Ab 20. Juli läuft Christopher Nolans "Oppenheimer" im Kino

“Oppenheimer”: Nolans Überwältigungskino zündet erneut

Mittwoch, 19. Juli 2023 | 18:08 Uhr

Das Ergebnis dieser Arbeit war verheerend: Im Zweiten Weltkrieg entwickelten die USA die Atombombe, was schließlich zur Zerstörung der japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki führen sollte. Die wissenschaftliche Leitung über das “Manhattan-Projekt” hatte J. Robert Oppenheimer inne. Dieser enigmatischen wie tragischen Figur widmet Kultregisseur Christopher Nolan einen opulenten Blockbuster, der in jeder Hinsicht überwältigend ist. Ab Donnerstag läuft “Oppenheimer” im Kino.

Seit mehr als 20 Jahren liefert der britisch-amerikanische Filmemacher in regelmäßigen Abständen jene Werke, die Kritiker wie Publikum gleichermaßen abholen. Der Verfechter analoger Verfahren scheut dabei keine Mühen, um Bilder zu erzeugen, die geradezu nach der großen Leinwand verlangen – sei es im Science-Fiction-Epos “Interstellar”, das mit Schwarzen Löchern und mehreren Zeitebenen begeisterte, oder seiner “Dark Knight”-Trilogie, mit der Nolan neue Maßstäbe im Superheldenkino setzte. Doch so aufwendig sein gestalterischer Zugang auch sein mag, ist und bleibt er letztlich ein Geschichtenerzähler.

Und mit Oppenheimer hat Nolan einen Charakter gefunden, bei dem er aus dem Vollen schöpfen kann: Der US-Wissenschaftler (1904-1967) gilt als “Vater der Atombombe”, die er Anfang der 1940er-Jahre im Rahmen eines streng geheimen Projekts mit einer Heerschar an Kolleginnen und Kollegen entwickelte. Gleichzeitig war Oppenheimer bereits vor diesem Auftrag eine umstrittene Figur, da der theoretische Physiker deutsch-jüdischer Abstammung etliche Beziehungen zu kommunistischen Kreisen unterhielt – selbst aber nie Teil der kommunistischen Partei war. Dennoch wurde ihm nach dem Zweiten Weltkrieg in der McCarthy-Ära daraus ein Strick gedreht, was schließlich zum Entzug seiner Sicherheitsberechtigung führte – ein herber Schlag für den in viele Regierungsprojekte involvierten Wissenschaftler.

Diese beiden Stränge, die Entwicklung der Atombombe sowie das sukzessive Fallen in Ungnade, verbindet Nolan zu einer dreistündigen Tour de Force, die man sich als Zuseher erst erarbeiten muss. Der irische Darsteller Cillian Murphy, bei Nolan bisher eher für zwielichtige Nebenrollen gebucht, verleiht dem dünnen, hochgewachsenen und kettenrauchenden Oppenheimer eine erhabene Aura, ohne die Getriebenheit dieses von vielen als genial betrachteten Wissenschaftlers zu vernachlässigen. Zunächst wird man hineingeworfen in die Studienzeit des ehrgeizigen Mannes, die ihn von den USA über Großbritannien, die Niederlande und die Schweiz bis nach Deutschland führen sollte. Oft blickt man dabei in die strahlenden Augen Murphys, in sein auf den Horizont gerichtet Gesicht, während in schnell geschnittenen Sequenzen bereits Funken sprühen und das Feuer lodert.

Der Weg scheint vorgezeichnet, dennoch weiß Nolan, der sein Drehbuch auf Basis der Biografie “American Prometheus” von Kai Bird und Martin J. Sherwin verfasst hat, die Spannung hochzuhalten. Zurück in den USA steigt Oppenheimer schnell zu einem der gefragtesten Männer seines Fachs auf und bringt die Quantenphysik auch in seiner Heimat aufs Spielfeld. Kein Wunder also, dass die Regierung auf seinen Namen stößt, als es darum geht, sich gegen die Nazis im Wettrennen um die Atombombe durchzusetzen. Gemeinsam mit General Leslie Groves (Matt Damon in einer Paraderolle als hemdsärmeliger Militär, der so manchen Strauß mit Oppenheimer ausficht) soll er das Manhattan-Projekt zum Erfolg führen – und zwar an einem Ort, der für ihn zum zweiten Zuhause geworden ist: der Wüstenlandschaft um Los Alamos in New Mexico.

Hier wird eine Forschungsstadt aus dem Boden gestampft, in der sich über Jahre hinweg tausende Wissenschaftler und Mitarbeiter mit ihren Familien ganz ihrem Ziel widmen, das Oppenheimer ungeachtet zwischenzeitlicher Rückschläge eisern verfolgt. Die moralischen Fragen eine Waffe betreffend, die binnen Sekunden tausende Menschen auslöschen kann? Werden zwar immer wieder angerissen, bleiben für Oppenheimer aber eher störendes Nebengeräusch denn wirkliches Hindernis. Vielmehr ist er wie ein Dirigent darum bemüht, sein an allen Ecken und Enden ausfransendes Team zusammenzuhalten. Bis am Tag X endlich der alles entscheidende Test “Trinity” ansteht.

Wie bei Nolan üblich, wird das Geschehen ohne Atempause erzählt, wobei Kameramann Hoyte van Hoytema allen voran die karge Schönheit von New Mexico in betörend schönen Tableaus einfängt. Die Filmmusik von Ludwig Göransson wiederum scheint zu jeder Sekunde auf den nächsten Höhepunkt zuzusteuern, wirkt wie ein sich unbeugsam auftürmendes Monstrum aus Streichern, Drones und Percussion – ganz dem Endprodukt der Arbeit des Manhattan-Projekt gleich. Wenn dann einmal absolute Stille einkehrt, kann man sich sicher sein: der große Knall folgt auf dem Fuße.

Und doch ist “Oppenheimer” mehr als die bloße Nacherzählung einer wissenschaftlichen wie militärischen Errungenschaft, die den Lauf der Welt maßgeblich verändern sollte. Nolan biegt mit seinem als Biopic getarnten Thriller nämlich in unterschiedlichste Richtungen ab und nutzt seinen umwerfenden Allstar-Cast – Emily Blunt, Robert Downey Jr., Florence Pugh, Josh Hartnett, Casey Affleck, Rami Malek, Kenneth Branagh und Gary Oldman können alle auf ihre Weise Eindruck hinterlassen -, um auf mehreren Zeitebenen und im Wechsel zwischen Farb- und Schwarz-weiß-Sequenzen das berufliche wie private Schicksal Oppenheimers zu beleuchten. Wie üblich stellt sich dabei erst spät ein finaler Aha-Effekt ein. Dieser mag zwar nicht ganz so spektakulär daherkommen wie bei manch anderen seiner Filme. Aber dennoch ist dieser Sommerblockbuster einer, den man in jedem Fall gesehen haben sollte.

(S E R V I C E – www.universalpictures.at/micro/oppenheimer; www.oppenheimermovie.com)

Von: apa