Pyramidenbau: Theorie stellt alles infrage

Die Kraft, die Steine fliegen ließ

Mittwoch, 08. Oktober 2025 | 11:46 Uhr

Von: atav

Was, wenn alles falsch war?
Vergesst das Bild von Tausenden Sklaven, die unter sengender Sonne gigantische Steine über wackelige Rampen ziehen. Vergesst Seilzüge, primitive Werkzeuge und endlose Muskelkraft. Eine neue Theorie bringt alles ins Wanken – und behauptet, dass es nicht Schweiß war, sondern Wasser, das die Pyramiden in den Himmel hob.

Was klingt wie ein antiker Science-Fiction-Roman, stammt aus den Köpfen eines französischen Forscherteams – und könnte unser Verständnis einer ganzen Zivilisation auf den Kopf stellen.

Ein verborgener Mechanismus?
Im Zentrum der Theorie steht die Džoser-Pyramide in Sakkara – rund 4 700 Jahre alt und als älteste monumentale Steinstruktur Ägyptens bekannt. Doch laut dem Ingenieur Xavier Landreau und seinem Team verbirgt sich in ihrem Inneren mehr als nur ein Grab.

Die Forscher glauben, dass die Architektur Hinweise auf ein hydraulisches System enthält, das Wasserdruck nutzte, um tonnenschwere Blöcke anzuheben. Klingt absurd? Vielleicht. Aber sie liefern gleich mehrere Indizien: Schachtanlagen, Kammern, Gräben – alles präzise in den Fels gemeißelt, alles Teil eines Systems, das wie ein urzeitliches Wasserwerk wirkt.

Ein Pyramiden-Aufzug aus Wasser?
Das Konzept ist überraschend einfach: Ein Schacht wird mit Wasser gefüllt. Eine Plattform mit Steinblock schwimmt darauf – wie ein Aufzug. Wird das Wasser kontrolliert eingelassen, hebt sich die Plattform samt Block Stück für Stück nach oben. Kein Schieben, kein Heben – sondern Schweben.

Das Team nennt diesen Prozess den „sopečný způsob výstavby“ – eine Art „vulkanischen Bauprozess“, bei dem die Pyramide von innen heraus wuchs. Unterstützt durch das Umland, das mehr war als nur Kulisse.

Die Landschaft als Maschine
Westlich der Pyramide befindet sich ein mysteriöses Bauwerk: Gisr el-Mudir, eine gewaltige Mauer aus Stein. Für Landreau und sein Team war sie womöglich Teil eines Staudamms, der Wasser aus dem Nil auffing und über ein Netzwerk aus Kanälen, Becken und Filtern zur Baustelle leitete.

Ein zentrales Element soll der sogenannte „Trockengraben“ gewesen sein – eine ringförmige Struktur voller Kammern, die überraschend modern wirkt. Rückhaltebecken, Sedimentfilter, Strömungskontrolle? Wenn die Theorie stimmt, war Sakkara nicht nur Friedhof – sondern hydraulisches Hightech-Labor.

Kluge Köpfe, kritische Stimmen
Doch nicht alle sind begeistert. Judith Bunbury, Geoarchäologin aus Cambridge, hält die Idee für spekulativ: In Tausenden Darstellungen aus dem Alten Ägypten gebe es keinen einzigen Hinweis auf ein solches System.

Auch Oren Siegel von der Universität Toronto zweifelt – das Klima sei zu trocken gewesen, um ausreichend Wasser für ein funktionierendes System zu liefern.

Am deutlichsten wird Julia Budka von der LMU München: Sie kritisiert, dass kein einziger Ägyptologe am Projekt beteiligt war – und dass die Forscher sogar die Grabfunktion der Pyramide in Frage stellen. Ihrer Meinung nach fehlt der Theorie jede harte Grundlage.

Zwischen Spekulation und Sensation
Und doch: Die Vorstellung, dass die Ägypter schon vor viereinhalb Jahrtausenden mit Wasser bauten – nicht nur Straßen, sondern Monumente – lässt sich schwer abschütteln. Es wäre ein Beweis für ein technologisches Verständnis, das wir dieser Epoche nie zugetraut hätten.

Nicht mit Gewalt, sondern mit Genialität. Nicht durch Masse, sondern durch Mechanik. Vielleicht war es nicht der Pharao, der die Pyramide baute – sondern das Wasser selbst.

Ein vergessenes Kapitel?
Ob Fakt oder Fiktion – die Theorie bringt eine neue Dimension in unser Bild der Antike. Sie macht aus dem Alten Ägypten nicht nur eine Kultur der Mythen, sondern eine der Ingenieure. Und sie erinnert uns daran, dass Geschichte nicht in Stein gemeißelt ist – sondern im Fluss.

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