Von: luk
Bozen – Zur Halbzeit 2019 befindet sich die Südtiroler Wirtschaft nach wie vor auf Wachstumskurs. Erste Abschwächungen zeigen sich allerdings bei Exportzahlen und Nächtigungen. Auch das Stimmungsbild der Südtiroler Arbeitnehmerschaft ist stabil bis gut – besonders die Aussichten bei einem Jobwechsel. Beunruhigend sind hingegen die „harten Fakten“: Trotz steigender Arbeitsproduktivität lag die Entwicklung der effektiven Bruttolöhne von Arbeitnehmern in der Privatwirtschaft im Zeitraum 2010-2017 unter jener der Inflationsrate.
Zur Jahresmitte 2019 bleibt die Wirtschaft in der Europäischen Union auf Wachstumskurs. Aktuell ist keine akute Rezessionsgefahr zu erkennen. Allerdings: Neben führenden Forschungsinstituten hat auch die EU-Kommission jüngst ihre Wachstumsprognosen für 2019 nach unten korrigiert. Dies gilt insbesondere für Märkte, die für die Südtiroler Wirtschaft besonders wichtig sind (Italien, Deutschland, Österreich). Belastend auf die internationale Konjunktur wirken schwelende Handelskonflikte, das derzeit angespannte politische Klima (sichtbar an der schwierigen Wahl der EU-Kommission), die Niedrigzinspolitik der EZB und der allmählich schwächelnde Außenhandel.
Stimmung der Südtiroler Arbeitnehmer bleibt aufwärtsgerichtet
Das Stimmungsbild der Südtiroler Arbeitnehmerschaft bleibt insgesamt recht positiv. Erwähnenswert ist, dass die gesamtwirtschaftlichen Aussichten für die nächsten zwölf Monate weiterhin im positiven Bereich liegen. Das Risiko, den eigenen Arbeitsplatz zu verlieren, wird von den Arbeitnehmern letzthin wieder etwas höher empfunden. Dennoch gestaltet sich die Suche nach einem gleichwertigen Arbeitsplatz unproblematisch wie noch nie seit Beginn der Erhebung.
Erste Anzeichen der Abkühlung
Die Zwischenbilanz 2019 kann sich sehen lassen: Der Jobmotor läuft auf hohen Touren (+2,2 Prozent zum Vorjahr), die Erwerbbeteiligung liegt auf Höchstniveau (74,1 Prozent), die Arbeitslosenrate bei 2,9 Prozent, die Inflation im Rahmen (+1,7 Prozent), die Versorgung der Unternehmen und Haushalte mit Krediten dehnt sich kräftig aus (+4,6 Prozent). Neu ist, dass seit einigen Monaten die unbefristeten Verträge zunehmend die befristeten ersetzen (ein zeitweiliger Effekt des “Decreto-Dignità”). Der im Vergleich zum BIP überdurchschnittliche Ausbau der Beschäftigung schlägt sich in eine Senkung der Arbeitsproduktivität nieder. Wie vom AFI nachgewiesen, wurde Südtirols Wirtschaftswachstum im langen Beobachtungszeitraum (1995-2016) hauptsächlich vom Beschäftigungszuwachs angetrieben, im kurzen Zeitraum (2010-2016) vom Produktivitätszuwachs.
Allerdings machen einige Indikatoren im AFI-Barometer jetzt die konjunkturelle Abschwächung deutlich. Die Südtiroler Exporte schwächen sich seit vier Quartalen in Folge ab. Die touristischen Nächtigungen brechen in den ersten fünf Jahresmonaten deutlich ein (-5,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum). Zeitverzögert dürfte die konjunkturelle Abschwächung also auch auf Südtirol abfärben. Die BIP-Prognosen für das Jahr 2019 der drei lokalen Statistik- bzw. Forschungsinstitute (AFI: +1,4 Prozent; ASTAT: +1,6 Prozent; WIFO: +1,3 Prozent) liegen nach aktuellem Wissensstand wohl eher am oberen Rand.
Lebenshaltungskosten machen den Südtirols Arbeitnehmern das Leben schwer
Seit geraumer Zeit liegt die Inflationsrate von Bozen systematisch über dem gesamtstaatlichen Wert. Wie neue Berechnungen des AFI zeigen, haben die Lebenshaltungskosten in Südtirol mittlerweile ein Niveau erreicht, das – abhängig von der Berechnungsmethode – zwischen 21 und 23 Prozent über dem gesamtstaatlichen Wert liegt. Die Kluft zwischen Löhnen und Preisen wird immer wieder als problematisch gesehen. Knapp sechs von zehn Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind der Auffassung, dass die Gehälter nicht mit den Südtiroler Lebenshaltungskosten im Verhältnis stünden – sowohl die Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft als auch die im öffentlichen Dienst.
2017: ein schwarzes Jahr für die Gehaltsentwicklung
Begleitend zu den laufenden Kollektivvertragsverhandlungen im öffentlichen Dienst hat das AFI auch die Lohnentwicklung in der Südtiroler Privatwirtschaft ab 2010 auf Grundlage von Daten aus dem Data-Warehouse von INPS beleuchtet. Vorneweg: Die Bruttolöhne der Südtiroler Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft liegen im Schnitt sieben Prozent über dem gesamtstaatlichen Wert. Insgesamt lag die Lohnentwicklung 2010-2017 in Südtirol unter der Inflationsrate, trotz steigender Arbeitsproduktivität. Besonders nachteilig war sie im Jahr 2017 mit einem rechnerischen realen Verlust von -3,5 Prozent (nur Vollzeitbeschäftigte: -2,8 Prozent). Im öffentlichen Dienst stiegen die Kollektivlöhne im Zeitraum 2010 bis 2019 (je nach Funktionsebene) nominal zwischen +2,9 und +5,6 Prozent, wobei die Inflationsrate im selben Zeitraum genau +16 Prozent betrug (die realen Lohneinbußen liegen also zwischen minus zehn und -13 Prozent). Im öffentlichen Dienst konnten nur jene Bediensteten ihr Gehalt über die Inflation hinaus entwickeln, die von den relativ hohen Vorrückungen der ersten acht Jahre profitieren konnten. Alle andere haben einen realen Lohnverlust hinnehmen müssen.