Sie bringen Energie, Leidenschaft und Erfahrung ein

Molkerei-Chef in Italien stellt nur Beschäftigte über 60 ein

Dienstag, 27. Februar 2024 | 12:25 Uhr

Wenn Roberto Brazzale von den Neuen in seinem großen Molkereibetrieb erzählt, hat er ein breites Strahlen im Gesicht. Als Goldmine bezeichnet der er das etwas andere Team, das er zusammengestellt hat. Der Italiener, der mit seinen zwei Brüdern eine der ältesten Molkereien des Landes betreibt, sorgt derzeit mit einer ungewöhnlichen Personalentscheidung für Aufsehen: Für einen bestimmten Betriebszweig stellt er nur Menschen über 60 ein. Von den Jungen ist er einfach enttäuscht.

Für ein neues Projekt suchte Brazzale vor einiger Zeit Angestellte. Neben den traditionellen Produkten wie der klassischen Butter und den Käsesorten Mozzarella, Grana Padano oder Scamorza wollte er spezielle Feinschmecker-Butterprodukte vermarkten. Tatsächlich habe er dafür auch einige, die um die 30 Jahre alt sind, zum Probearbeiten vor Ort gehabt. Allerdings mit enttäuschenden Ergebnissen: Ihnen hätten Tatkraft und Energie gefehlt, sagt er. Die Jobs haben deswegen letztlich nur acht Männer und Frauen ab 60 Jahren aufwärts erhalten.

“Für mich sind sie alle irgendwie jung, denn das Alter zählt nichts im Vergleich zum Enthusiasmus und auch zur Energie, die man mit über 60 Jahren noch haben kann”, sagt Brazzale im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. Er führt das für Butter und Käse bekannte Traditionsunternehmen in Zanè in der norditalienischen Region Venetien.

Seine Entscheidung habe er nie bereut. Im Gegenteil: Seine neuen Mitarbeiter bringen viel Energie, Leidenschaft und vor allem Erfahrung mit. “Sie haben eine ganz andere Erfahrung als die Jungen. Sie haben verstanden, wie wichtig die Arbeit ist. Wenn man jung ist, versteht man das nicht – man versteht es erst später”, so Brazzale, der selbst Anfang 60 ist.

Bei seinen Neuen handelt es sich größtenteils um alte Bekannte und Freunde, die sich allesamt entweder aus der Schulzeit oder – typisch italienisch – von der zentralen Piazza der 6.000-Einwohner-Gemeinde Zanè in Venetien kennen. Nach der Jugendzeit hatten sie andere Wege eingeschlagen. Sandro etwa war als Goldhändler tätig, Sonia führte mit ihrem Ehemann lange Zeit ein Restaurant.

“Wir sind alle Freunde und kennen uns gut”, betont Brazzale. “Deswegen herrscht auch ein stärkerer Teamgeist.” Heute kümmert sich das Ü60-Team am Hauptstandort in Zanè um die Vermarktung von speziellen Buttersorten. Ugo ist etwa mit einem Foodtruck unterwegs und Sonia, mit der Brazzale früher gerne die Schule schwänzte, kümmert sich um die Verwaltung.

Was auf den ersten Blick kurios wirkt, hat jedoch einen ernsten Hintergrund. Der demografische Wandel belastet Italien und die Einwohnerzahl schrumpft. Aktuelle Daten der Statistikbehörde Istat haben es in sich: Die Geburten fielen erstmals seit Beginn der Aufzeichnungen im 19. Jahrhundert unter die Schwelle von 400.000 und liegen jetzt bei knapp 393.000 im Jahr 2022. Italien hat einfach immer weniger “bambini” – obendrein wird die Bevölkerung immer älter. Das Ideal einer kinderreichen Familie hat sich in Italien inzwischen überholt.

Über die niedrige Geburtenrate in Italien und ganz Europa zeigte sich sogar Papst Franziskus besorgt. Er beklagte vor einiger Zeit eine Kultur, die Haustiere über menschliche Kinder stelle. Franziskus berichtete von einer Frau, die ihren Hund – ihr “Baby” – von ihm segnen lassen wollte. “Ich hatte keine Geduld und schimpfte mit der Frau”, sagte der Pontifex. Tatsächlich gilt Italien als Land der Haustiere. Auch die rechte Regierung Italiens will sich des Problems annehmen. Seit mehr als einem Jahr gibt es sogar eine “Geburtenministerin”.

Konkret bedeuten die Istat-Zahlen: sieben Neugeborene, aber mehr als zwölf Todesfälle pro 1.000 Einwohner. Dieser Trend wird auf Dauer die Wirtschaft stark belasten. Überhaupt ist die italienische Bevölkerungszahl seit 2014 stetig zurückgegangen. Italien schafft es inzwischen nicht einmal mehr über die 60-Millionen-Marke. Erste Folgen sind in Schulen und Kindergärten zu spüren, in denen immer weniger Kinder sind. Der Bildungsminister warnte, dass die Zahl der Schüler im kommenden Jahrzehnt um eine Million schrumpfen werde.

All das macht auch Brazzale als Unternehmer Sorgen. Nach seinen Worten hat sich aber auch einiges mit Blick auf das Selbstverständnis der Älteren verändert. “Es hat sich das Vorurteil herausgebildet, dass man mit 60 nichts mehr zu sagen hat. Oder sogar, dass man in diesem Alter nur noch in Pension gehen will. Das ist nicht wahr.” Die heutigen 60er seien die neuen 40er, lautet einer seiner markigen Sprüche.

Brazzale ist von seinen gleichaltrigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern begeistert. Und er wird nicht müde zu betonen, dass er kaum junge Leute kenne, die so viel schafften wie sein Ü60-Team. Doch: Wie es in einigen Jahren weitergehen soll, wenn einige seiner Angestellten dann doch in Pension gehen, weiß auch Brazzale nicht. Für den Moment läuft das Geschäft jedenfalls gut. Er sagt: Seine Beschäftigten seien einfach “bravissimi”.

Von: APA/dpa

Kommentare
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Aurelius
Aurelius
Kinig
2 Monate 5 Tage

Italien wird immer älter deswegen wird es auch immer schwieriger junge zu bekommen außerdem wollen die jungen nicht mehr arbeiten

Paladin
Paladin
Universalgelehrter
2 Monate 5 Tage

@Aurelius: Anspruch und Wirklichkeit liegt da leider weit auseinander. Wirkliche Arbeit wollen viele junge Leute leider auch nicht mehr verrichten. Aber es kann halt auch nicht jeder Influcener werden…

Vincent
Vincent
Neuling
2 Monate 5 Tage

Ja die Jungen wollen nicht mehr so blöd sein wie wir es waren und 40-50 Stunden die Woche arbeiten und das über 40 Jahr lang. Habe 2 Jungs die sich ganz andere Wege gesucht haben und jetzt schon mehr verdienen als ich und nur ein Zehntel der Zeit arbeiten. Ich beneide und bewundere die Generation Z.

Aurelius
Aurelius
Kinig
2 Monate 5 Tage

@Vincent
ein Zehntel 😂😂

Paladin
Paladin
Universalgelehrter
2 Monate 5 Tage

@Vincent: Bewunderung und Neid sind ja sehr individuelle Dinge, ebenso wie Respekt. Ich habe vor Menschen Respekt, die jeden Tag um 5 oder 6 Uhr aufstehen und 10-12 Stunden arbeiten, sei im Gesundheitsbereich, in der Abfallwirtschaft oder um die Infrastruktur aufrecht zu erhalten. Denn damit sichern sie deinen Jungs ihren “anderen Weg”.

Herri
Herri
Grünschnabel
2 Monate 5 Tage

@Vincent
mehr verdienen un ein zehntel arbeiten…schon mal darüber nachgedacht, dass für sollche faulenzer andere arbeiten.

N. G.
N. G.
Kinig
2 Monate 5 Tage

@Vincent Da bin ich ganz bei dir! Die junge Generation wird von den Alten hoffnungslos unterschätzt. Das ständige “wir und unsere Väter waren und sind so viel besser” ist einfach SCHMARREN von meist Leuten die es selbst nicht weit gebracht haben.

info
info
Universalgelehrter
2 Monate 5 Tage

Das habe ich irgendwo schon gelesen, hm…
Ach ja, am 13. Dezember 2023:
https://www.suedtirolnews.it/italien/bin-enttaeuscht-von-den-jungen-die-alten-hingegen-sind-voller-energie

Paladin
Paladin
Universalgelehrter
2 Monate 5 Tage

@info: Weiterhin brandaktuell, wie es scheint.

Alex93
Alex93
Grünschnabel
2 Monate 5 Tage

Wollte das gleiche schreiben nur anders formuliert. “Das hatten wir schon in diesem Jahr..Nichts neues.”

Rosenrot
Rosenrot
Superredner
2 Monate 5 Tage

Leider ist es so, dass die sogenannte Generation Z nicht unbedingt gewillt ist, genauso zu arbeiten wie die Generationen vor ihnen. Ihr Traumjob: 4-Tagewoche bei hohem Gehalt, noch mehr Urlaubstage und dabei möglichst früh in Rente gehen. Kurz ausgedrückt, eigentlich zum Vergessen.

N. G.
N. G.
Kinig
2 Monate 5 Tage

Und Recht haben sie! Denn durch den Wandel in der Gesellschaft und dem damit zusammenhängenden Arbeitnehmermangel können sie es sich aussuchen wie und wie lange sie arbeiten wollen. Das hätten alle Generationen vorher genauso gemacht wenn sie die Möglichkeiten gehabt hätten. Alle scheinheilig!

Homelander
Homelander
Universalgelehrter
2 Monate 5 Tage

Sebm hota guit gitun…er wert schun wissn warum😅

Privatmeinung
Privatmeinung
Universalgelehrter
2 Monate 5 Tage

Auf die Alten ist Verlass 😄

sophie
sophie
Kinig
2 Monate 5 Tage

In gar einigen Betrieben arbeiten vermehrt ältere Menschen und Pensionisten um das Schiff vor dem kentern zu retten.
Sie haben das ganze Leben hart gearbeitet und wurden nie verwöhnt, auch nicht auf dem Lohnstreifen.
Sie sind zufriedener und stellen wenig Ansprüche…
Nicht vergessen: sehr lange Erfahrung bei der Arbeit

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