Von: Ivd
Innsbruck – Paul Wilcox, Geologe an der Universität Innsbruck, entdeckte erstmalig landbasierte Belege für Schmelzwasserimpulse während der letzten Eiszeit vor etwa 20.000 Jahren. Das Alter der Höhlensedimente wurde mit Hilfe optischer Datierungsmethoden bestimmt. Die aus den Sedimenten gewonnenen Daten tragen entscheidend dazu bei, die Abfolge der Klimaereignisse, die damals zu einer Erwärmung des Planeten führten, zu rekonstruieren. Die Ergebnisse wurden in der Zeitschrift Nature Geoscience veröffentlicht.
Vor etwa 20.000 Jahren erreichte das Kordilleren-Eisschild im westlichen Teil Nordamerikas seine größte Ausdehnung. Durch eine Veränderung der Position der Erde im Verhältnis zur Sonne kam es zu einer Klimaerwärmung. Diese zusätzliche Energie allein reicht jedoch nicht aus, um den Rückzug des Eises zu erklären. Es müssen weitere Klimakräfte aufgetreten sein, die das Abschmelzen des Eisschildes ermöglichten. Um welche Faktoren es sich dabei handelte und in welcher Abfolge diese auftraten, ist nicht restlos geklärt.
Einem Team rund um Paul Wilcox von der Arbeitsgruppe für Quartärforschung am Institut für Geologie gelang es kürzlich, ein weiteres Puzzleteil zur Aufarbeitung dieser vergangenen Klimaereignisse beizutragen: In Höhlen auf der Prince-of-Wales-Insel (Alaska) wurden erstmals landbasierte Sedimentablagerungen gefunden, welche eiszeitliche Schmelzwasserereignisse des Kordillerischen Eisschildes belegen.
Michael Meyer, Leiter des Labors für optisch stimulierte Lumineszenzdatierung und ebenfalls Mitglied der Quaternary Research Group an der Uni Innsbruck, sowie Daniela Festi, Pollenforscherin bei GeoSphere Austria, waren eng in die Analyse der Höhlensedimentproben eingebunden.
Vergangene Veränderungen des Klimas zu betrachten, ist eine der wichtigsten Methoden, um den vom Menschen verursachten Klimawandel zu verstehen. Die aus geologischen Archiven gewonnenen paläoklimatischen Informationen fließen in aktuelle Klimamodelle ein und ermöglichen es, zukünftige Klimaentwicklungen besser zu verstehen und so wirksame Schutz- und Anpassungsmaßnahmen zu entwickeln.
Überraschende Entdeckung
Die in der Studie beschriebenen Sedimente entdeckte Wilcox im Rahmen einer paläoklimatischen Feldforschung in schwer zugänglichen Höhlen auf der Prince-of-Wales-Insel. „Die Sedimentablagerungen in den Höhlen kamen mir seltsam vor, da sie keinerlei organische Rückstände enthielten – was in einem gemäßigten Regenwaldgebiet, wie auf der Prince-of-Wales-Insel auftretend, höchst unwahrscheinlich ist“, erklärt Wilcox. Zudem zeigten die Ablagerungen Auffälligkeiten in der Verwitterung: Während Höhlensedimente üblicherweise chemisch verwittern, schienen die von Wilcox entdeckten Gesteine mechanischen Verwitterungsprozessen ausgesetzt gewesen zu sein.
„Ich entnahm systematisch einige Proben, um herauszufinden, wie alt diese Sedimente sind“, schildert Wilcox den Verlauf der Forschung. Höhlensedimente zu datieren ist jedoch ein schwieriges Unterfangen, insbesondere dann, wenn kein organisches Material für eine Radiokohlenstoffdatierung vorhanden ist.
Konservierte Zeitzeugen
Eine alternative Methode zur numerischen Datierung von Sedimenten ist die direkte Analyse ihrer intrinsischen Lichtsignale, die sich im Laufe der Zeit akkumulieren. Dies ist mittels der Optisch Stimulierter Lumineszenz (OSL)-Datierung möglich. Ein solcher OSL-Datierungsansatz beruht auf dem Vorhandensein sandgroßer Quarzkörner im Sediment und bestimmt den Zeitpunkt der letzten Lichteinwirkung auf das Sediment. „Obwohl der Fundort in einer Kalksteinregion liegt, haben wir gerade ausreichend Quarzreste gefunden, dass der Einsatz von OSL möglich war“, sagt Michael Meyer, der sich seit mehr als zehn Jahren intensiv mit dieser Datierungsmethode und ihrer Anwendung in verschiedenen geologischen Zusammenhängen beschäftigt.
„Die OSL-Datierung ist eine der potentesten Methoden zur Datierung der jüngsten geologischen Vergangenheit aber wurde bis dato aus verschiedenen methodischen Gründen kaum für die Altersbestimmung von Höhlensedimenten herangezogen. Im Rahmen dieser Forschungsarbeit ist es zum ersten Mal gelungen, Sedimentabfolgen aus dem tiefen Inneren einer Höhle mittels OSL zu datieren“, erklärt Meyer.
Die analysierten Sedimente sind zwischen 20.000 und 17.000 Jahre alt und wurden gegen Ende der letzten Eiszeit in der Höhle abgelagert. Sie sind dort bis heute unberührt geblieben: „In gewisser Weise fungierte die Höhle als eine Art Zeitkapsel, welche die Sedimente über Jahrtausende hinweg konservierte“, so Meyer.
In den Ablagerungen wurden auch Pollen konserviert: „Dies beweist indirekt, dass es während der größten Ausdehnung des Eisschildes möglicherweise eisfreie biologische Refugien gegeben hat, in denen Pflanzen auch unter extremen klimatischen Bedingungen überleben konnten“, erklärt Daniela Festi, die die Pollendaten analysiert hat.
Schmelzende Eismassen
Die Spuren von Quarz inmitten einer Kalksteinregion deuten darauf hin, dass die Sedimente über weite Strecken bis zur Höhle transportiert worden sein müssen. Daraus ergibt sich der Zusammenhang mit den Klimaveränderungen gegen Ende der letzten Eiszeit: Die Wissenschaftler konnten nachweisen, dass die Höhlensedimente letzteiszeitliche Schmelzwasserereignisse aus dem Kordilleren-Eisschild belegen. „Der Großteil der Sedimente, welche im damals Schmelzwasser transportiert wurden, landete im Meer. Unser Fund ist der erste Nachweis landbasierter Schmelzwasserablagerungen aus diesen Gletschermassen“, sagt Wilcox.
Kaskadeneffekt im Klimawandel
Die aktuelle Forschung zu den Mechanismen und Triebkräften des menschengemachten Klimawandels hat die nordatlantische Umwälzzirkulation (AMOC) als potenziellen Kipppunkt für das globale Klimasystem identifiziert. Paläoklimatische Daten zeigen, dass starke Schmelzwasserimpulse in den Nordatlantik – bekannt als Heinrich-Ereignisse – während des letzten Eiszeitzyklus wiederholt auftraten, den Wärmehaushalt der Region erheblich störten und so globale Klimafolgen auslösten.
Jüngste Belege aus Höhlensedimenten in Alaska zeigen, dass Schmelzwasserereignisse im Nordostpazifik – die so genannten Siku-Ereignisse – denen im Nordatlantik vorausgingen. „Dies unterstützt die Hypothese, dass Klimaveränderungen im Nordostpazifik eine Voraussetzung für die im Nordatlantik beobachteten Verschiebungen waren“, erklärt Wilcox.
Das Verständnis der räumlichen und zeitlichen Dynamik dieser Schmelzwasserereignisse und ihrer Auswirkungen auf den Atlantischen und den Pazifischen Ozean ist von entscheidender Bedeutung. Die künftige Klimaerwärmung könnte zu einem verstärkten Süßwassereintrag in diese Becken – insbesondere in den Nordatlantik – führen, wodurch kritische Schwellenwerte der ozeanischen Zirkulationssysteme überschritten werden könnten.
In einem nächsten Schritt sollen weitere Höhlen Alaskas, in welchen vergleichbare Sedimentarchive vorkommen, untersucht werden, um die Abschmelzdynamik der Eisschilde während der letzten Eiszeit umfassender zu rekonstruieren. Diese Forschung trägt dazu bei, den Effekt von plötzlichen Süßwassereinträgen auf das Ozean- und Klimasystem unter zukünftigen Erwärmungsszenarien besser zu antizipieren.
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