Von: Ivd
Bozen – Der 16. Oktober jeden Jahres, der Welternährungstag (World Food Day), macht darauf aufmerksam, dass weltweit noch immer viele Menschen hungern, obwohl es eigentlich genug zu essen, ja sogar einen Kalorienüberschuss gibt. Weniger bekannt ist aber die Tatsache, dass sich auch in reichen Ländern viele Menschen eine ausgewogene Ernährung nicht regelmäßig leisten können und somit von Ernährungsarmut betroffen sind.
Eine ausgewogene, gesundheitsförderliche Ernährung ist von zentraler Bedeutung für Gesundheit und Lebensqualität und trägt auch zum Umwelt- und Klimaschutz bei. Doch weltweit leiden 783 Millionen Menschen (jeder elfte Mensch) an Hunger. Weitere 2,33 Milliarden Menschen (29 Prozent der Weltbevölkerung) sind mit mäßiger bis schwerer Ernährungsunsicherheit konfrontiert, sprich sie können Nahrungsmittel aufgrund nicht funktionierender Verteilung oder mangelnder Kaufkraft nicht erwerben und nutzen. In der Folge ernähren sie sich zu einseitig und können einen Mangel an Protein, Vitaminen oder Mineralstoffen entwickeln (Quelle: FAO et al. 2024, Daten aus 2023). Zugleich ist die Zahl der fettleibigen Menschen höher als die Zahl der untergewichtigen Menschen, und es sterben mehr Menschen an den Folgen von Übergewicht und Fettleibigkeit als an den Folgen von Unterernährung. Weltweit sind 2,5 Milliarden Menschen über 18 Jahren übergewichtig (BMI ≥ 25), 890 Millionen davon leiden an Adipositas (Fettleibigkeit, BMI ≥ 30; Quelle: WHO 2025, Daten aus 2022).
Mehr Sattmacher, wenig Obst und Gemüse
Dafür, dass eine ausgewogene, gesundheitsförderliche Ernährung auch in reichen Ländern nicht für alle Menschen leistbar ist, gibt es in unseren Breiten erst seit Kurzem ein Bewusstsein. In Deutschland beispielsweise gestand der frühere deutsche Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft Cem Özdemir im Jahr 2022 als Erster in diesem Amt ein, dass Ernährungsarmut auch in einem reichen Land wie Deutschland existiere. „In ernährungsarmen Haushalten kommt aufgrund unzureichender finanzieller Mittel weniger Vielfalt auf den Tisch“, erklärt Silke Raffeiner, die Ernährungsexpertin der Verbraucherzentrale Südtirol. „An höherpreisigen Lebensmitteln wie Obst, Gemüse, Nüssen und Fisch wird gespart, um stattdessen günstige, sättigende Lebensmittel zu kaufen. Meist sind das kalorienhaltige Lebensmittel mit einem hohen Stärke-, Zucker- oder Fettanteil.“
Vom Mangel an Nahrung und dem Mangel an gesellschaftlicher Teilhabe
Die Wissenschaft unterscheidet zwischen materieller und sozialer Ernährungsarmut. Dabei bedeutet materielle Ernährungsarmut einen Mangel an Nahrung in quantitativer und/oder qualitativer Hinsicht aufgrund unzureichender finanzieller Mittel. Von einem qualitativen Mangel spricht man, wenn trotz ausreichender oder sogar übermäßiger Kalorienzufuhr zu wenig Obst, Gemüse, Nüsse und Proteinlieferanten gegessen werden. Für die Erhebungen werden Menschen danach gefragt, ob sie sich mindestens alle zwei Tage eine vollständige Mahlzeit mit Fleisch oder Fisch oder einem vergleichbaren vegetarischen Äquivalent leisten können. Soziale Ernährungsarmut dagegen bedeutet, dass Menschen in ihrer gesellschaftlichen Teilhabe eingeschränkt sind, weil sie an üblichen sozialen Routinen wie einem Restaurantbesuch oder dem Essen in der Mensa nicht oder nur begrenzt teilnehmen können und nicht in der Lage sind, Verwandte oder den Freundeskreis zum gemeinsamen Essen einzuladen. Um das zu erheben, werden Menschen danach gefragt, ob sie sich mindestens einmal im Monat mit Freunden oder Verwandten zum gemeinsamen Essen oder Trinken treffen können.
Im EU-Raum sind dieser Definition zufolge durchschnittlich 8,5 Prozent der Menschen von materieller Ernährungsarmut betroffen. Viele Mitgliedstaaten liegen über dem EU-Mittelwert, vor allem die osteuropäischen Länder, aber auch Italien (9,9 Prozent), Malta (10,2 Prozent), Frankreich (10,2 Prozent), Deutschland (11,2 Prozent) und Griechenland (11,3 Prozent; Quelle: Eurostat 2025, Daten aus 2024).
Materielle und soziale Ernährungsarmut in Italien
Ein detaillierteres Bild spezifisch für Italien liefert der letzte Bericht der internationalen Nicht-Regierungs-Organisation ActionAid, wonach sechs Prozent der Italiener über 16 Jahren von materieller Ernährungsarmut, 3,5 Prozent von sozialer Ernährungsarmut und 2,3 Prozent sowohl von materieller als auch von sozialer Ernährungsarmut betroffen sind – in Summe also 11,8 Prozent, beinahe sechs Millionen Menschen. Der Norden Italiens (7,6 Prozent) schneidet dabei besser ab als das Zentrum (10,7 Prozent) und der Süden einschließlich der Inseln (18,2 Prozent). Zu den besonders gefährdeten Gruppen zählen Erwachsene zwischen 35 und 44 Jahren, Menschen mit niedrigem Bildungsabschluss, Arbeitslose, prekär Beschäftigte, Ein-Eltern-Familien, kinderreiche Familien, Menschen ausländischer Herkunft sowie Menschen, die auf dem privaten Wohnungsmarkt zur Miete wohnen. Laut ActionAid seien nicht nur armutsgefährdete Schichten, sondern zunehmend auch die Mittelschicht betroffen. Für die Provinz Bozen – Südtirol wird der Anteil der Menschen in materieller und/oder sozialer Ernährungsarmut mit 4,2 Prozent angegeben (Quelle: ActionAid 2025, Daten aus 2023).
Armut und Mangelernährung: ein Teufelskreis
Problematisch an Ernährungsarmut sind auch ihre langfristigen sozialen und ökonomischen Folgen. Denn wenn in ernährungsarmen Haushalten infolge von Geldmangel Kinder und Jugendliche nicht ausgewogen essen können, entwickeln sie sich körperlich und geistig schlechter, als es unter „normalen“ Umständen der Fall wäre. Eine schlechtere kognitive Entwicklung bedeutet aber geringere Chancen auf Lernerfolge, den Schulabschluss und auf eine gute berufliche Qualifikation. Das wiederum führt dazu, dass diese Kinder und Jugendlichen mit einer höheren Wahrscheinlichkeit auch als Erwachsene in Armut leben werden (Quelle: Martin Rücker/ FIAN Deutschland 2024).
Menschenrechtsorganisationen appellieren daher an die Pflicht der Staaten, das Menschenrecht auf Nahrung zu gewährleisten. Jeder Mensch müsse sich eine ausgewogene Ernährung leisten können, ohne dafür bei anderen Grundbedürfnissen sparen zu müssen.
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