Immunologin Akiko Iwasaki von der Yale University (USA)

Expertin: Hoffnung bei ME/CFS, Post Covid – Forschung nötig

Montag, 25. August 2025 | 05:03 Uhr

Von: apa

Die Immunologin Akiko Iwasaki von der Yale University (USA) hat anlässlich des Internationalen Immunologiekongresses IUIS in Wien Hoffnung geäußert, dass bei Erkrankungen wie ME/CFS und Long/Post Covid zumindest für einen Teil der Betroffenen Behandlungsoptionen gefunden werden können. Man müsse an den Ursachen ansetzen, betonte sie im APA-Interview. Scharf wies sie Ansichten zurück, wonach es sich bei ME/CFS oder Post Covid um keine somatischen Krankheiten handeln könnte.

“Ich habe Hoffnung, dass wir zumindest für einen Teil der Betroffenen Behandlungsmöglichkeiten finden können”, sagte die renommierte Wissenschafterin im APA-Interview am Rande des vergangene Woche abgehaltenen Kongresses im Austria Center Vienna zum aktuellen Forschungsstand. Wichtig sei, die Heterogenität (Unterschiedlichkeit) der Erkrankungen zu berücksichtigen, um auch entsprechende Behandlungsoptionen entwickeln zu können.

“Tragische” Fälle bei schwersten Ausprägungen

Iwasaki betonte auch die mögliche extrem schwere Entwicklung der Krankheit: “Es ist so tragisch, dass sich junge Menschen aufgrund von Vernachlässigung, mangelnder Anerkennung, Forschung, Pflege und finanzieller Unterstützung das Leben nehmen”, sagte die Forscherin, angesprochen auf schwerste ME/CFS-Fälle und auf die Inanspruchnahme von Sterbehilfe auch durch sehr junge Patientinnen und Patienten – auch in Österreich und Deutschland in jüngster Vergangenheit.

Erst im Juli hatte der ehemalige deutsche Gesundheitsminister Karl Lauterbach nach Bekanntwerden eines derartigen Falles von einem “Staatsversagen” bei ME/CFS und Long bzw. Post Covid gesprochen. Österreichs Ex-Gesundheitsminister Rudolf Anschober kritisierte die “dramatische Vernachlässigung”. Österreichs Gesundheitsstaatssekretärin Ulrike Königsberger-Ludwig (SPÖ) sagte jüngst, man nehme die Schwierigkeiten bei diesen Erkrankungen “ernst”.

“Konsequent” Forschung nötig

Um die von ihr geäußerte Zuversicht zumindest teilweise auch mit Leben erfüllen zu können, betreibe man “aktiv und konsequent” randomisierte klinische Studien, verwies Iwasaki auf die Notwendigkeit von vermehrten Forschungsbemühungen. Es gehe dabei nicht darum, ein einzelnes Medikament zu finden, das alle Betroffenen heilt. Dafür sei das Krankheitsbild zu heterogen (unterschiedlich, Anm.). Sie sowie ihr gesamtes Team – und auch ihr Mann, der Immunologe Ruslan Medzhitov, der ebenfalls in Yale forscht – seien “fest entschlossen, Lösungen zu finden”. “Ich habe Hoffnung”, sagte sie.

Jahrzehntelange Vernachlässigung und Psychologisierung

Dass zu den somatischen Ursachen von ME/CFS in den letzten Jahrzehnten so lange wenig geforscht wurde, hat laut Iwasaki mehrere Gründe. “Einer davon ist, dass die Krankheit vor Long Covid nicht ausreichend erkannt wurde.” Und viele dieser (postviralen) Krankheiten seien psychologisiert worden. Wissenschaftliche Ansätze, die die biologischen Grundlagen untersuchen, seien dadurch “außer Acht gelassen” worden.

Psychische Gründe als Ursachen für ME/CFS oder Post Covid anzunehmen sei “nicht der richtige Ansatz”, betonte sie. “Wir müssen den Menschen Blut abnehmen, wir müssen die Immunzellen, das Gehirn und die betroffenen Organe untersuchen”. Sie denke, dass das nun endlich passiere – auch aufgrund der durch Corona massiv angestiegenen Fälle von postviralen Erkrankungen generell und ME/CFS im Speziellen.

Diagnose: Die “richtigen Dinge” erfassen

Das oftmals vorgetragene Argument, es fehle ein “Biomarker”, an dem die Erkrankungen Post Covid oder ME/CFS festzumachen seien, lässt die Immunologin nicht gelten: “Nur weil ein typischer Labortest normal ausfällt, heißt das nicht, dass er normal ist. Es liegt nur daran, dass er nicht die richtigen Dinge erfasst”, wies sie auf die Limitierung der bestehenden Standard-Diagnostik hin.

So gebe es etwa Forschungen zu persistierenden Virusteilen oder RNA sowie zu anderen Teilen des Erregers. In zahlreichen Studien – wie etwa jener des Infektiologen Michael Peluso an der University of California in San Francisco – würde man das Spike-Protein bei einer Untergruppe von Patienten mit Long Covid finden. “Das gibt uns meiner Meinung nach die Möglichkeit, diese Patienten direkt mit monoklonalen Antikörpern oder antiviralen Medikamenten zu behandeln”, sagte Iwasaki, selbst Teil eines Forschungsteams gemeinsam mit dem Biopharma-Unternehmen Invivyd in New Haven, das sich mit dieser Frage befasst.

“Wir finden ständig Biomarker”

Kritisch sieht Iwasaki daher auch Ansichten wie jene der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), die im Juli in einem Statement zu ME/CFS erklärt hatte, derzeit sei “nicht davon auszugehen, dass immunologische Faktoren eine entscheidende Rolle bei ME/CFS spielen”. “Ich persönlich stimme dieser Aussage nicht zu”, verwies Iwasaki u.a. auf einen von ihr an der Konferenz gehaltenen Vortrag, wonach sich die Gehirn-Rückenmarksflüssigkeit von Patienten mit ME/CFS von gesunden Vergleichspersonen unterscheidet.

“Wir finden ständig Biomarker, die von Standardlaboren normalerweise nicht erfasst werden. Daher halte ich Aussagen, dass Standardlabore keine Biomarker erfassen und es sich daher nicht um eine biologische Krankheit handelt, für engstirnig.”

So würden sie und auch viele andere Wissenschafter etwa Mikrogerinnselbildung und Gefäßfunktionsstörungen beobachten, führend sei hierbei die südafrikanische Wissenschafterin Resia Pretorius. “Grund dafür könnten Autoantikörper, eine anhaltende Entzündung oder sogar ein Spikeprotein sein.” Pretorius habe gezeigt, dass durch das Hinzufügen von Spike-Protein in die Blutprobe von gesunden Probanden Fibringerinnsel stimuliert werden. Diese Gerinnsel könnten ein möglicher Biomarker sein, ebenso Schäden, die in der Kapillarmikroskopie des Nagelfalzes zu sehen sind. Bei alledem brauche es aber noch “strenge Studien”. In den USA läuft derzeit eine Untersuchung der Polybio Research Foundation der Mikrobiologin Amy Proal, bei der die Frage beleuchtet wird, ob das Enzym Lumbrokinase zur Auflösung dieser Fibringerinnsel dienen kann.

Nicht-Anerkennung eine “Schande”

Gefragt nach der Nicht-Anerkennung derartiger Erkrankungen bei der sozialen Versorgung sagte Iwasaki, das sei “sehr bedauerlich”. Erst im Mai hatte eine gemeinsame Recherche von APA, ORF und der Rechercheplattform Dossier auf derartige Probleme bei der Pensionsversicherungsanstalt (PVA) aufmerksam gemacht, etwa bei der Gewährung von Berufsunfähigkeitspensionen oder Pflegegeld.

“Es ist weltweit so, dass diese Krankheiten von den Gesundheitsbehörden nicht ausreichend anerkannt werden. Und manche Ärzte glauben es einfach nicht”, dies sei eine “Schande”, so Iwasaki. “Wir brauchen wirklich einen grundlegenden Wandel in der Einstellung der medizinischen Behörden, damit diese Krankheiten anerkannt und genauso behandelt werden wie andere Krankheiten, Krebs oder Alzheimer.”

Ursachen: Unzureichende Immunantwort

Zu den möglichen Triggern bzw. Ursachen befragt, sagte Iwasaki, ME/CFS sei eng mit Long COVID und anderen postakuten Infektionssyndromen verwandt. “Wir gehen davon aus, dass die Immunreaktionen der Betroffenen in der Anfangsphase (von Infektionen) nicht ausreichend aktiviert werden. Dadurch können sich die Erreger vermehren und möglicherweise andere vulnerable Organe befallen” – und dem Virus oder den Bakterien ermöglichen, dort zu persistieren.

“Dies führt dazu, dass eine Entzündung im Gewebe ausgelöst wird und dies kann auch zu Autoimmunreaktionen führen.” Ebenso möglich sind laut Iwasaki die Reaktivierung etwa von Herpesviren, “die jede bzw. jeder von uns in latenter Form in sich trägt”. Generell liege es daran, dass Menschen den Erreger in der akuten Phase nicht schnell genug beseitigen können. “Dies führt zu chronischen Syndromen.”

In einigen Fällen würden sich die Erreger unbemerkt im tiefen Gewebe vermehren, in anderen Fällen könnten es laut der Expertin vielleicht nur Reste von Antigenen sein, “die irgendwie bestehen bleiben”. In all diesen Fällen gehe sie davon aus, “dass eine chronische Stimulation der Immunreaktionen auf unangemessene Weise zu ME/CFS und postakuten Infektionssyndromen beiträgt”.

Auch verwies die Immunologin darauf, dass ME/CFS auch durch Trigger abseits von Infektionen ausgelöst werden kann (etwa Traumata, Medikamente oder Toxine). “Wir haben diese Populationen noch nicht untersucht, aber es können ähnliche Veränderungen des Immunsystems auftreten.”

Ziel: An den Ursachen ansetzen

Bei einer chronischen Infektion mit Krankheitserregern müsse man den Erreger bekämpfen. “Denn symptomatische Behandlungen helfen den Patienten zwar, heilen aber nicht”, betonte Iwasaki. Dazu brauche es randomisierte klinische Studien, um herauszufinden, welche Patienten wovon profitieren, betonte sie die Forschungsnotwendigkeiten.

PEM: Sauerstoffmangel in den Zellen

Das Hauptmerkmal von ME/CFS – die schwere Belastungs-Erholungsstörung PEM (Post Exertional Malaise) – dürfte durch eine Art mitochondrialer Dysfunktion im Gewebe ausgelöst werden, wie etwa in Arbeiten des Experten für Zellphysiologie und mitochondriale Funktion Rob Wust (Universität Amsterdam) gezeigt wurde, sagte Iwasaki. Diese Dysfunktion trete bei Patienten auf, “die den Sauerstoff in den Muskelzellen, den Lymphozyten oder anderen betroffenen Zellen nicht richtig nutzen können”. “Es ist im Grunde so, als würde man eine Batterie entladen, weil man nicht richtig Energie erzeugen kann – durch Sauerstoffverbrauch.”

Und auch hier stelle sich die Frage, ob es an einer chronischen Entzündung liegt und ob die Gesundheit der Mitochondrien wiederherzustellen ist, indem man Entzündungen beseitigt. Iwasaki verwies auf eine laufende Studie bei Polybio unter ihrer Beteiligung mit niedrig dosiertem Rapamycin, das eine Mitophagie auslösen könnte – “ein Prozess, bei dem schlechte Mitochondrien beseitigt werden und neue, funktionsfähige Mitochondrien die schlechten ersetzen können”.

Impfungen und Post Vac

Damit es erst gar nicht zu Langzeitschäden kommt – etwa nach einer Corona-Infektion -, gelte es ebendiese zu vermeiden bzw. einzudämmen. Die Impfungen gegen die Covid-Infektion sind laut Iwasaki eine der wichtigsten Präventionsmaßnahmen gegen Post Covid. “Der Impfstoff löst eine schnelle Immunantwort aus” und könne das Risiko für Long Covid um etwa 30 bis 40 Prozent senken.

Man wisse, dass durch die Impfungen Millionen von Menschen profitieren, betonte Iwasaki. “Aber wir wissen auch, dass eine kleine Untergruppe von Patienten krank werde”, will sie auch Personen mit Post-Vac-Syndrom helfen. Daher haben sie und ihr Team auch dazu Studien durchgeführt, bei denen allerdings noch keine klaren Aussagen getroffen werden konnten. “Auch diese Patienten werden vernachlässigt”, betonte sie.

Prävention “effektivster Weg”

Gefeit sei niemand vor Langzeitschäden, so die Immunologin. Auch wenn es genetische Risiken für ME/CFS und Post Covid gibt, so gebe es für niemanden eine hundertprozentige Sicherheit.

Auch warnte Iwasaki vor kumulativen Schäden: “Je mehr Infektionen man anhäuft, desto mehr Schäden können sich im Körper ansammeln.” Daher würden Post Covid- oder ME/CFS-Betroffene sehr darauf achten, sich nicht anzustecken. “Eine Covid-Infektion oder sogar jede andere Infektion scheinen die Erkrankung auszulösen.”

Prävention sei daher offensichtlich der “beste Weg”. Neben Impfungen nannte Iwasaki auch Masken und “saubere Luft” in Innenräumen, etwa durch Belüftungsanlagen oder Luftreiniger. “Luftqualität ist genauso wichtig wie Wasserqualität”, betonte sie.

Viele Kinder unterdiagnostiziert

Studien würden auf viele Millionen Betroffene von Long/Post Covid und ME/CFS weltweit hinweisen. 2024 nannte eine Studie führender US-Wissenschafter die Zahl von rund 400 Millionen Menschen, die bis zu diesem Zeitpunkt von Long Covid betroffen waren. Die Zahl der ME/CFS-Fälle lag laut einer weiteren Arbeit aus dem Jahr 2020 bereits vor Beginn der Pandemie bei 65 Millionen. Experten gehen von einer massiven Zunahme dieser Zahl infolge von Corona aus. Die exakte Anzahl der von postakuten Infektionssyndromen Betroffenen wisse man nicht, so Iwasaki. Angesichts der hohen Zahlen sieht sie aber ein “gewaltiges Problem”, auch bei Kindern: Long bzw. Post Covid werde bei vielen Kindern unterdiagnostiziert, “in der Kinderheilkunde fehlt die Anerkennung”. Kinder unterschiedlichen Alters würden unterschiedliche Symptome zeigen, was die Diagnose erschwere, wie etwa eine im Mai in der Fachzeitschrift JAMA Pediatrics veröffentlichte Studie deutlich gemacht habe.

Auch die Diskussion über starken Anstieg psychischer Erkrankungen bringt die Expertin mit dieser Unterdiagnostik in Zusammenhang: “Es ist sehr gut möglich, dass sie Long Covid haben und nicht diagnostiziert werden. Die pädiatrische Fachwelt muss wirklich aufklären.”

Enge Verbindung nach Wien

Verbindungen nach Österreich hat Iwasaki schon länger, kam sie doch durch die Wiener Bäckereifamilie Ströck, die sich mit ihrer We&Me-Stiftung der Erforschung von ME/CFS verschrieben hat, überhaupt erst zur Beschäftigung mit dieser Krankheit und in Folge auch mit postviralen Erkrankungen wie Post Covid. Ausschlaggebend war einer der Söhne der Familie, Christoph Ströck, der – schon lange vor der Corona-Pandemie – selbst schwer an ME/CFS erkrankt ist.

“Er hat sich bei mir gemeldet und mir erklärt, was mit ihm passiert ist. Ich habe Patienten immer zugehört, aber Christoph war einer der ersten Patienten, die mir die Augen für diese Krankheit geöffnet haben”, so die Wissenschafterin, die ihren Redebeitrag auf der IUIS-Konferenz Christoph Ströck widmete. “Ich denke immer an ihn. Er ist einer der Menschen, die mich zu dieser Forschung motivieren.” Ein eigentlich geplanter persönlicher Besuch sei leider aufgrund der momentanen schweren Krankheitssituation nicht möglich gewesen, bedauerte die gebürtige Japanerin, deren Forschung zum Teil auch von der We&Me-Stiftung co-finanziert wird.

Verbindungen hat Iwasaki auch zur MedUni Wien – so arbeitet sie etwa mit einer der beiden Leiterinnen des Nationalen Referenzzentrums für Postvirale Syndrome, Eva Untersmayr-Elsenhuber, zusammen.

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