Caritas-Wirkungsbericht 2016

„Das andere Südtirol“

Mittwoch, 15. März 2017 | 14:45 Uhr

Bozen – Die Zahl der Hilfesuchenden ist erneut angestiegen, der soziale und psychische Druck auf die Menschen steigt und das trotz positiver Wirtschaftsentwicklung: Das ist die Bilanz, welche die Caritas mit ihren über 40 Einrichtungen und Anlaufstellen für Menschen in Not aus dem abgelaufenen Jahr 2016 zieht. 35.000 Menschen hat die Caritas allein in Südtirol unterstützt, betreut, beherbergt, beraten, weitergebildet oder als freiwillige Helfer involviert. Tausende weitere im In- und Ausland haben im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit und der Katastrophenhilfe Unterstützung erfahren. Beispielhaft war auch im vergangenen Jahr wieder die große Solidarität der Bevölkerung, welche das Wirken der Caritas durch Freiwilligenarbeit und/oder Spenden unterstützt hat.

Schon im Jahr 2015 haben die Caritas-Dienste einen starken Zuwachs vor allem in den Bereichen Flucht und Asyl, Wohnungslosigkeit und Suchterkrankungen verzeichnet. „Im Jahr 2016 hat sich dieser Trend fortgesetzt, vor allem unter den Asylsuchenden. Mehr als 1.200 Menschen haben sich im vergangenen Jahr an die Flüchtlingsberatung in Bozen gewandt. Das sind 70 Prozent mehr als im Vorjahr. Ähnlich war die Situation in der Essensausgabe ,Clara‘ in der Nähe des Bozner Bahnhofes: Dort stieg die Zahl der Menschen, die mit warmen Mahlzeiten versorgt wurden, um 80 Prozent auf 1.355 an“, zieht Caritas-Direktor Franz Kripp Bilanz. „Der Hauptgrund für den Anstieg in beiden Diensten ist die Anwesenheit von mehreren hundert Asylwerbern, die noch keinen Platz im staatlichen Aufnahmeprogramm hatten. Unter diesen als ,fuori quota‘ bekannt gewordenen Schutzsuchenden sind viele Frauen und Kinder, die stark traumatisiert sind. Sie bräuchten, genauso wie viele andere Asylbewerber, auch dringend psychologische Hilfe, die sie in Südtirol aber nur selten erhalten“, sieht Kripp hier Handlungsbedarf.

Eine der Hauptschwierigkeiten für Zuwanderer (nicht nur Flüchtlinge) ist und bleibt es, eine Unterkunft und einen Arbeitsplatz zu finden. „Die 2016 beschlossene Neuregelung der finanziellen Sozialhilfe, wonach Ansuchende mindestens zwölf – statt bisher sechs – Monate durchgehend ihren ständigen Aufenthalt im Land haben müssen, wirkt sich dabei auf viele negativ aus“, merkt Kripp an. In den verschiedenen Beratungsstellen der Caritas für eingewanderte Mitbürger ist die Zahl der Hilfesuchenden um bis zu 14 Prozent angestiegen. So haben 2.100 Frauen und Männer bei der Anlaufstelle „Migrantes“ in Bozen – wo die Caritas heute ihren Wirkungsbericht vorgestellt hat − Hilfe gesucht, während bei der MigrantInnenberatung „Moca“ in Meran mit 1.115 Personen der höchste Wert der vergangenen fünf Jahre verzeichnet wurde. „Unter den Hilfesuchenden waren viele anerkannte Flüchtlinge, die zwar ein Bleiberecht haben, jedoch auf dem Arbeitsmarkt in Südtirol nur schwer Fuß fassen“, berichtet Kripp. Im Bereich der Wohnungssuche habe sich das so genannte Auszugsmanagement bewährt, das die Caritas im vergangenen Jahr ins Leben gerufen hat. 67 Menschen, die ihr Flüchtlingshaus verlassen mussten, haben 2016 dadurch eine Unterkunft gefunden. „Sie alle haben ohne Hilfe kaum Chancen auf dem Mietmarkt“, sagt Kripp.

„Weiter zugenommen haben im vergangenen Jahr aber auch die Probleme von Menschen, die kein Dach über dem Kopf haben, die suchtkrank sind oder die nach einem Gefängnisaufenthalt einen Weg zurück in die Gesellschaft suchen“, berichtet Caritas-Direktor Paolo Valente. Immer mehr Menschen, welche gerade in den niederschwelligen Diensten der Caritas Hilfe und Unterstützung suchen, weisen gesundheitliche und psychische Probleme auf, die es ihnen erschweren, eine Arbeit und eine Wohnung zu finden und so erneut ein selbständiges Leben führen zu können. „Gleichzeitig fehlt auch eine enge Kooperation mit und zwischen den Gesundheits- und Sozialdiensten, auch weil es den öffentlichen Diensten vielerorts an personellen Ressourcen mangelt“, zeigt Valente eine Schwachstelle des Systems auf.

Eine nach wie vor große Zahl an Betreuten weisen die neun Caritas-Strukturen für Wohnungs- und Obdachlose auf: 830 Personen fanden hier 2016 eine Unterkunft; 108.000 Nächtigungen waren es insgesamt. Eine dieser Einrichtungen ist Haus Margaret, das Obdachlosenhaus für Frauen in Bozen. „Wir haben im vergangenen Jahr auffällig viele junge Frauen beherbergt. Von den insgesamt 58 Gästen war ein Viertel zwischen 18 und 24 Jahre alt. Sie sind aufgrund familiärer und finanzieller Schwierigkeiten zu uns gekommen, gar einige aber auch aufgrund von psychischen Problemen, Schwangerschaften oder chronischen Erkrankungen“, sagt die Leiterin Giulia Frasca und bestätigt damit den Trend, dass die Multiproblematiken bei den Betreuten zunehmen. Für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Caritas bedeutet das eine zusätzliche Herausforderung, denn die Betreuung von Personen mit Mehrfachproblemen ist aufwändiger, erschwert Integrationsmaßnahmen und geht weit über das ursprüngliche Arbeitsfeld hinaus.

Offiziellen Daten zufolge haben sich Südtirols Wirtschaft und Arbeitsmarkt allgemein gut erholt. Doch nicht alle Südtiroler profitieren davon. Das zeigt sich in der Zunahme von bestimmten seelischen Nöten. Deutlich wurde dies im vergangenen Jahr in Caritas-Diensten wie der Telefonseelsorge, der Männerberatung, der Schuldnerberatung und der Sozialberatung. „In diesen Diensten suchen Menschen Rat und Beistand, die Angst um ihren Platz in der Gesellschaft haben“, sagt der zuständige Bereichsleiter Guido Osthoff. „Beziehungsprobleme, Einsamkeit, Überforderung und Gefühle von Isolation und Ausgrenzung machen den Menschen immer mehr zu schaffen. Viele leben in belastenden Lebenssituationen, wissen nicht, wie sie mit diesem Druck zurechtkommen sollen. Körperliche und seelische Probleme waren dabei nicht selten Folge- oder Nebenerscheinungen von Verschuldung, familiären Konflikten oder anderen Lebenskrisen. Diese soziopsychologischen Phänomene machen die Betreuung dieser Menschen zunehmend schwieriger“, merkt Osthoff an.

In der Arbeit mit sozialen Randgruppen und bedürftigen Menschen geht es der Caritas nämlich nicht nur um lebenserhaltende Maßnahmen, sondern auch darum, Betroffene wieder vom Rand in die Mitte der Gesellschaft zu holen. Deshalb hat die Caritas im vergangenen Jahr auch verschiedene Aktionen und Sensibilisierungsprojekte ins Leben gerufen. „Ohne die Zusammenarbeit und Unterstützung unserer zahlreichen freiwilligen Helferinnen und Helfer – insgesamt 5.000 – wäre das schlicht unmöglich. Sie wenden eines ihrer kostbarsten Güter auf, nämlich Zeit, um für andere Menschen da zu sein“, hebt Direktor Paolo Valente die wertvolle Arbeit der Ehrenamtlichen hervor. „Die Pfarreien als lokales Bindeglied innerhalb der Gesellschaft spielen dabei eine wichtige Rolle. Mit der Wahl der neuen Pfarrgemeinderäte im vergangenen Jahr ist das soziale Engagement noch einmal gewachsen.“

Unvorstellbar wäre die Hilfe der Caritas auch ohne die großzügige finanzielle Unterstützung der Südtiroler Bevölkerung. 2016 haben 10.400 Spenderinnen und Spender die Arbeit der Caritas mit insgesamt 3,9 Millionen Euro unterstützt. Davon wurden 767.000 Euro für Not in Südtirol und 3,2 Millionen Euro für Hilfsprojekte außerhalb des Landes gespendet. Besonders solidarisch zeigten sich die Südtiroler dabei mit der hungerleidenden Bevölkerung in Afrika (1,2 Millionen Euro) und den Erdbebenopfern in Mittelitalien (1 Million Euro). „Die Bekämpfung des Hungers und die Existenzsicherung stehen in unserer Entwicklungszusammenarbeit immer im Vordergrund. Dabei ist es uns aber wichtig, die notleidende Bevölkerung nicht nur mit Hilfsgütern zu versorgen, sondern sie darin zu unterstützen, selbständig ihre Zukunft zu meistern. Wie übrigens in allen unseren Diensten die Hilfe zur Selbsthilfe im Vordergrund steht“, schließt Caritas-Direktor Franz Kripp.

Die wichtigsten Daten von 2016 auf einen Blick:

– 35.000 Betreute insgesamt
– 75.000 Mahlzeiten für 2.200 Personen in den Essensausgabestellen Clara in Bozen und Maria Hueber in Brixen
– 3.600 Personen erhalten MigrantInnenberatungen
– 830 Personen in den neun Obdach- und Wohnungsloseneinrichtungen
– 548 Asylbewerber in 10 Flüchtlingshäusern
– 336 Männer bei der Männerberatung
– 450 Beratungsgespräche in den Gefängnissen
– 3,9 Millionen Spendengelder von 10.400 Spenderinnen und Spendern
– 5.000 Freiwillige, davon 940 dauerhaft in den verschiedenen Caritas Diensten

Den ausführlichen Wirkungsbericht der rund 40 Dienststellen der Caritas samt Bilanz wird, wie jedes Jahr, im Mai auf der Homepage der Caritas veröffentlicht. Er ist dort dann unter www.caritas.bz.it für alle einsehbar.

Von: mk

Bezirk: Bozen