Riesige Herausforderungen

Südtiroler Ehrenamt zwischen nationaler Reform und Pandemie

Samstag, 20. Februar 2021 | 08:04 Uhr

Bozen – Am Freitagabend hat zum ersten Mal in der Geschichte des im Jahre 2018 ins Leben gerufenen Dienstleistungszentrums für das Ehrenamt Südtirol eine Online-Mitgliederversammlung mit und 100 anwesenden Mitglieder-Organisationen des so genannten „Dritten Sektors“ stattgefunden. Nach dem ersten Mandat des im Jahre 2018 erstmals nominierten Vorstandes mit Vertretern und Vertreterinnen aus der reichen Landschaft von Organisationen aus dem Non Profit-Bereich, standen nun Neuwahlen an.

Dabei hat eine schillernde Persönlichkeit des Südtiroler Ehrenamtes, ihren Vorsitz abgeben. Aus beruflichen Gründen steht nämlich die langjährige Vorsitzende des Südtiroler Jugendrings, Martina De Zordo, nicht mehr für das wichtige Amt der Rechtsvertreterin des DZE zur Verfügung. Sie zieht jedoch eine spannende Bilanz, und zwar dahingehend, welche unverzichtbare Wertediskussion, gerade im Hinblick auf Leistungen, die mit viel Herzblut von freiwillig aktiven Menschen täglich für die Gesellschaft erbracht werden, von der Gemeinschaft geführt werden sollte. Das ist durchaus ebenso eine Folge der derzeitigen Ausnahmesituation durch die Corona Pandemie, welche viele Aspekte des Volontariats massiv trifft, und somit von erheblicher Bedeutung ist.

Im Rahmen der genannten Veranstaltung, dankte Landeshauptmann Arno Kompatscher, den vielen Ehrenamtlichen in einer Zeit, wo vieles aufgrund der Corona Pandemie gar nicht möglich ist. Er rief zum Durchhalten auf. Laut einer nationalen Studie, an der Tausende von Vereine italienweit, darunter auch zahlreiche Realitäten aus Südtirol in den letzten Monaten teilgenommen haben, wird ein Umsatzrückgang bei Vereinen, vor allem in der Kultur, Sport und im Sozialen von rund 50 Prozent für die Jahre 2021 und 2022 befürchtet.

Laut den Daten des italienischen Statistikinstituts ISTAT wächst die Zahl der Freiwilligen in gemeinnützigen Einrichtungen stark: Sie steigt landesweit um 15 Prozent und in der Provinz Bozen zwischen 2015 und 2019 um 20 Prozent. Die Südtiroler Landesregierung will das Ehrenamt, das in Südtirol tief verwurzelt ist, weiter stärken. “Unser ehrenamtliches Engagement, ob im Sport, in der Kultur, im Brauchtum, im Katastrophenschutz oder in der Sozialarbeit, vermittelt Werte, Empowerment und Selbstwertgefühl. Eines der vorrangigen Ziele der Landesregierung ist es daher, das Engagement der Bürgerinnen und Bürger im Ehrenamt zu stärken und auszubauen”, so Landeshauptmann Kompatscher.

Der Direktor des Dienstleistungszentrums für das Ehrenamt Südtirol, Ulrich Seitz erinnert bei dieser Gelegenheit, dass die durch die Freiwilligenarbeit in unserem Land erzeugte Wertschöpfung bei ca. 500 Mio. Euro pro Jahr liegt (acht Prozent der wirtschaftlichen Produktion in Südtirol). Und hier muss man auch bewusst in den Köpfen der Entscheidungsträger ansetzen, denn es handelt sich hier um eine nicht mehr wegzudenkende Komponente, die an jeden Tisch der Sozialpartner bei wichtigen Entscheidungen für die Zukunft im Lande mit angehört werden sollte.

Das Dienstleistungszentrum für das Ehrenamt Südtirol ist zwar noch jung, hat aber in kurzer Zeit sehr viel bewegt. So ist es von der Mitgliederzahl her immens gewachsen, und zwar von 28 Gründungsorganisationen im Jahre 2018, auf nunmehr 203 im Jänner 2021. Diese wiederum vertreten rund 2550 Vereine. Insgesamt ist die Vereinslandschaft in Südtirol beeindruckend mit rund 4350 Strukturen, die von 160.000 Personen, bereichert werden.

Ein sehr intensives, aufreibendes Tätigkeitsjahr liegt hinter uns, betont Martina De Zordo und erinnert an die 727 Beratungen im abgelaufenen Jahr am Vereinssitz im Palais Widmann. Diese konzentrierten sich auf fachspezifische Themen, wie in erster Linie juridische Problematiken oder immer öfters auf detaillierte buchhalterische/steuerrechtliche Fragestellungen im Vereinswesen, auf die Schwierigkeiten mit der Digitalisierung sowie zusehends auf Auswirkungen bzw. Anliegen, die mit der Pandemie zusammenhängen. Dazu kommen für das Jahr 2020, 1266 fachspezifische Stellungnahmen, die vom Dienstleistungszentrum per Mail an seine Mitglieder und deren Partner erfolgten sowie 219 spezifische Fachgutachten rechtlicher Natur. Schließlich durchlebte ebenso das DZE Südtirol die radikale Umstellung der Organisationsabläufe im Büroalltag durch Corona, und es wurde verstärkt auf gezielte Videoberatungen gesetzt. Daraus resultiert eine Gesamtanzahl von 240 Sitzungsterminen in Videokonferenz (vor allem während des ersten und zweiten Lockdowns zwischen März und Juni 2020 sowie im November 2020). Beachtlich ist des Weiteren der Aufwand bei der fachlichen Begleitung von immerhin 95 Neugründungen von Vereinen, die trotz der schwierigen Gesamtlage im Jahre 2020 möglich war. Wenn man sich noch genauer die Natur der zusehends von den Vereinen benötigten Leistungen ansieht, dann fällt auf wie schwer die juridischen Belastungen für diese Organisationen ins Gewicht fallen. Strafrechtliche, zivilrechtliche, steuerrechtliche und arbeitsrechtliche Themen stehen da im Vordergrund und haben gerade in der Zeit von Covid-19 durch fehlende Finanzflüsse und einen Einbruch in der Tätigkeit erhebliche Auswirkungen gezeigt. Rund 70 Prozent der über 1000 Konsulenzen im abgelaufenen Jahr, gehen so Ulrich Seitz auf Kosten dieses Bereichs, gefolgt von 25 Prozent der Leistungen für Steuerfragen und Buchhaltung, nicht zuletzt wegen der Veränderungen im Rechnungswesen, die ab 2021, bei vielen Situationen im Land einiges auf den Kopf stellen werden, da hier beispielsweise das Kompetenzsystem angewandt werden muss.

Das DZE Südtirol ist übrigens einer der jüngsten Servicezentren im Stiefelstaat, wurde als eines der ersten im April 2020 akkreditiert, nachdem es einem sehr komplexen Qualitätsprozess mit intensiven Kontrollmechanismen betreffend das angebotene Leistungsspektrum unterzogen wurde.

Präsidentin Martina De Zordo wird nicht müde, auf Folgendes hinzuweisen: “Unser Denken und Handeln entspringt der Überzeugung, dass ehrenamtliches Engagement zur Verwirklichung von sozialem Aufstieg und parallel dazu zur Persönlichkeitsentwicklung von Menschen beiträgt. Diese doppelte Effizienz und Effektivität ist ein unverzichtbarer Wert der Freiwilligenarbeit. Auf diese Weise werden Kernwerte wie Fürsorge, Gemeinschaft und Dankbarkeit bei den Freiwilligen etabliert. Ehrenamtliche lernen Verantwortung und leisten einen Beitrag zum Wohle der Gesellschaft. Daher leistet die Freiwilligenarbeit eine wichtige Hilfe für die Entwicklung der Gesellschaft.“

Die Notwendigkeit, auf die aktuelle Krise zu reagieren, bringt laut Ulrich Seitz, vor allem in dieser Phase auch Folgendes mit:

• die Erfüllung vertraglicher Verpflichtungen durch öffentliche Einrichtungen vorsehen, wenn Dienstleistungen infolge von Maßnahmen zur Eindämmung der Ansteckung geschlossen wurden, möglicherweise durch Umwandlung der nicht erbrachten Dienstleistungen in andere Dienstleistungen zugunsten der Nutznießer;
• den Entlassungsfonds in Ausnahmefällen nutzbar zu machen und die Verfahren für die Nutzung des Gehaltsergänzungsfonds (FIS) zu vereinfachen;
• angemessene Instrumente zu finden, um das Einkommen von Mitarbeitern von Einrichtungen des Dritten Sektors mit anderen Beziehungen als Arbeitsverhältnissen zu unterstützen (denken Sie an alle, die in Sportvereinen tätig sind);
• die Aussetzung von Zahlungsfristen für Steuer- und Beitragsfälligkeiten und Bankkreditraten sowie die Sperrung jeglicher Vollstreckungsverfahren;
• zur Kenntnis nehmen, dass die Nichtdurchführung bestimmter geplanter Aktivitäten nicht vom Willen der Einrichtungen des Dritten Sektors abhängt, so dass diese nicht in die Verlegenheit kommen, z. B. die Verschiebung der Durchführung der Projekte, an denen sie beteiligt sind, dennoch von administrativer Seite her zu schultern;
• Im Allgemeinen besteht der Bedarf, Verlängerungen für die Berichtsfristen von Projekten, für Aufforderungen zur Einreichung von Vorschlägen, für die Zeit der Genehmigung von Budgets vorzusehen, da es nicht möglich ist, Sitzungen und andere typische Verpflichtungen des Vereinslebens abzuhalten.

Der neue Vorstand setzt sich nun konkret wie folgt zusammen: Ivo Bonamico, Vanessa Macchia, Pepi Fauster, Gislar Sulzenbacher, Günther Andergassen, Sergio Bonagura, Luisa Gnecchi, Egon Zemmer und Stefan Hofer. Rechnungsprüfer sind hingegen Renate Mattivi und Dieter Plaschke.

Von: mk

Bezirk: Bozen