Von: mk
Bozen – In der Weihnachtsgeschichte klopfen Maria und Josef an viele Türen – und finden doch keine Herberge. Was damals als Sinnbild für Not und Ausgrenzung erzählt wurde, ist für viele Menschen in Südtirol längst bittere Realität. Davon ist zumindest der Verbraucherschutzverein Robin aus Margreid überzeugt. Die Suche nach leistbarem Wohnraum werde in Südtirol immer öfter zur Odyssee, eklärt der Verein in einer Aussendung.
Familien, Alleinerziehende, junge Menschen, Studierende und Arbeitskräfte stünden vor verschlossenen Türen – oder vor Preisen, die sie sich schlicht nicht leisten könnten. Vor diesem Hintergrund bewertet der Verbraucherschutzverein Robin die neue Südtiroler Baureform 2025 aus Sicht der Konsumentinnen und Konsumenten kritisch.
Baureform: „Gut gemeint, aber strukturell unvollständig“
Die Landesregierung setzt laut Robin mit der Reform stark auf Kaufanreize: zinsbegünstigte Darlehen, Zuschüsse für den Erwerb der ersten Wohnung und Vereinbarungen mit Banken sollen den Zugang zu Eigentum erleichtern. Ziel sei es, Einheimische sowie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor explodierenden Immobilienpreisen zu schützen.
Aus Verbrauchersicht greife dieser Ansatz jedoch zu kurz, meint Robin: „Finanzielle Anreize auf der Nachfrageseite lösen das Wohnproblem nicht, wenn gleichzeitig das Angebot an Wohnungen knapp bleibt – sei es durch fehlenden Neubau oder durch einen hohen Anteil an ungenutztem Wohnraum.“ Auch Fachleute warnen. Der Ökonom Mirco Tonin der Universität Bozen macht deutlich: Ohne zusätzliche Wohnungen führen Kaufzuschüsse vor allem zu höheren Preisen. Am Ende profitieren eher Eigentümer und teilweise auch Banken als Wohnungssuchende.
Robin-Geschäftsführer Walther Andreaus unterstreicht: „Solange Wohnungen fehlen oder leer stehen, wirken Zuschüsse wie Benzin im Feuer. Dann zahlt die Allgemeinheit – und profitieren tun andere.“
Mehr Nachfrage, gleiches Angebot – inklusive Leerstand
Die Reform weitet den Kreis der Anspruchsberechtigten aus: Neben langjährigen Ansässigen können auch Personen mit Arbeitsvertrag in Südtirol Förderungen in Anspruch nehmen. „Sozialpolitisch ist das nachvollziehbar, insbesondere angesichts des Arbeitskräftemangels“, erklärt Robin. Marktwirtschaftlich verschärfe sich dadurch jedoch der Druck, solange nicht gleichzeitig mehr Wohnraum entstehe oder bestehender Leerstand mobilisiert werde.
Andreaus warnt: „Wenn zehn Wohnungen verfügbar sind, aber 20 Menschen gefördert kaufen wollen, steigen die Preise weiter. Das gilt auch dann, wenn Wohnungen zwar existieren, aber dem Markt entzogen sind.“
Gerade hier sieht Robin einen zentralen blinden Fleck der Reform: Leerstehende Wohnungen würden kaum systematisch erfasst oder aktiviert. Neubau allein reiche nicht aus – ebenso wenig reine Kaufsubventionen. Eine nachhaltige Wohnpolitik müsse Neubau und Leerstandsaktivierung zusammendenken, etwa durch Anreize, Verpflichtungen oder zeitlich begrenzte Nutzungsmodelle.
Eigentum im Fokus – Miete und Leerstand bleiben „außen vor“
Hinzu kommt laut Robin: „Die Reform setzt nahezu ausschließlich auf Eigentum. Der Mietmarkt bleibt das Stiefkind der Wohnpolitik, obwohl gerade dort der größte Druck herrscht.“ Für viele Haushalte sei Eigentum weder leistbar noch sinnvoll – etwa bei befristeten Arbeitsverhältnissen, in einer mobilen Gesellschaft oder für junge Menschen.
Andreaus betont: „Wer neu nach Südtirol kommt oder nur einige Jahre bleibt, braucht zuerst eine leistbare Mietwohnung – keine halbe Million Euro Schulden. Und diese Wohnungen könnten oft schon da sein, wenn Leerstand genutzt würde.“
Wohnarmut: Risiko auch in Südtirol
Besonders problematisch ist aus Sicht von Robin die Gefahr einer zunehmenden Wohnarmut. Auf europäischer Ebene ist der Begriff klar definiert: Nach der EU gilt ein Haushalt als von Wohnkostenüberlastung (Wohnarmut) betroffen, wenn mehr als 40 Prozent des verfügbaren Einkommens für Wohnen – also Miete oder Kreditraten inklusive Betriebskosten und Energie – aufgewendet werden müssen.
Diese Definition zeigt: Wohnarmut beginnt nicht erst bei sehr niedrigen Einkommen. Auch Haushalte oberhalb klassischer Armutsgrenzen geraten in Bedrängnis, wenn Wohnkosten einen übermäßigen Anteil des Einkommens verschlingen. Dann wird bei Lebensmitteln, Gesundheit, Mobilität, Bildung oder sozialer Teilhabe gespart.
Andreaus warnt: „Wohnarmut ist besonders gefährlich, weil sie statistisch oft unsichtbar bleibt. Man gilt nicht als arm – lebt aber dauerhaft unter Druck, weil Wohnen alles andere verdrängt.“
Internationale Erfahrungen – Warnsignal für Südtirol
Erfahrungen aus anderen europäischen Regionen zeigen, dass steigende Wohnkosten einer der stärksten Treiber sozialer Ausgrenzung sind. „Wo weder ausreichend gebaut noch bestehender Wohnraum genutzt wird, entsteht eine Spirale aus Preissteigerungen, Verdrängung und sozialer Spaltung. Diese Dynamik ist kein deutsches oder städtisches Sonderproblem, sondern ein strukturelles Risiko – auch für Südtirol“, warnt Robin.
Aus Sicht des Verbraucherschutzvereins Robin braucht es daher einen klaren Kurswechsel in der Wohnpolitik:
•Mehr Angebot durch Neubau und Leerstandsaktivierung: Leistbarer Wohnbau muss Hand in Hand gehen mit der systematischen Nutzung bestehender leerstehender Wohnungen.
•Stärkung des Mietmarktes: Mehr Mietwohnungen, mehr Sicherheit und leistbare Mieten für Haushalte ohne Eigentumsperspektive.
•Gezielte Förderung statt Gießkanne: Zuschüsse dürfen nicht primär Preise anheizen, sondern müssen reale Entlastung bringen.
•Wohnarmut ernst nehmen: Wohnkosten müssen konsequent in die Armutsbewertung einbezogen werden.
Oder wie Andreaus es zusammenfasst: „Wohnen ist ein Grundrecht. In einer Situation akuter Wohnungsnot will selbst die EU-Kommission mit einem eigenen Aktionsplan gezielt bezahlbaren Wohnraum fördern. Umso unverständlicher ist es, dass unsere Landesregierung an überholten Konzepten festhält, die viele Käufer und Mieter mit einem schweren Rucksack an Kosten belasten – oder sie gleich ganz in die Flucht schlagen.“
Gerade in der Weihnachtszeit erinnere uns die Geschichte von der vergeblichen Herbergssuche daran, was auf dem Spiel stehe: ein leistbares Zuhause als Grundlage für Würde, Sicherheit und gesellschaftlichen Zusammenhalt, erklärt Robin. Damit diese Geschichte nicht zur alltäglichen Realität in Südtirol wird, brauche es jetzt mutige, verbraucherorientierte Entscheidungen – für Neubau, für die Nutzung des Leerstandes und für alle, die eine Tür zum Wohnen suchen.




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