Von: luk
Bozen – “Obdachlosigkeit ist die sichtbarste und gleichzeitig auch eine der schlimmsten Formen der Armut. Wer kein Zuhause mehr hat, ist meist ganz am Boden angekommen und selbst der hält unter seinen Füßen nicht mehr stand“, betonen die beiden Caritas-Direktoren Franz Kripp und Paolo Valente anlässlich der heurigen Kampagne „Not ist näher als du denkst“ zum Caritas-Sonntag, der in den Pfarreien am 13. November begangen wird. Im Mittelpunkt stehen dabei die Frauen und Männer, die aus den verschiedensten Gründen ihr Zuhause und damit jegliche Sicherheit im Leben verloren haben.
„Mit dem Ausdruck ,Obdachlose‘ waren früher in erster Linie die Sandler gemeint, die unter der Brücke oder auf der Parkbank geschlafen haben, unrasiert und ungepflegt, neben sich einen Weinkarton. Diese klassische Form der Obdachlosigkeit gibt es zwar heute auch noch; neu hinzugekommen ist jedoch eine andere Form der Obdachlosigkeit, besser gesagt der Wohnungslosigkeit: Es sind Menschen, die bis vor kurzem noch mitten im Leben und in der Gesellschaft gestanden haben, durch eine Serie von negativen Umständen aber ihre Wohnung und damit ein Stück Normalität und Würde verloren haben. Es sind dies die sog. ,neuen‘ Obdachlosen, deren Zahl in Südtirol spürbar zugenommen hat“, sagen die beiden Caritas-Direktoren Franz Kripp und Paolo Valente.
„Die von der Wohnungslosigkeit Betroffenen stammen immer öfter aus Bevölkerungsschichten, die noch vor wenigen Jahren weit entfernt von einem Leben auf der Straße waren – und das ganz unabhängig vom Alter. Mehrheitlich sind es junge Arbeitslose, Rentner oder Getrennte und Geschiedene, aber auch immer öfter arbeitende Menschen mit zu geringem Lohn, die sich keine Wohnung mehr leisten können“, sagt Danilo Tucconi, Verantwortlicher für den Bereich „Obdachlosigkeit“ innerhalb der Caritas. „Ohne feste Bleibe ist es jedoch schwer, sich seinen Alltag zu organisieren, gepflegt am Arbeitsplatz zu erscheinen und soziale Kontakte zu halten. Die Folgen sind absehbar: Die Betroffenen verlieren ihren Job oder finden keinen neuen, rutschen ins soziale Abseits und damit auch nicht selten in Abhängigkeitserkrankungen und/oder psychische Probleme, wenn diese nicht schon vorher da waren“, sagt Tucconi.
Dem versucht die Caritas in ihren neun Einrichtungen für wohnungs- und obdachlose Menschen entgegenzuwirken. Dort sind im Moment fast 300 Männer, Frauen und Familien untergebracht, im gesamten laufenden Jahren waren es rund 800 Männer, Frauen und Familien, die hier Zuflucht gefunden haben. Insgesamt werden in den über ganz Südtirol verteilten Häusern pro Jahr über 100.000 Nächtigungen verzeichnet. Eine Zunahme ist durch das Wohnproblem der Flüchtlinge zu erwarten, die sich trotz Anerkennung schwer tun, auf dem Wohnungsmarkt eine Unterkunft zu finden.
„Natürlich ist es wichtig, dass die Betroffenen erstmal wieder ein Dach über dem Kopf haben, warme Mahlzeiten bekommen und auf ihre Hygiene achten können“, sagt Tucconi. „Doch genauso wichtig ist es auch, dass wir ihnen dabei helfen, wieder ein selbstbestimmtes Leben in Würde führen zu können. Eine sinnvolle Beschäftigung und eine angemessene, autonome Wohnmöglichkeit sind die wichtigsten Voraussetzungen dafür. Dieser zukunftsorientierte Ansatz ist uns als Caritas sehr wichtig.“
„In unseren Strukturen werden die Betroffenen nicht einfach nur versorgt. Vielmehr versuchen wir eine positive Beziehung zu den Gästen herzustellen, sie individuell und zielorientiert zu betreuen und zu begleiten. Sie werden als Menschen mit ihren ganz persönlichen Fähigkeiten und Möglichkeiten gesehen. Das ist eine ganz wichtige Voraussetzung für eine erfolgreiche Wiedereingliederung und die Rückkehr in ein autonomes Leben“, sagt Magdalena Oberrauch, die Leiterin der Obdachloseneinrichtung „Haus der Gastfreundschaft“ in der Bozner Trientstraße. „Die Betroffenen werden motiviert und es wird versucht, ihr Selbstvertrauen zu stärken. Das verhindert, dass ihre Probleme chronisch werden und sie in ihrer Situation dauerhaft steckenbleiben. Auch das Umfeld der Betroffenen wir in die Sozialarbeit miteinbezogen. Freiwillige, Pfarreien, Betriebe und/oder Vereine sind eine wichtige Stütze und ermöglichen den Betroffenen den Kontakt zur Außenwelt und die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.“
Denn auch das ist ein wichtiges Ziel der Hilfsaktion „Not ist näher als du denkst“. „Einerseits sollen Betroffene ermutigt werden, sich rechtzeitig Hilfe zu suchen und Hilfe anzunehmen; andererseits will die Caritas die Bevölkerung zu mehr Solidarität und zum Spenden anhalten“, erklärt Direktor Paolo Valente das Ziel der Hilfsaktion. „Wenn wir alle etwas näher hinschauen und den Sorgen und Nöten unserer Mitmenschen nicht gleichgültig gegenüberstehen, kann viel Not schon rechtzeitig abgefangen werden. In Südtirol gibt es zum Glück eine Reihe von Menschen, die sich für ihre Nächsten einsetzen und die Caritas bei ihrer Arbeit unterstützen. Die einen tun dies, indem sie ihre Zeit und ihre Fähigkeiten zur Verfügung stellen, die anderen drücken ihre Solidarität über Spenden aus“, sagt Valente. Er verweist in diesem Zusammenhang auf die Kirchensammlung an diesem Sonntag, dem Caritas-Sonntag und auf die Möglichkeit, die Arbeit der Caritas für Menschen in Not in Südtirol mittels einer Banküberweisung unter dem Kennwort „Caritas“ zu unterstützen. „Wir sagen Ihnen dafür schon im Voraus Vergelt’s Gott“, schließen die beiden Direktoren.
Die Zahlen der Caritas:
In Bozen haben im Haus der Gastfreundschaft heuer 87 Männer und im Haus Margaret insgesamt 52 Frauen ein Dach über dem Kopf gefunden. Im Haus Freinademetz sind insgesamt 81 Frauen, Männer und auch Familien in akuter Wohnungsnot untergekommen. Im Dienst Migrantes in Bozen, an welchen drei verschiedene Strukturen zur Unterbringung von wohnungslosen Nicht-EU-Bürgern angebunden sind, haben heuer von Jänner bis Ende Oktober 294 Frauen, Männer und Kinder eine vorübergehende Bleibe gefunden. In Bruneck führt die Caritas das Haus Jona, in welchem 36 Personen beherbergt werden konnten, während über den Dienst Vier Wände in 20 Wohneinheiten in Brixen und Kaltern insgesamt 60 Personen ein vorübergehendes Zuhause gefunden haben. Im Haus Arché in Meran sowie in dem angeschlossenen Nachtquartier, in der Marienherberge und den beiden Trainingswohnungen fanden bisher insgesamt 130 Personen eine Bleibe.