Von: apa
Seit genau einem Monat ist der österreichische Autor Bodo Hell am Dachstein verschollen. Der 81-jährige gebürtige Salzburger, der die Sommer seit 45 Jahren als Senner auf der Alm verbracht hatte, wurde am 9. August zuletzt von Zeugen gesehen. Er wollte im alpinen Gelände zwischen Grafenbergalm und Heilbronner Kreuz nach seinem Vieh suchen, habe er den Wanderern gesagt. Groß angelegte Suchaktionen verliefen seither erfolglos.
“Wir sind zutiefst erschüttert und trauern um einen Ausnahmekünstler und Droschl-Autor der ersten Stunde”, so sein Verlag am Montag in einer Aussendung. “Bodo Hells nie enden wollende Neugier, die Sprach- und Sprechvirtuosität, seine Genauigkeit und sein enzyklopädisches Wissen, sein Witz, aber auch seine Liebenswürdigkeit, seine Zugewandtheit und Freundlichkeit werden uns sehr fehlen”, wird Droschl-Verlegerin Annette Knoch zitiert. Der sonst in Wien lebende Autor hatte zuletzt 2023 den Band “Begabte Bäume” mit Zeichnungen von Linda Wolfsgruber veröffentlicht, der auf der Longlist des Österreichischen Buchpreises stand.
Am 15. März 1943 in Salzburg geboren, studierte Hell zunächst Orgel beim Salzburger Domorganisten Franz Sauer, sowie Philosophie, Germanistik und Geschichte. Vor der freien Mitarbeit beim ORF werkte er unter anderem als Autowäscher, Fließbandarbeiter, Sprachlehrer, Tutor und Lagerarbeiter. Ab 1977 veröffentlichte er äußerst unterschiedliche Bücher, Hörspiele und Theaterstücke, betätigte sich aber auch als Musiker, Regisseur, Ausstellungsdesigner und Fotograf. Seine Funktion als Almhirte mit an die hundert Pferden, Kühen und Rindern auf dem Berg war für Bodo Hell “trotz aller körperlicher Anstrengungen ein Jungbrunnen auch für die Seele”, wie er einmal sagte.
Seine Liebe zur Natur und seine genaue Sprachbeobachtung zwischen den Welten thematisierte er auch in “Stadt Land Berg”, jenem Text, den er für den Bachmann-Preis 2006 einreichte, und für den er ebendort mit dem Telekom Austria Jury-Preis ausgezeichnet wurde. Wie viele seiner Arbeiten stellt er eine Partikelsammlung sprachlicher Versatzstücke dar, eine Bestandsaufnahme der “Versprachlichung und Verschriftlichung aller Lebensumstände”, der Hell mit seinem sensiblen Hören auf die heimlichen Bedeutungen von Zitaten, Floskeln und Botschaften in all seinen Werken auf die Schliche zu kommen versuchte.
Auch seine Erzählungen wie “die Devise lautet” (1999) oder “mittendrin” (1991) verkörperten Collagen, in denen er Eindrücke aus Natur und Sprache, aus Stadtleben und Kommunikation immer wieder neu zusammensetzte. In Büchern oder Lesungen kooperierte Hell häufig mit Autorenkollegen wie Friederike Mayröcker, Ernst Jandl oder Liesl Ujvary. Der Umfang seiner Publikationen wuchs dabei nahezu jährlich an, so erschienen etwa 2017 “Ritus und Rita neue Legenden und Liebeserklärungen” im Droschl Verlag, 2018 folgte “Wilder Dachstein” (mit Elsbeth Wallnöfer und Peter Kubelka), der Essay “Auffahrt neue Hagiographien” kam 2019 ebenfalls bei Droschl heraus.
Mit Musik kommentierte und mit Bildern illustrierte Hochgeschwindigkeitssprache gab Hell auch in seinen Theaterstücken zum Besten. “Tracht:Pflicht” wurde im Rahmen von “Graz 2003” uraufgeführt, 2002 irritierte er in Krems mit der “Racheoper” “Ria nackt”, einer multimedialen Bearbeitung des Ariadne-Mythos. Auch mit der Jazz-Gruppe “Trio Inflagranti” ließ er sich immer wieder auf Textvermittlung zwischen Konzert und Lesung ein, unter anderem bei den Rauriser Literaturtagen 2006, bei denen er schon 1972 den Rauriser Literaturpreis erhielt.
1991 folgte der Erich Fried Preis, 2003 der Preis der Literaturhäuser, 2006 dann der Telekom-Preis. 2017 erhielt er den mit 15.000 Euro dotierten Christine Lavant Preis. Den Großen Kunstpreis des Landes Salzburg erhielt Hell im Jahr 2019. Und erst im heurigen Frühjahr wurde ihm der mit 10.000 Euro dotierte Literaturpreis des Landes Steiermark zugesprochen. Die Jury würdigte ihn mit Verweis auf seine audiophonen Kunstwerke als “einen der innovativsten österreichischen Schriftsteller” und meinte in Anspielung auf seine Almtätigkeit: “Auch in seinem Schreiben erweist sich Bodo Hell seit Jahrzehnten als ein guter Hirte. Als einer, der das, was er sprachlich auch an entlegenen Stellen vorfindet, sanft zusammentreibt, dabei aber seinen Sprach-Schäfchen immer wieder auch recht hochfahrende Aber- und Abwege erlaubt. Dieser sprachliche Herdendrang, gepaart mit größtmöglicher individueller Freiheit, zeichnet die Literatur des ungemein belesenen und erfahrenen Autors aus.”