Das wegweisende literarische Werk erschien 1937

Herr der Fantasy-Literatur: Vor 50 Jahren starb J.R.R. Tolkien

Montag, 28. August 2023 | 16:15 Uhr

“In einem Loch im Boden, da lebte ein Hobbit.” Mit diesen Worten leitet J.R.R. Tolkien sein 1937 erschienenes Buch “Der Hobbit” ein. Der während der Korrektur von Klausuren seiner Studenten aus Langeweile auf ein leeres Blatt Papier gekritzelte Satz ist der Startschuss für ein wegweisendes literarisches Werk, an dem seitdem kein Fantasy-Autor mehr vorbeikommt. Der Autor starb vor 50 Jahren, am 2. September 1973.

Das 1954 und 1955 in drei Bänden erschienene epische Werk “Der Herr der Ringe” um die Abenteuer des Hobbits Frodo in der prähistorischen Fantasiewelt Mittelerde machten den Professor für Altenglisch an der Universität Oxford zu einem der meistgelesenen Schriftsteller aller Zeiten. Geboren wurde der Engländer, der mit vollem Namen John Ronald Reuel Tolkien heißt, am 3. Jänner 1892 in Bloemfontein in der damaligen Burenrepublik Oranje-Freistaat im heutigen Südafrika. Der Vater hatte dort als Bankkaufmann eine vielversprechende Stelle erhalten.

Als die Mutter mit den beiden Söhnen auf Heimaturlaub ist, stirbt der Vater unerwartet. Die Familie kehrt nicht wieder nach Afrika zurück. Tolkien wächst in Birmingham auf. Seine Mutter konvertiert später zum katholischen Glauben, dem auch ihr Sohn zeitlebens eng verbunden bleibt. Von ihr lernt er auch die Liebe zu Sprachen, Sagen und Mythologie. Ein Schatz an Legenden fehlt seiner englischen Heimat, findet er – und macht sich daran, ihn zu schaffen.

Die Bewohner der englischen Midlands dürften zum Teil Vorbild für die liebenswerten wie einfachen Hobbits gewesen sein. Diese sind gutmütige und gesellige menschenähnliche Wesen von kleinem Wuchs und mit behaarten Füßen, die eher ängstlich als heldenhaft sind, aber im Angesicht einer Herausforderung stets über sich hinauswachsen. Sie nehmen in Tolkiens Werken die Hauptrolle ein neben Elben, Zwergen, Orks und anderen Wesen. Durch “The Lord of the Rings” wird Tolkien zu einem Star, der selbst Fanpost von gekrönten Häuptern wie der dänischen Königin Margrethe II. erhält, die ihm selbstgemalte Illustrationen seiner Geschichten zuschickt.

Was Tolkiens Fantasy-Bücher von früheren und auch vielen nachkommenden unterscheidet, ist die große Detailtiefe und Kohärenz der Erzählungen. Der Veröffentlichung seiner Bücher geht jahrzehntelange Arbeit voraus. “Zwischen dem Beginn und der Veröffentlichung von Herr der Ringe vergehen 40 Jahre, in denen er an seiner Mythologie arbeitet”, sagt Stuart Lee, der an der Universität Oxford als Dozent für Englisch arbeitet, im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur.

Schon als Soldat im Ersten Weltkrieg beginnt Tolkien mit der Ausarbeitung von Landkarten und Namen. Der Philologe beherrscht gut ein Dutzend Sprachen, darunter Gotisch, Alt- und Mittelenglisch, Walisisch, Finnisch und mehrere skandinavische Sprachen. Für seine Fabelwesen erfindet er Fantasiesprachen wie die Elbensprachen Quenya und Sindarin. Zudem schöpft er aus seinem großen Wissen über mittelalterliche Literatur wie dem Heldengedicht Beowulf und anderen Epen.

Zu den Eindrücken aus seinen jungen Jahren, die sich später in den Büchern niederschlagen, gehört die Bergwelt des Berner Oberlands in der Schweiz, die Tolkien als junger Mann besucht. Prägend sind aber auch die Erfahrungen aus dem Ersten Weltkrieg: Die von Kratern überzogenen Schlachtfelder sind Inspiration für die lebensfeindliche Landschaft Mordors, des Reichs des bösen Herrschers Sauron – ebenso wie die von qualmenden Rauchfängen geschwärzte Landschaft des Black Country, ein zu Tolkiens Jugend von der Industrialisierung geprägter Ballungsraum der Midlands.

Tolkien ist zeitlebens Maschinen und der modernen Welt gegenüber misstrauisch. Der von Sauron geschaffene Ring, mit dem er alle Wesen unterdrücken will, ist eine Analogie für eine von Maschinen dominierte Welt, in der in seinen Augen Mensch und Natur versklavt werden. “Der Ring ist die ultimative Maschine, weil er zur Unterdrückung geschaffen wurde”, sagt Tolkiens Sohn Christopher, der das literarische Erbe des Vaters verwaltet, in einer Dokumentation einst.

Die “secondary world” (etwa: nachrangige Welt), wie Tolkien die von ihm geschaffene Fantasiewelt auch nannte, ist ein Ort, der nur im Geist besucht werden kann. Lee sieht darin ein Medium, das Erwachsenen die Rückkehr in Gefühlswelten erlaubt, deren Zugang verschüttet ist. “Das ist sehr wirkmächtig, weil es uns ermöglicht, einige reale Dinge zu erforschen in einem Rahmen, der frei ist von den Grenzen der Wirklichkeit”, sagt Lee.

Anders als sein enger Freund C.S. Lewis, der die Fantasy-Welt um das fiktive Reich Narnia schafft, ist der gläubige Katholik Tolkien zwar von seiner Religion inspiriert, aber er will nicht direkt die christliche Botschaft verbreiten. Sein Werk bleibt offen für Interpretation. Dass auch Rechtsextremisten die von der nordischen Sagenwelt inspirierten Erzählungen für sich vereinnahmen wollen, hätte Tolkien “einfach nur entsetzt”, glaubt Lee.

Auf der Leinwand wird Tolkiens Stoff erst knapp ein halbes Jahrhundert nach der Veröffentlichung der Bücher ein großer Erfolg. Der neuseeländische Regisseur Peter Jackson verlegt die Berglandschaft von Mittelerde in seine Heimat. Allein die “Herr der Ringe”-Trilogie wird mit 17 Oscars ausgezeichnet. Dem folgt eine dreiteilige Verfilmung des “Hobbit”. Mit “Die Ringe der Macht” wird diese Erfolgstory in Form einer TV-Serie für den Streamingdienst von Amazon, Prime Video, fortgesetzt, allerdings nur noch sehr entfernt an Tolkiens Werke angelehnt. Die von Tolkien geschaffene Erzählung zieht weiter Kreise.

Von: APA/dpa