mit diesen Ängsten aufwachsen müssen, auch unsere nicht. Man darf uns nicht im Stich lassen. Nicht schon wieder.
Der Landesbeirat der Schülerinnen und Schüler für die deutschsprachige Schule