Der 15. Mai ist seit 30 Jahren Internationaler Tag der Familie

Suchtprobleme verändern die ganze Familie

Montag, 15. Mai 2023 | 08:00 Uhr

Von: mk

Bozen – Krisen in Form einer Abhängigkeitserkrankung eines Familienmitgliedes erschüttern die Balance jeder Familie, sagen Maria Lintner und Elisabeth Ortner, Psychologinnen und Psychotherapeutinnen von HANDS anlässlich des Tages der Familie am 15. Mai. Der Verein HANDS begleitet jährlich südtirolweit rund 1.500 Menschen mit Alkohol-, Medikamenten- und Glücksspielproblemen. Wenn ein Mitglied über Jahre trinkt, Drogen konsumiert, glückspiel- oder mediensüchtig ist, werden Angehörige früher oder später krank, haben die Mitarbeiterinnen von HANDS über die Jahre hinweg beobachtet. Daher ist Begleitung und Unterstützung von Angehörigen enorm wichtig. Sucht macht das Leben für Angehörige unberechenbar. So wie Süchtige schleichend immer stärker in die Abhängigkeit geraten, rutschen Angehörige immer mehr in eine Co-Abhängigkeit.

Co-Abhängigkeit ist ein Zustand, in dem Angehörige sich befinden, wenn sie das Verhalten des oder der Süchtigen vor der Umwelt entschuldigen, für die Betroffenen lügen, deren Probleme aus dem Weg räumen oder deren Aufgaben erledigen.

So berichtet beispielsweise die Mutter eines spielsüchtigen Sohnes, die von HANDS begleitet wird, von einem in das Gedächtnis eingebrannten Spaziergang, bei dem der Sohn ihr berichtete, dass er sich im Internet immer wieder an Fußballwetten beteiligt habe und über kein Geld mehr verfüge. Die Mutter lieh ihm Gel – sicher, dass er mit den Online-Wetten aufhören würde, da sie ihn ja um den letzten Pfennig gebracht hatten. Doch der junge Mann spielte ohne ihr Wissen weiter, rief sie Monate später aus einem Südamerika-Urlaub an und bat um Geld, um den Rückflug zu finanzieren. Sie unterstützte ihn wieder.

Dann kamen immer öfter Mahnbriefe von der Bank, die verzweifelte Mutter glich die Schulden aus: „Ich wollte an ihn glauben, ihn nicht fallen lassen“, erzählt sie. Die Frau schlief schlecht, konnte sich nicht mehr konzentrieren, hatte keine Kraft mehr für sich. Als die Bank sich wieder meldete, entschied sie, nicht mehr „Magd“ ihres Sohnes zu sein. Sie suchte nach Beratungseinrichtungen, stieß auf HANDS, meldete sich zum Einzelgespräch, dann bei der Selbsthilfegruppe an und veränderte in der Folge ihr Verhalten zum Sohn: „Ich sprach ruhig mit ihm, machte ihm keine Vorwürfe, aber mir war klar, dass ich ihm kein Geld mehr geben durfte.“

Der junge Mann war nun auch bereit für einen Termin in der Beratungsstelle. Es tat ihm gut, mit einer Person zu sprechen, die, wie er sagte, verstand, wie es in ihm ausschaute. Heute geht er wieder einer Arbeit nach, hat seiner Mutter einen Teil der Schulden zurückgezahlt, redet mit seiner Freundin offen über seine Suchtprobleme, hat auch den Vater und die Schwester eingeweiht und bestätigte vor Kurzem, dass er seit einem Jahr nicht mehr gespielt habe.

Psychologin und Psychotherapeutin Maria Lintner berichtet, dass Angehörige oft glauben, dass die abhängigen Familienmitglieder ohne ihre Hilfe lebensunfähig seien. So wie süchtige Menschen Suchtmittel konsumieren, wollen es ihnen die Angehörigen wegnehmen. Vorwürfe, Rechtfertigungen, Drohungen und Versprechen wechseln sich ab. „Um aus dem Dilemma der Co-Abhängigkeit heraus zu kommen, müssen Angehörige kapitulieren“, sagt Psychologin und Psychotherapeutin Elisabeth Ortner. Das sei eine aktive Handlung. Angehörige müssten sich eingestehen, dass sie dem Suchtmittel gegenüber machtlos sind. Damit brechen sie den Widerstand und akzeptieren die Situation, wie sie ist. „Das heißt noch lange nicht, dass sie sie gutheißen müssen“, betont die Mitarbeiterin von HANDS. Maria Lintner und Elisabeth Ortner empfehlen betroffenen Angehörigen, sich auf jeden Fall Unterstützung von außen zu holen. In einer Therapie oder Selbsthilfegruppe können Angehörige Selbstständigkeit und konsequentes Handeln lernen, sich von falschen Verantwortungsgefühlen lösen und ein autonomes Leben leben, in dem die eigenen Bedürfnisse, Interessen und das eigene Wohlbefinden Raum finden und respektiert werden.

Die Psychologinnen und Psychotherapeutinnen bringen das Beispiel einer Frau, die mit einem alkoholabhängigen Mann verheiratet ist, mit dem sie zwei Kinder hat. Die Frau berichtete in der Beratungsstelle von einer typischen abendlichen WhatsApp-Nachricht, mit der ihr Mann ankündigte, dass er mit seinen Arbeitskollegen noch ein Feierabendbier trinken und spätestens zum Abendessen daheim sein wolle.

Die Frau ahnt, dass er sein Versprechen nicht einhalten würde, fragte sich, ob sie ihn anrufen solle, um ihn vor dem Versinken in den Alkoholsumpf nach Hause holen solle. Sie tat es nicht, schrieb ihm um Mitternacht, er antwortete, dass er bald kommen würde, gegen 3.00 Uhr früh versuchte sie ihn anzurufen, die Batterie seines Handys war leer.

Die Frau erzählte bei HANDS: „Es war kalt und ich hatte Angst, dass er auf dem Weg irgendwo einschläft und erfriert oder dass er gefallen und verletzt ist.“ Sie fragte sich, wie das weitergehen solle mit ihrer Familie, wieso das immer und immer wieder passiert, wieso ihr Mann nicht mit dem Alkohol aufhört, wie lange sie das noch aushalten werde. Früh am Morgen hörte sie ihn durch das Stiegenhaus torkeln, sperrte ihm vorsorglich die Tür auf, damit er die anderen Hausbewohner nicht weckt.

Er war zum wiederholten Mal total betrunken, stolperte ins Bad, schlief auf der Toilette ein. Sie schliff ihn ins Bett, damit ihn die Kinder im Bad nicht so antrafen, war zwar dankbar, dass er heimgekommen war, aber fragte sich zornig und verzweifelt, wie das weitergehen solle, warum er nicht einsah, dass er ein Alkoholproblem hatte und warum er sich nicht helfen lassen wolle. „Wenn er es nicht macht, kann ich nichts anderes tun, als mir helfen zu lassen, um mit dieser Situation irgendwie fertig zu werden, für mich, für die Kinder, für unsere Familie“, kam die betroffene Ehefrau zum Schluss und meldete sich bei HANDS.

„Wenn ein Weg aus der Sucht gelingt, was keinesfalls selbstverständlich ist, dann bedeute das nicht, dass alles so ist, wie es früher war“, sagen Maria Lintner und Elisabeth Ortner. Vieles werde anders und könne nur dann funktionieren, wenn alle Beteiligten zu Veränderung und Entwicklung bereit sind.

HANDS

Seit 30 Jahren gibt es den Internationalen Tag der Familie, den die Vereinten Nationen 1993 ausgerufen haben, um jährlich am 15. Mai auf die Bedeutung der Familie für Gesellschaft und Staat aufmerksam zu machen.

Der Verein HANDS wurde vor 41 Jahren im Jahr 1982 gegründet. Der Hauptsitz von HANDS befindet sich in der Duca d’Aosta-Allee 100 in Bozen und ist unter Tel. +39 0471 270 924 oder unter der Grünen Nummer 800720762 und per Mail an info@hands-bz.it zu erreichen.

Bezirk: Bozen