Von: Ivd
Stockerau – Die Alarmglocken schrillen in den Wildtierstationen: Auffallend viele untergewichtige Igel werden derzeit eingeliefert, manche Einrichtungen stoßen bereits an ihre Grenzen. Was auf den ersten Blick wie ein saisonales Phänomen wirkt, offenbart bei genauerer Betrachtung eine bedrohliche Entwicklung.
Am Assisi-Hof des Österreichischen Tierschutzvereins in Stockerau häufen sich die Notfälle. Vor allem Jungtiere sind betroffen – und viele von ihnen wiegen dramatisch wenig. Die magische Grenze liegt bei 500 Gramm. Wer darunter bleibt, hat kaum eine Chance, den monatelangen Winterschlaf zu überstehen. Ohne Zufütterung oder professionelle Überwinterung droht der Tod.
Wenn Igel am Tag unterwegs sind, ist es ernst
Normalerweise sind Igel nachtaktive Einzelgänger. Wer tagsüber einen Igel herumtappen sieht, sollte hellhörig werden. Das Tier sucht vermutlich verzweifelt nach Nahrung – ein deutliches Alarmsignal. In solchen Fällen hilft der Österreichische Tierschutzverein mit kostenloser Beratung weiter. Denn gut gemeinte, aber falsche Hilfe kann mehr schaden als nützen.
Ein Klassiker der gut gemeinten Fehler: Milch. Was viele nicht wissen – Igel bekommen davon schweren Durchfall. Besser sind Insekten wie Mehlwürmer oder hochwertiges, feuchtes Katzenfutter. Fertiges Igelfutter aus dem Handel? Oft ungeeignet, weil vollgestopft mit Getreide, Obst oder Zucker.
Halbierung des Bestands in nur zehn Jahren
Die Zahlen sind erschreckend: Obwohl sowohl Braunbrust- als auch Weißbrustigel in Österreich gesetzlich geschützt sind, brechen die Bestände ein. Besonders dramatisch trifft es den Braunbrustigel – seine Population ist in den vergangenen zehn Jahren um die Hälfte geschrumpft. „Unsere Igel stehen massiv unter Druck“, warnt Alfred Kofler vom Tierschutzverein. Die Hauptfeinde: Insektensterben, Mähroboter und Straßenverkehr.
Das Insektensterben, dokumentiert unter anderem in der berühmten Krefelder Studie, trifft die stacheligen Insektenfresser ins Mark. Ihre natürliche Nahrungsquelle – Käfer, Würmer, Larven – verschwindet zusehends. Ohne naturnahe Gärten mit reichlich Blütenpflanzen und Totholz finden Igel weder genug Futter noch geeignete Quartiere.
Mähroboter als tödliche Falle
Besonders perfide: Igel verfügen über keinen Fluchtinstinkt. Bei Gefahr rollen sie sich zusammen und vertrauen auf ihre rund 7.000 Stacheln. Eine Strategie, die gegen natürliche Feinde funktioniert – gegen Mähroboter oder Autos ist sie fatal. Vor allem nachts fahrende Mähroboter übersehen die Tiere regelmäßig und fügen ihnen schwerste Verletzungen zu. Nebenbei zerstört das ständige Mähen Blüten und damit die Lebensgrundlage der Insekten. Ein doppelter Verlust für die Igel.
Die gute Nachricht: Schon kleine Veränderungen im eigenen Garten können Leben retten. „Laub, wilde Ecken und Totholz bieten sichere Rückzugsorte“, erklärt Tierexperte Kofler. Dazu kommen praktische Maßnahmen, die jeder umsetzen kann: nur einen Teil der Wiese mähen, Laub und Reisig liegen lassen, flache Wasserschalen aufstellen, kleine Durchgänge im Zaun schaffen – zehn mal zehn Zentimeter reichen aus – und auf Pestizide verzichten.
Kleine Taten mit großer Wirkung. Denn während die großen ökologischen Krisen weiterhin toben, können naturnahe Gärten zu Rettungsinseln werden. Für Insekten. Und für die Igel, die dringend auf sie angewiesen sind.
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