30 Neugeborene im Luftschutzbunker betreut – VIDEO

Das Dilemma der Leihmütter im Ukrainekrieg

Donnerstag, 24. März 2022 | 07:48 Uhr

Kiew – Durch den Krieg gerät das ukrainische „Leihmuttergewerbe“ in eine schwere Krise.

Die Verantwortlichen der Kliniken und Organisationen, die in diesem Bereich tätig sind, tun alles, um sowohl die Leihmütter, die für ausländische Eltern ihr Baby austragen, als auch die Neugeborenen, die derzeit von ihren genetischen Eltern nicht abgeholt werden können, bestmöglich zu schützen und zu betreuen. Während die schwangeren Leihmütter an „sichere Orte“ in der Westukraine gebracht werden, werden die Neugeboren im Luftschutzkeller der Fruchtbarkeitsklinik betreut.

Ihre Tätigkeit stürzt aber auch die Leihmütter in ein schweres Dilemma. Sollten sie während eines Kriegs gegen ihr Land sich an einem sicheren Ort verstecken, um das Kind zu schützen, das sie im Namen anderer austragen oder sollten sie bei ihrer Familie bleiben, um sich um ihre eigenen Kinder und Angehörigen zu kümmern?

YouTube/TG2000

Eine liberale Gesetzgebung – die Ukraine gehört zu den wenigen Ländern, in denen die Leihmutterschaft legal und gesetzlich geregelt ist – und vergleichsweise günstige Preise ließen die Ukraine in den vergangenen Jahren zu einem Paradies für Paare werden, die nur durch diese Praxis genetische Eltern ihres eigenen Kindes werden können.

Gegen Preise, die von 29.000 bis 49.000 Euro reichen, bieten eine ganze Reihe von Fruchtbarkeitskliniken sogenannten Bestelleltern „Pakete“ an, die die In-vitro-Fertilisation, die Herstellung des Kontakts mit der ukrainischen Leihmutter, die Geburt, die Betreuung des Neugeborenen, die Übernahme der bürokratischen Notwendigkeiten und ähnliche Dienstleistungen umfassen. Die Bedingungen für die Beantragung einer Leihmutterschaft sind genau geregelt. Die sogenannten Bestelleltern müssen heterosexuell und verheiratet sein. Zudem müssen medizinische Gründe vorliegen, die eine Leihmutterschaft rechtfertigen.

Das florierende ukrainische „Leihmuttergewerbe“ bescherte auch den Frauen, die sich dazu bereit erklärten, das Baby anderer Paare auszutragen, ein gutes Einkommen. Sowohl die Leihmütter, die für jede Schwangerschaft rund 10.000 Euro erhielten, als auch die etwa dreißig privaten und fünf staatlichen Kliniken, die in diesem Bereich tätig sind, profitierten vom Boom. Bisher kamen in der Ukraine auf diese Weise jedes Jahr 2.500 bis 3.000 Kinder zur Welt. Im Schnitt erblickten jeden Monat rund 200 Babys von ukrainischen Leihmüttern das Licht der Welt.

YouTube/TG2000

Die Invasion der russischen Streitkräfte in die Ukraine beendete jäh die Arbeit der Fruchtbarkeitskliniken. Sowohl die Kliniken als auch die Leihmütter sahen sich von einem Schlag auf den anderen unzähligen Problemen gegenüber. Aus der Sicht der Kliniken galt es zunächst, die Neugeborenen, die aufgrund des Krieges von ihren im Ausland lebenden genetischen Eltern derzeit nicht abgeholt werden können, in Sicherheit zu bringen. Das ukrainische Unternehmen BioTexCom, das rund die Hälfte dieses „Marktes“ kontrolliert, brachte 30 dieser Babys in einem eigenen Luftschutzbunker unter, den das Unternehmen in der Nähe ihres Hauptsitzes in Kiew gebaut hatte.

Da die Leihmütter vertragsgemäß nach der Geburt mit den Kindern keinen Kontakt mehr haben können, werden die 30 Babys von zehn Pflegerinnen betreut. Bis Ende März dürfte die Anzahl der in Kiew „festsitzenden“ Babys auf 100 steigen. Andere Kliniken verfahren ähnlich oder bringen die Neugeborenen an vermeintlich sichere Orte in die Westukraine.

Instagram/biotexcom.fertility.clinic

Auch die derzeit schwangeren Leihmütter wurden von den Verantwortlichen der Kliniken an sichere Orte – zumeist in die Westukraine – gebracht. Aus rechtlichen Gründen können sie die Ukraine aber nicht verlassen. Würden sie das Baby in einem Land zur Welt bringen, in dem die Leihmutterschaft illegal ist – in Italien, Deutschland und Österreich ist diese Praxis verboten – wären sie die einzigen Eltern des Kindes, wodurch das Neugeborene nicht mehr den genetischen Eltern übergeben werden könnte.

@nytimes, thank you for illuminating the current crucial situation in Ukraine and highlighting how it drastically…

Posted by Biotexcom fertility clinic. Surrogacy & Egg donation on Sunday, March 13, 2022

Einigen Informationen zufolge sollen sich auch „Kuriere“ anbieten, die Babys zu ihren genetischen Eltern zu bringen. Dies wird aber als sehr gefährlich angesehen. „Da sich die Kinder, die von Leihmüttern geboren wurden, sich in einer unsicheren Lage befinden“, sprach sich die für Inneres zuständige EU-Kommissarin Ylva Johansson während einer Anhörung vor dem Europäischen Parlament für die Evakuierung dieser Neugeborenen aus.

Babies at Biotexcom clinic bombshelter are waiting to be picked up by their parents. Our doctors and babysitters are taking good care of them. Safety of our client's babies is our top priority.We are praying for peace in Ukraine and that very soon all parents will be able to meet with their precious babies.#makelovenotwar #surrogacy #baby #Biotexcom #saveukraine #fertility #ukraine #standwithUkraine #treatment

Posted by Biotexcom fertility clinic. Surrogacy & Egg donation on Monday, March 14, 2022

Neben den ganzen allgemeinen Bedenken, die die Leihmutterschaft aufwirft – Kritiker, die auf religiöse sowie moralische Bedenken und auf die „Ausbeutung der Frauen“ hinweisen, sprechen von „moderner Sklaverei“ und „rücksichtlosen Auftraggebern“ – stellt der Krieg und seine Folgen die Leihmütter vor einer weiteren Frage.

Ihre Arbeit stürzt sie in ein schweres Dilemma. Sollten sie während eines Kriegs gegen ihr Land sich an einem sicheren Ort verstecken, um das Kind zu schützen, das sie im Namen anderer austragen oder sollten sie bei ihrer Familie bleiben, um sich um ihre eigenen Kinder und ihre Angehörigen zu kümmern?

Von: ka