Von: apa
Der Abbau von Zöllen zwischen der EU und der Türkei könnte helfen, die negativen Effekte der US-Zollpolitik abzuschwächen. Zu diesem Schluss kommt eine am Mittwoch veröffentlichte Studie des Wiener Instituts für internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw) im Auftrag des Wirtschaftsministeriums. Die Modernisierung der seit 1996 bestehenden Zollunion sei wirtschaftlich sinnvoll und geopolitisch notwendig, sagte die Türkei-Expertin und Co-Autorin der Studie, Meryem Gökten.
Österreich schöpft den Berechnungen der Ökonomen zufolge das Handelspotenzial mit der Türkei nicht aus. Österreich exportiere derzeit weniger als die Hälfte dessen, was möglich wäre. Besonders bei Maschinen und Fahrzeugen hätte die heimische Wirtschaft großes Potenzial. Deutschland hingegen schöpfe sein Potenzial deutlich besser aus.
Die Zollunion, eigentlich als Vorstufe zum EU-Beitritt gedacht, hat den Handel zwischen den beiden Wirtschaftsblöcken zwar stark steigen lassen. In den vergangenen 15 Jahren haben Österreich und die meisten EU-Staaten in Westeuropa mit Ausnahme Spaniens aber Federn lassen müssen und Marktanteile vor allem an China und Russland verloren.
Wien sollte Handel mit Ankara vertiefen
“Wien und Brüssel sollten deshalb aus reinem Eigeninteresse alles daransetzen, den Handel und die Wirtschaftsbeziehungen mit Ankara über eine Vertiefung und Ausweitung der bestehenden Zollunion zu intensivieren”, sagte Gökten. “Durch die positiven wirtschaftlichen Effekte ließe sich zumindest auch ein Teil der negativen Auswirkungen der US-Zölle auf Europa kompensieren. Die Aussicht auf eine vertiefte Wirtschaftskooperation mit der Türkei könnte der EU zudem neue Verhandlungsmacht gegenüber Ankara geben und die Rivalen Russland und China auf Distanz halten.”
Das Studienteam hat mehrere Szenarien modelliert, darunter eines, das den Entfall aller bisher noch erhobenen Zölle auf Produkte in den Bereichen Landwirtschaft, Fischerei, Lebensmittel und Getränke, Kohle, Stahl und Chemie vorsieht und ein weiteres, das zusätzlich auch noch alle nicht-tarifären Handelshemmnisse abgebaut werden. Vor allem bei einer tiefgreifenden Modernisierung der Zollunion würden die Handelsströme deutlich zunehmen, wobei die EU-Exporte mit einem Plus von 7,1 Prozent stärker steigen würden als die türkischen mit 6,2 Prozent. Mit Blick auf das Bruttoinlandsprodukt (BIP) wäre die Türkei Hauptnutznießerin einer solchen Vertiefung, ihr BIP würde um rund 0,25 Prozent steigen, jenes der EU nur marginal, könnte – wie auch andere Handelsabkommen – aber helfen, die Auswirkungen der Zollpolitik von US-Präsident Donald Trump zu kompensieren.
Stärkere politische Anbindung der Türkei an Europa
Brüssels größter Vorteil von intensiveren Handelsbeziehungen wäre laut dem Papier eine stärkere politische Anbindung der Türkei an Europa. Mehr Freihandel mit dem großen Nachbarn im Südosten würde der EU also nicht nur wirtschaftliche Impulse, sondern auch einen stärkeren Hebel zur Durchsetzung ihrer politischen Interessen bieten – Stichwort Migration, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sowie Ankaras Rolle im Nahen Osten.
Die Türkei ist die 18. größte Volkswirtschaft der Welt, Mitglied des Militärbündnisses NATO und stark mit der EU verbunden. Zugleich pflegt das Land gute Beziehungen zu Russland und China und führt laut dem Autorenteam einen komplexen, strategischen Balanceakt in einer multipolaren Weltordnung durch.




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