Von: mk
St. Martin in Gsies/Graz – Ein neues Verfahren ermöglicht die präzise Bestimmung von Omega-Fettsäuren in biologischen Proben. Die bahnbrechenden Ergebnisse von Forschenden der Universität Graz, über die erst kürzlich im Wissenschaftsjournal Nature Communications berichtet wurde, eröffnen neue Einblicke in Stoffwechselprozesse und kommen voraussichtlich therapeutischen Ansätzen gegen Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen zugute. Aus Südtiroler Sicht interessant ist: Erstautorin Leonida M. Lamp stammt aus St. Martin in Gsies.
Omega-3-Fettsäuren sind als fixer Bestandteil einer gesunden Ernährung in aller Munde. Weil sie unser Körper nicht selbst herstellen kann, sollten wir sie in ausreichendem Maße aufnehmen. Aber auch Omega 6, 7, 9 und 10 spielen eine wichtige Rolle im Stoffwechsel. Die jeweilige Zahl gibt an, wo sich die erste Doppelbindung in der Fettsäurekette befindet. Gestörte Stoffwechselprozesse, wie sie zum Beispiel bei Krebs, Herz-Kreislauf- oder auch Autoimmunerkrankungen vorkommen, stehen häufig im Zusammenhang mit veränderten Omega-Positionen in Lipiden (wissenschaftliche Bezeichnung für Fette).
Forschende der Universität Graz und der University of California, San Diego haben nun ein neues, effizientes Verfahren vorgestellt, mit dem sich die Omega-Positionen von Lipiden in Gewebe oder Blutplasma zuverlässig bestimmen lassen. Genutzt wird eine Kombination aus Chromatographie-gekoppelter Massenspektrometrie und der speziell entwickelten Software „LC=CL“. Im Interview mit Südtirol News verrät Leonida M. Lamp mehr.
Südtirol News: Sie haben die Datenbank und Software „LC=CL“ entwickelt. Was wird dadurch möglich?
Leonida M. Lamp: Mit LC=CL können wir erstmals zuverlässig und routinemäßig bestimmen, wo genau sich die erste Doppelbindung in einer Fettsäure befindet – also die sogenannte Omega-Position. Das klingt sehr technisch, ist aber enorm wichtig: Viele Enzyme im Körper arbeiten nur mit ganz bestimmten Fettsäuren. Wenn sich diese Strukturen verändern, kann das mit Krankheiten wie Krebs oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen zusammenhängen. Mit unserer Datenbank und Software können Forschende weltweit diese feinen Unterschiede sichtbar machen und besser verstehen.
Wie kann man sich die Analyse der Blut- und Gewebeproben ganz praktisch vorstellen?
Im Prinzip läuft das so: Wir nehmen eine Blut- oder Gewebeprobe und untersuchen sie mit einem Massenspektrometer, das an eine Chromatographie gekoppelt ist. Dieses System trennt die Moleküle zunächst nach ihrer Struktur und misst sie dann nach ihrer Masse. Dieses Verfahren gibt es schon lange. Neu ist, dass wir mit unserer Software die Messdaten in viel größerem Detail auswerten können. Das heißt wir sehen nicht nur, welche Lipide in der Probe stecken, sondern auch ganz genau, an welcher Stelle in der Fettsäure die Omega-Doppelbindung sitzt. Die komplexe Analyse passiert dabei mit LC=CL im Hintergrund, es ist also für die Forschenden fast so mühelos wie eine App auf dem Handy.
Das Verfahren hat medial viel Aufsehen erregt. Warum ist es so relevant?
Weil wir damit eine Art „unsichtbare Ebene“ im Stoffwechsel sichtbar machen. Die Position einer Doppelbindung kann darüber entscheiden, ob ein Molekül Entzündungen fördert oder hemmt, ob es das Wachstum von Krebszellen unterstützt oder bremst. Solche Details konnten wir bisher nur mit sehr viel Aufwand erfassen. Man brauchte entweder sehr teure Spezialgeräte oder musste mit gefährlichen Chemikalien arbeiten, und trotzdem war die Analyse oft nicht eindeutig. Jetzt öffnen wir diesen Zugang für viele Labors weltweit – und damit auch für Forschung, die direkt in die Medizin hineinwirkt.
Mit herkömmlichen Methoden war es bislang äußerst schwierig, in komplexen biologischen Proben, etwa in menschlichem Gewebe oder Blutplasma, die Omega-Positionen von intakten Fettsäuren zu bestimmen. Inwiefern ist die neue Methode besser?
Unsere Methode ist nicht nur sicherer und einfacher, sondern auch empfindlicher: Wir können sogar Lipide messen, die nur in winzigen Mengen vorkommen. Außerdem funktioniert sie mit den Standardgeräten, die viele Labors ohnehin schon haben. Das macht den großen Unterschied – plötzlich können sehr viele Forschungsgruppen mitmachen.
„LC=CL“ ist nicht nur eine Software, sondern auch eine Datenbank. Bedeutet das, dass Forschende weltweit Zugriff auf Messungen haben?
Genau. Wir haben die Retentionszeiten und Strukturdaten von über 2400 Lipiden in einer Datenbank zusammengefasst. Wer also in einem Labor mit Massenspektrometrie arbeitet, kann unsere Datenbank und Software nutzen. Damit ist dieses hochspezialisierte Wissen nicht mehr nur einigen wenigen zugänglich, sondern weltweit nutzbar. Das wird die Forschung in diesem Bereich massiv beschleunigen.
Was hat Sie dazu veranlasst, ausgerechnet in diesem Gebiet zu forschen?
Mich fasziniert, dass Lipide so grundlegende Bausteine unseres Körpers sind, die aber gleichzeitig noch viele Geheimnisse bergen. Wir wissen längst nicht alles darüber, wie sie Krankheiten beeinflussen. Und ich habe die Chance gesehen, hier eine methodische Lücke zu schließen. Persönlich motiviert mich die Schnittstelle aus Chemie und Informatik: Mit Informatik-Werkzeugen kann man biologische Prozesse sichtbar machen, die man mit dem bloßen Auge nie erkennen würde.
Es war sicher günstig, dass Sie neben einem Abschluss in Chemie auch einen Abschluss in Informatik haben?
Absolut. Ohne Chemie versteht man die biologischen Fragen nicht, ohne Informatik kann man die Datenberge nicht auswerten. Für mich war es eine perfekte Kombination – und genau deshalb konnte ich an dieser Stelle etwas Neues beitragen.
Das neue Verfahren wurde von Forschenden der Universität Graz und der University of California, San Diego, entwickelt. Wie waren die Aufgaben im Forscherteam verteilt?
In Graz haben wir die Software LC=CL entwickelt und auch die Datenbank aufgebaut. Die Kolleginnen und Kollegen in San Diego haben ihre große Expertise in Biochemie und Enzymforschung eingebracht und auch nach unseren Vorgaben spezielle Proben mit markierten Fettsäuren hergestellt, die für unsere Methodenentwicklung entscheidend waren. Jeder hat seine Stärken eingebracht und nur gemeinsam war dieser Erfolg möglich.
Lässt sich jetzt schon sagen, in welche Richtung sich therapeutische Ansätze aufgrund ihres Verfahrens entwickeln werden? Welche Möglichkeiten eröffnen sich im Gesundheitsbereich?
Wir stehen noch am Anfang, aber die Perspektiven sind sehr spannend. Kurzfristig können wir mit unserer Methode neue Biomarker im Blut identifizieren – also Moleküle, die Hinweise auf Entzündungen oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen geben. Mittelfristig kann sie helfen zu verstehen, welche Lipide bei Krebs oder Autoimmunerkrankungen eine Schlüsselrolle spielen. Langfristig eröffnet sich vielleicht sogar die Möglichkeit, Therapien zu entwickeln, die gezielt Enzyme beeinflussen, die mit bestimmten Omega-Positionen arbeiten. Und auch im Bereich Ernährung könnte es spannend werden: Wir könnten genauer messen, wie sich zum Beispiel Fischöl oder Pflanzenöle tatsächlich im Körper auswirken.
Vielen Dank für das Gespräch!
Zur Person: Leonida M. Lamp wurde am 30.07.1995 in Innichen geboren und wuchs in St. Martin in Gsies auf. Nach der Matura am Nikolaus Cusanus Gymnasium in Bruneck studierte sie Chemie und Informatik an der Universität Innsbruck. Dort absolvierte sie das Informatikstudium auf Bachelor-Niveau und schloss ihr Masterstudium in Chemie mit Auszeichnung ab. Für ihr Doktoratsstudium zog sie nach Graz, wo sie ihre Leidenschaft für beide Fachrichtungen zusammenführte und ihre Promotion ebenfalls mit Auszeichnung abschloss.
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