Von: lup
Brixen – Das war ein Fest der Gerechtigkeit, der Solidarität und des Nachdenkens am 12. September in Brixen: Vor 40
Jahren wurde dort der erste Weltladen Italiens eröffnet. Frauen und Männern, die aus der Entwicklungszusammenarbeit (EZA) in Afrika zurückkamen, war klar, dass die Lebensbedingungen der Menschen im Globalen Süden weder mit Geld- noch mit Sachspenden nachhaltig zu verändern waren. Die Handwerker*innen und bäuerlichen Kleinbetriebe brauchten langfristig Abnehmer*innen und faire Preise.
Die Anfänge des fairen Handels in Südtirol waren schwierig, aber das Engagement groß. Von Brixen ausgehend entstand eine Weltladenbewegung in ganz Italien, die bis heute wächst. Allein im vergangenen Jahr wurden in den Südtiroler Weltläden Produkte um 2,5 Millionen Euro verkauft. 13 Teilzeitkräfte stemmen mit rund 250 Freiwilligen Einkauf und Verkauf, Öffnungszeiten, Lager, Geschäftsdekoration und Mitarbeiterführung. Tausende Familien im Globalen Süden haben so seit 40 Jahren ein sicheres Einkommen. Der Südtiroler Bevölkerung werden Alternativen zum traditionellen und häufig ausbeuterischen Handel angeboten.
Die Eisacktalerin Erika Grossrubatscher kennt den Weltladen Brixen genau. Sie gehört zwar nicht zu den zehn Gründerinnen und Gründern, aber sie arbeitet seit fast 23 Jahren als Freiwillige mit und war mehrere Jahre lang Vorsitzende der Brixner Weltladen-Genossenschaft: „Zu Beginn war es sehr schwierig, Ware aus den südlichen Ländern zu bekommen“, erzählt sie. Zum Teil hätten Missionare und Mitarbeiter*innen der EZA bei ihren Heimatbesuchen Ware mitgebracht oder sie wurde aus den Weltläden Österreichs importiert – „mit allen Schwierigkeiten, die damals mit Zoll und Import verbunden waren“, sagt Erika Grossrubatscher. Zeitgleich wurde Öffentlichkeits- und Überzeugungsarbeit gemacht. So entstand 1986 im Weltladen Brixen ein InfoDienst mit Fachbibliothek und ein Mitarbeiter wurde für Bewusstseinsbildung engagiert. So wuchs aus dem Weltladen heraus die OEW Organisation für eine solidarische Welt, die bis heute Informationsarbeit leistet und der Südtiroler Bevölkerung globale Zusammenhänge aufzuzeigen versucht.
Erste Vorsitzende der OEW und ständig engagiert bei der Verbreitung der Weltladenidee in Südtirol war Christine Baumgartner. Vor 48 Jahren (1972) war die heute 76-Jährige als eine der ersten Südtiroler Laien mit dem Österreichischen Entwicklungsdienst nach Zaire gegangen, hat dort Französisch gelernt und sich mit Entwicklungsthemen auseinandergesetzt. „Tun Sie“, hat Bischof Joseph Gargitter 1980 nach der Rückkehr zu ihr und zu Rudi Kiebacher gesagt. Noch im selben Jahr eröffnete Christine Baumgartner mit ihm und acht Gleichgesinnten den ersten Weltladen Südtirols und damit Italiens. Die Diözese stellte zwei Räume kostenlos dafür bereit. Der öffentliche Diskurs über Globalisierung war noch nicht angestoßen, das Vertrauen des Südtiroler Oberhirten in die Brixner Utopisten umso überraschender. Die Brixner Gruppe war daraufhin auch maßgeblich am Entstehen des Gesetzes für Entwicklungszusammenarbeit in Südtirol beteiligt.
Im Weltladen Brixen wurden anfangs fast nur handwerkliche Erzeugnisse angeboten. Später kam Kaffee aus Nicaragua dazu und weitere Lebensmittel bereicherten das Sortiment. „Immer mehr Menschen haben sich von der Idee des fairen Handels überzeugen lassen“, betont Erika Grossrubatscher. Hilfe zur Selbsthilfe für die Menschen im Globalen Süden sei der Antrieb für ihr Tun gewesen. In der Folge entstanden Weltläden in Bozen, in Sand in Taufers, Meran, St. Lorenzen und anderen Orten Südtirols. Einen weiteren runden Geburtstag – sein 20-jähriges Bestehen – feiert heuer der Weltladen Sterzing. 2013 wurde das Netzwerk der Südtiroler Weltläden gegründet, das Brigitte Gritsch koordiniert und dem es ein Anliegen ist, dem fairen Handel in Südtirol ein einheitliches Bild und eine gemeinsame Stimme zu geben. Diesem Netzwerk gehören inzwischen 13 Weltläden an, die in elf Genossenschaften organisiert sind. Der jüngste Weltladen wurde im vergangenen Herbst in Kastelruth gegründet. „Ohne unsere treuen Kundinnen und Kunden hätten die Weltläden keine Daseinsberechtigung“, sagt Brigitte Gritsch. Sie freut sich über den wachsenden Kundenstock und ist dankbar für die 250 Freiwilligen, die wöchentlich durchschnittlich vier Freiwilligenstunden beitragen, um die 13 Weltläden am Laufen zu halten.
„Die Vorstände der einzelnen Genossenschaften arbeiten mit viel Einsatz und großem Verantwortungsbewusstsein. Sie schenken Zeit und halten Kontakt zu den Importeurinnen und Importeuren“, erklärt Brigitte Gritsch. Die einzelnen Südtiroler Genossenschaften entscheiden autonom, bei welchen Importeuren sie einkaufen. Die Produktvielfalt in den Weltläden ist entsprechend groß. Langfristig hätten die Weltläden in Südtirol nur dann eine Zukunft, wenn sie sich durch Qualität und transparente Information vom traditionellen Handel abheben, ist Brigitte Gritsch überzeugt.
Alexandra Wieland ist seit 13 Jahre die Verantwortliche des Jubiläums-Weltladens in Brixen: „Wir sind herausgefordert, die Weltläden noch stärker als Fachhandel für fair gehandelte Produkte zu etablieren und den Konsumentinnen und Konsumenten kompetente Beratung anzubieten“, beschreibt sie ein wichtiges Anliegen. Viele faire Lebensmittel sind bereits in Bio-Qualität. Umweltschutz ist eines der Kriterien des fairen Handels und Gesundheit den Kleinproduzent*innen ein immer größeres Anliegen. „Mit spannenden Events und Geschichten erreichen wir Kinder und Jugendliche“, erzählt Brigitte Gritsch. Sensibilisierung sei Wissensvermittlung, betont sie, denn nur dann könne Veränderung stattfinden.
Sie erinnert sich gerne an die Schokoladenkampagne „sweet afFAIR“ im Jahr 2017, an verschiedene „Fair&Local CookingNights“ mit Südtiroler Sterneköchen, an den Fair-Trend-Wettbewerb für Jugendliche, den es seit mehr als zehn Jahren gibt, an die Aktion „Schmuck im Schloss“, bei der Schmuck aus dem Globalen Süden in Südtiroler Schlössern vorgestellt wurde, an Plakatkampagnen und Messeauftritte. „Wir brauchen ständige Präsenz, um immer mehr und auch neue Menschen zu erreichen“, sagt Gritsch. In diesen Wochen und Monaten sei das für die Menschen im Globalen Süden besonders wichtig. Corona habe manche Produzent*innen schwer getroffen. Die Auswirkungen werden sie lange spüren.
Der Faire Handel habe herausragende Fähigkeiten im Aufbau von Süd-Nord-Handelsbeziehungen bewiesen, sagt Alexandra Wieland. Das stärke auch die lokale und regionale Produktion und Wertschöpfung. Diese Erfahrungen gelte es künftig verstärkt zu nutzen, um jeweils vor Ort souveräne Märkte aufzubauen und sowohl im Süden als auch im Norden der Welt kleine Wirtschaftskreisläufe zu fördern. Das wird mit dem Begriff „Domestic Fair Trade“ umschrieben und bedeutet inländischer fairer Handel. Auch deshalb bieten inzwischen viele Südtiroler Weltläden fair gehandelte biologische Produkte von kleinen Südtiroler Genossenschaften zum Verkauf an.