Von: luk
Bozen – Selten haben Südtirols Weinbauern derart gesunde, vollreife und schöne Trauben geerntet wie in diesem Jahr. Darüber sind sich die Experten aus allen Anbaugebieten einig. Entsprechend erwartet man sich trotz andauernder Hitze und Trockenheit vom Jahrgang 2022 viel: runde, harmonische, ausgeglichene Weiß- und kräftige, gehaltvolle Rotweine.
In Sachen Witterung hat Südtirol ein besonderes Jahr hinter sich, das bereits mit einem sehr warmen Frühling begonnen hat. „Die überdurchschnittlichen Temperaturen Mitte April standen im krassen Gegensatz zum sehr kühlen April 2021“, erklärt Hansjörg Hafner, Bereichsleiter Weinbau im Beratungsring für Obst- und Weinbau. So kam es in den mittleren bis späteren Lagen bei allen Sorten zu einem früheren Austrieb als im Vorjahr. Weil es auch im Mai warm war, ist es zu einer schnellen Blüte gekommen, und zwar in allen Lagen. „In normalen Jahren hinkt der Zeitpunkt der Blüte in den Höhenlagen rund drei Wochen hinter jenem in niedrigen Lagen hinterher“, sagt Barbara Raifer, Weinbauexpertin im Versuchs-zentrum Laimburg. „In diesem Jahr hat sich alles auf eine Woche zusammengeschoben.“
Eine weitere Besonderheit waren Hitze und Trockenheit im Sommer. Die Trockenheit hat zwar kaum für Schäden gesorgt, weil der allergrößte Teil der Rebenanlagen mit einer Tropfbewässerung ausgestattet ist. Trockenheit und Hitze haben den Weinbauern allerdings durchaus Mehrarbeit abverlangt. „Wir mussten vor allem mit gezielter Laubarbeit dafür sorgen, dass die Trauben nicht zu viel Sonne abkriegen“, berichtet Andreas Kofler, Präsident des Konsortiums Südtirol Wein.
Frühe Ernte, gesunde Trauben
Warme Frühlings- und heiße Sommermonate haben dafür gesorgt, dass die Traubenernte 2022 in Südtirol – und zwar durchwegs in allen Lagen – zehn bis 14 Tage früher begonnen hat als im Vorjahr. Mengenmäßig dürfte der Jahrgang 2022 weitgehend im Durchschnitt der letzten Jahre liegen. Stephan Filippi, Kellermeister der Kellerei Bozen, auf die Traubenqualität in diesem Jahr angesprochen: „Die Trauben sind einwandfrei, gesund und sehr, sehr gut.“ Auch Hans Terzer, Kellermeister der Kellereigenossenschaft St. Michael-Eppan, freut sich über die außergewöhnliche Qualität des Lesegutes: „Ich habe hier in St. Michael 46 Ernten hinter mir, aber so wunderschöne, gesunde und vollreife Trauben habe ich kaum einmal gesehen.“
Große Rotweine aus vollreifen Trauben
Wegen Hitze und Trockenheit weisen die Trauben aller Sorten eine außergewöhnliche gute Reife und eine geringere Säure auf. Diese Kombination wird sich in einem höheren Alkoholgehalt der Weine widerspiegeln, wodurch sich die Weine etwas vollmundiger, breiter präsentieren werden. „Die hohe Reife ist gerade für Lagrein, Cabernet oder Merlot ein Riesenvorteil“, freut sich Filippi, der sich zudem einiges vom Vernatsch verspricht: „Der St. Magdalener entwickelt sich sehr gut, mit vollem Geschmack und toller Reife. Das wird einen Wein geben, der gefällt.“ Ähnlich schätzt auch Hans Terzer den Südtiroler Rotweinjahrgang 2022 ein und ergänzt: „Der Blauburgunder dürfte sehr schön werden, mit einer kräftigen Farbe und ebenso kräftigen Aromen. Dasselbe gilt für den Lagrein.“ Insgesamt erwarten sich die Kellermeister einen exzellenten Rotweinjahrgang: „Weil der Alkoholgehalt etwas höher liegen wird, trinkt man vielleicht ein halbes Glas weniger, aber alles in allem: Wir freuen uns auf diesen Jahrgang!“
Weißweine mit entwickelter Frucht und wenig Säure
„Die Trauben waren gesund und von hoher Qualität, der Zuckergehalt ist gut und die niedrige Säure hat man im Griff“, so Barbara Raifer. Es sei extrem darauf geachtet worden, vor dem Zeitpunkt zu ernten, zu dem die Säure allzu sehr abfalle. „Schöne, harmonische Weine mit ausgeglichenem Säurespiel“ erwartet sich auch Hans Terzer, der überzeugt ist, dass vor allem Chardonnay, Weißburgunder und Pinot Grigio aus einem insgesamt guten Weißweinjahr hervorstechen werden. Und auch der Gewürztraminer könne von den diesjährigen Bedingungen profitieren, ist Raifer überzeugt. „Seine Aromen kommen auch bei niedriger Säure voll zur Geltung“, erklärt sie.
Weinwirtschaft vorsichtig optimistisch
Mit einem großen Jahrgang vor Augen blickt die Südtiroler Weinwirtschaft optimistisch in die Zukunft – vorsichtig optimistisch, wie Konsortiums-Präsident Andreas Kofler betont. Vor allem die hervorragende Traubenqualität hebe die Stimmung unter den Weinbauern. „Das Wimmen macht Freude, weil das Wetter mitspielt und die Trauben durchwegs schön sind“, so Kofler. Eine Stimmungsbremse sei nur die Teuerungswelle, die auch die Weinwirtschaft erfasst hat. „Die Kosten, vor allem für Energie, Treibstoff und Verpackungsmaterial sind enorm gestiegen“, so Kofler. Darüber hinaus gebe es auch im Weinsektor Lieferengpässe. „Längerfristig zu planen, ist fast unmöglich, wir navigieren auf Sicht“, so der Präsident des Konsortiums Südtirol Wein. „Aber das sind wir seit der Pandemie ja gewohnt.“
Kofler betont, dass die Südtiroler Weinwirtschaft in den letzten Jahren den richtigen Weg eingeschlagen habe: Qualitätspolitik, Internationalisierung, Nachhaltigkeit. „Im Premium-Segment mitzuspielen und international breiter aufgestellt zu sein: Das bewährt sich vor allem bei so schwierigen Rahmenbedingungen wie heute“, so Kofler. „Wir werden deshalb diese Strategie auch weiterhin konsequent verfolgen.“