Von: apa
In Niederösterreich könne nach starken Niederschlägen und daraus resultierenden Überschwemmungen nach wie vor “keine Entwarnung” gegeben werden, teilte Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) am späten Sonntagnachmittag im Anschluss an eine weitere Lagebesprechung in Tulln mit. Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) sagte Mittel aus dem Katastrophenfonds zu. “Die Lage ist nach wie vor prekär”, betonte Landesfeuerwehrkommandant Dietmar Fahrafellner.
Nehammer bezeichnete die Situation im zum Katastrophengebiet erklärten Bundesland als “besonders herausfordernd” und von “noch nie da gewesenem Ausmaß”. Menschenleben zu retten habe höchste Priorität. Die Bundesregierung werde “alles tun, um das Land und die Gemeinden zu unterstützen”, so der Kanzler, der sich selbst ein Bild von der Lage gemacht hatte. Den Angehörigen eines im Bezirk Tulln bei Auspumparbeiten ums Leben gekommenen Feuerwehrmannes sprach Nehammer sein Beileid aus.
Mikl-Leitner sprach von einer “Ausnahmesituation”, die im Land herrsche. Die Schäden durch Hochwasser seien ebenso wie das Leid der Menschen groß. Gleichzeitig funktioniere die Sicherheitsfamilie Niederösterreich, die zudem Unterstützung erhalte. Am Sonntagnachmittag waren auch Kräfte aus der Steiermark und aus Oberösterreich im Einsatz. Ein Nachlassen der Niederschläge in der Nacht sollte eine “kleine Verschnaufpause” bringen, hoffte Mikl-Leitner.
Es seien immer wieder Menschenrettungen im Gang, teilte Fahrafellner mit. Auf eine Zahl wollte sich der Landesfeuerwehrkommandant vorerst nicht festlegen. Am Sonntagvormittag war von 1.100 evakuierten Objekten die Rede. Fahrafellner berichtete später von einem Dammbruch an der Traisen in St. Pölten ebenso wie an einem Nebenfluss des Kamp. Einsätze waren im Gang. Unterstützung gab es u.a. durch Hubschrauber des Innenministeriums, des Bundesheeres und der “Christophorus”-Flotte des ÖAMTC. Mehr als 25.000 Einsatzkräfte aus Niederösterreich “und darüber hinaus” seien aufgeboten.
Von dem Dammbruch in St. Pölten war laut ORF Niederösterreich eine Siedlung im Stadtteil Pottenbrunn betroffen. 40 bis 50 Häuser sollen unter Wasser stehen, 120 bis 150 Menschen sollten evakuiert und in Notquartieren untergebracht werden. Nicht intakt blieb Feuerwehrangaben zufolge auch ein Damm in Hadersdorf am Kamp (Bezirk Krems). Auf beiden Seiten strömte Wasser aus dem Gschinzbach auf umliegende Felder. Die Gemeinde hat 85 Häuser und 60 Wohnungen evakuiert.
“Sollte der Damm brechen, sind auch die Gemeinden Kammern und Straß im Straßertale bedroht”, sagte Bezirksfeuerwehrkommandant Martin Boyer. Um das zu verhindern, war bis zum Einbruch der Dunkelheit ein Black Hawk-Hubschrauber des Bundesheeres im Einsatz. Bigpacks wurden platzieret, um die undichten Stellen zu schließen. “Wegen der Dunkelheit sind uns hier über die Nacht jedoch die Hände gebunden”, so Boyer.
“Wir haben es mit einer noch nie da gewesenen Extremsituation zu tun”, sagte LH-Stellvertreter Einsatzleiter Stephan Pernkopf (ÖVP) schon am Sonntagvormittag. Dass der Stausee Ottenstein im Laufe des Tages seine Speicherkapazität erreichen werde, bewahrheitete sich am späten Nachmittag. Die Hochwasserklappen der Staumauer wurden abgesenkt, ein kontrollierter Ablauf von 130 Kubikmeter Wasser pro Sekunde war laut EVN-Sprecher Stefan Zach die Folge. Ein Erhöhen der Ablaufmenge auf 250 Kubikmeter pro Sekunde wäre auf Basis einer behördlichen Absprache möglich. Einige Kilometer entfernt sorgte der Kamp in der Bezirksstadt Zwettl für Schäden an Freibad, Eislauf- und einem Fußballplatz. Wasser trat in zahlreiche Häuser ein.
Das Land sei “im Katastrophenmodus”, betonte Pernkopf am Sonntagabend. “An etlichen Flüssen wurde der hundertjährliche Hochwasserpegel erreicht oder sogar weit überschritten.” Die Abflussspitzen an der Donau würden “in den nächsten Stunden erwartet”. Trotzdem könne keine Entwarnung gegeben werden, denn auch für die kommenden 48 Stunden seien “bis zu 60 Liter Regen pro Quadratmeter und für Montagvormittag besonders starke Niederschläge prognostiziert”.
In St. Pölten verschärfte sich die Lage am Sonntag: “Das Hochwasser hat das gesamte Stadtgebiet fest im Griff. Viele Straßenzüge sind nicht befahrbar. Weiterhin kommt es zu Ausfällen bei der Stromversorgung, Internet, A1-Festnetz und dem Mobilfunk”, teilte die Stadt an der Traisen auf ihrer Webseite mit. “Kellerbereiche auf jeden Fall meiden – es herrscht Lebensgefahr.” Der Alpenbahnhof stand unter Wasser, auch der Europaplatz wurde überflutet. Der reguläre Betrieb der Schulen und Kindergärten werde am Montag aufgrund der Folgen des Hochwassers und der enormen Niederschläge nicht stattfinden.
Im Bezirk St. Pölten traten mehrere Gewässer über die Ufer. “Die Feuerwehren sind vorrangig mit Menschenrettungen aus Gebäuden oder Fahrzeugen befasst”, u.a. auch mit Booten bzw. Zillen, teilte das Bezirkskommando mit. Zudem kam es zu Stromausfällen. In mehreren Häusern waren Bewohner eingeschlossen. In Markersdorf wurden vier Personen aus einem Gebäude befreit. Nach einem Verkehrsunfall auf der B19 im Markersdorfer Gemeindegebiet rettete eine Besatzung eines Black-Hawk-Hubschraubers des Bundesheeres einen Polizisten und einen Feuerwehrmann, die im Hochwasser an der Unfallstelle festsaßen. In Kirchberg an der Pielach wurde eine Person in ihrem Auto von den Wassermassen der Pielach eingeschlossen. Sie wurde von den Einsatzkräften befreit.
In Neulengbach (Bezirk St. Pölten) sind zwei Alpinpolizisten der Inspektionen Kirchberg an der Pielach und Lunz am See zu Lebensrettern geworden. Eine Kollegin war nach Angaben der Landespolizeidirektion Niederösterreich im Dienst von Fluten mitgerissen worden und hatte sich nur durch Festhalten an einem Strommast über Wasser halten können. Ala die beiden Männer eintrafen, befand sich die in Not geratene Beamtin bereits bis zum Hals im Wasser. Ein Alpinpolizist schwamm noch 100 Meter und brachte die Frau bis zu einem Lkw, der auf der überfluteten B19 angehalten hatte. Mit dem Fahrzeug wurde die Kollegin endgültig aus der Gefahrenzone gebracht.
In Klosterneuburg (Bezirk Tulln) wurde am Sonntag für das gesamte Gemeindegebiet Zivilschutzwarnung ausgelöst. Die Täler waren abgeschnitten, auch Hauptstraßen nicht passierbar, berichtete das Rathaus. Gefahr bestand demnach durch Muren, Hangrutschungen sowie umstürzende Bäume. “Tatsächlich ist der gesamte Bezirk Tulln betroffen”, teilte die Feuerwehr am Abend mit. So wurde Sieghartskirchen ebenso überflutet wie der Ortskern von Würmla. Nach einem Dammbruch an der Perschling wurde auch Atzenbrugg getroffen. Ebenfalls unter Wasser standen Häuser in der Marktgemeinde Michelhausen. Mit Zillen oder in Baggerschaufeln wurden eingeschlossene Menschen gerettet. In Rust im Tullnerfeld, einer Ortschaft von Michelhausen, kamen auch Hubschrauber des Bundesheeres aus Langenlebarn und der Polizei zum Einsatz.
In Melk wurden aufgrund von plötzlich stark steigendem Wasser eines Baches fünf Personen und ein Hund aus zwei Einfamilienhäusern in Sicherheit gebracht. Zwei Bewohner davon wurden durch die Wasserrettung St. Pölten mit einem Schlauchboot gerettet. Im Bezirk Hollabrunn sind nach Feuerwehrangaben 45.000 Sandsäcke gefüllt worden. Die Stadtgemeinde Hardegg wurde evakuiert, ein weiterer Hotspot war Göllersdorf, wo u.a. die Justizanstalt vom Hochwasser getroffen und am Montagvormittag ein Katastrophenhilfsdienstzug aus Kärnten erwartet wurde. Auf dem Krems-Fluss spitzte sich die Lage laut Feuerwehr zu. Im Bezirk Gänserndorf galt Hochwasseralarm für die March.
Die Südautobahn (A2) war laut ÖAMTC von der SCS nahe der Wiener Stadtgrenze bis Traiskirchen (Bezirk Baden) gesperrt, weil Wasser auf der Richtungsfahrbahn Graz stand. Wegen Überflutung blockiert war auch die Südostautobahn (A3) im Bereich Ebreichsdorf (Bezirk Baden). Fahrbahnschäden meldete eine Sprecherin des Clubs zudem von der Wiener Außenringautobahn (A21) im Abschnitt Knoten Steinhäusl – Hochstraß in Fahrtrichtung zur A2. Mehr als 250 Straßen in Niederösterreich waren dem ÖAMTC zufolge nicht passierbar. Die Westautobahn (A1) war ab dem Knoten St. Pölten in Fahrtrichtung Wien am späteren Nachmittag wieder einspurig befahrbar.
Die Lage im öffentlichen Verkehr war ebenfalls angespannt: “Die dramatische Hochwassersituation zwingt uns zu massiven Einschränkungen und Linieneinstellungen im gesamten Bundesland. Die Sicherheit unserer Landsleute, Familien, Mitarbeiter und Einsatzkräfte steht an erster Stelle. Auch Ersatzverkehre müssen in vielen Regionen eingestellt werden”, informierte Verkehrslandesrat LH-Stellvertreter Udo Landbauer (FPÖ).
Der Zugverkehr auf der Weststrecke zwischen Amstetten und St. Valentin wurde aufgrund von Hochwasser um 1.15 Uhr eingestellt. Am Sonntagvormittag wurde die Sperre auf den Abschnitt Wien bis St. Valentin ausgeweitet. “Wir können uns nur der Reisewarnung des Landes Niederösterreich anschließen und raten, zuhause zu bleiben”, sagte ein Sprecher zur APA. Schienenersatzverkehr könne nur teilweise angeboten werden, weil auch die Kapazität dafür gar nicht ausreiche.
12.000 Haushalte im Bundesland waren am Sonntagnachmittag ohne Strom. Die Tendenz sei sinkend, teilte EVN-Sprecher Stefan Zach mit.
Geplante Krankentransporte (mit Ausnahme von Dialyse-Patienten) können am Sonntag und Montag nicht durchgeführt werden, informierte Notruf NÖ. Das Rote Kreuz Niederösterreich stand laut einer Aussendung gemeinsam mit dem Samariterbund NÖ mit 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zusätzlich zum regulären Betrieb im Einsatz, u.a. in Kriseninterventionsteams. Weitere Helfer befanden sich in Bereitschaft. Rund 500 Feldbetten, Decken und Kopfpölster wurden bereits am Samstag von den Katastrophenhilfelagern des Roten Kreuzes angefordert und werden an Einsatzorten aufgebaut.
“Der Unwettersituation geschuldet”, verzeichnete die NÖ Landesgesundheitsagentur (LGA) an einigen Standorten, wie etwa im Pflege- und Betreuungszentrum St. Pölten, Zwischenfälle wie Wassereinbrüche. Die Akutversorgung sei “aktuell überall gewährleistet”, wurde betont. Von nicht notwendigen Besuchen in den Kliniken und Pflegezentren sollte abgesehen werden. Um Verständnis ersucht wurde zudem, “dass es in Einzelfällen zur kurzfristigen Absage von geplanten Eingriffen bzw. Ambulanzterminen kommen kann”. In diesen Fällen würden Betroffene direkt kontaktiert, Kontaktaufnahme mit den Kliniken sei patientenseitig nicht notwendig, so die LGA.
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