Gewachsene Beziehungen sollten bei Scheidung bestehen bleiben

Wenn Kinder die Großeltern nicht mehr besuchen dürfen

Freitag, 07. Dezember 2018 | 12:47 Uhr

Bozen – Menschenrechte sind auch Kinderrechte: universell, persönlich und nicht übertragbar. Darauf verweist Südtirols Kinder- und Jugendanwältin Paula Maria Ladstätter anlässlich des kommenden 10. Dezember, an dem sich die Unterzeichnung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte zum 70. Mal jährt.

„Leider werden die Menschenrechte bei Kindern besonders häufig verletzt“, sagt Paula Maria Ladstätter. Die Verabschiedung der Kinderrechtekonvention 41 Jahre nach jener der Menschenrechte sei mehr als notwendig gewesen. Vor allem beim Recht der Kinder auf Familie, auf beide Eltern und auch auf Großeltern gebe es in Südtirol häufig Übertretungen. Jede vierte Beratung in der Kinder- und Jugendanwaltschaft (Kija) handelt davon. Eltern instrumentalisieren ihre Kinder bei konfliktreichen Trennungen und Scheidungen und bringen sie in große Loyalitätskonflikte.

Paula Maria Ladstätter erfährt in der Kinder- und Jugendanwaltschaft täglich von Kindern, die von Müttern und Vätern benutzt werden, um gegen den getrennten Elternteil Stimmung zu machen. „Das zerreißt die jungen Menschen buchstäblich“, sagt die Kinder- und Jugendanwältin und beschreibt die Situation mit dem Bild eines gespannten Gummibandes. Kinder lieben ihre Eltern bedingungslos. „Wenn Kinder nicht die Freiheit haben, auch den abgelehnten Elternteil lieben zu dürfen, geraten sie in ein Dilemma, das sie fundamental belastet.“ Meist entscheiden sie sich für jenen Elternteil, der sie mehr braucht und übernehmen Verantwortung dafür: ein Rollentausch, der nicht ihrem Alter und ihrer Rolle entspricht. Bei der Allianz zu nur einem Elternteil entfremden sie sich vom anderen. Unter Umständen geht dann eine wichtige Bezugsperson der Kindheit zur Gänze verloren. „Das kann zu Einschränkungen in der Bindungs-, Beziehungs- und Leistungsfähigkeit des Kindes führen“, erklärt Paula Maria Ladstätter.

In Fällen, wo das Kind nicht bereit ist, die Beziehung zu einem Elternteil aufzugeben, bleibt es im Loyalitätskonflikt gefangen. Die Beziehung zu beiden Elternteilen bleibt zwar aufrecht, aber die Unerträglichkeit der Situation wirkt sich auf andere Bereiche der Psyche aus. „Diese Kinder können verhaltensauffällig oder aggressiv werden, depressive Versstimmungen entwickeln oder zu Schlafstörungen und Konzentrationsschwächen neigen“, sagt Ladstätter. Eltern sollten im Trennungsfall unbedingt auf ihre Kinder achten und Loyalitätskonflikten entgegensteuern.

Kinder sind keine kleinen Erwachsenen. Bei der Verabschiedung der Kinderrechtekonvention im Jahr 1989 wurde zusätzlich zu den Menschenrechten ergänzt, dass Erwachsene zuerst das Wohl des Kindes im Auge haben sollten, bevor sie an das eigene denken. In den meisten Fällen ist auch eine strittige Scheidung oder Trennung Ursache dafür, dass Oma und Opa das Enkelkind nur noch selten oder überhaupt nicht mehr sehen dürfen. In der Trauer über die gescheiterte Beziehung vergessen manche Eltern, was sie ihren Kindern antun, wenn sie ihnen den Kontakt zu engen Bezugspersonen verwehren. Paula Maria Ladstätter berichtet von Großeltern, die kürzlich bei ihr in der Beratung waren und erzählt haben, dass sie ihre beiden Enkeltöchter früher fast täglich gesehen, für sie gekocht, mit ihnen Hausaufgaben und Ausflüge gemacht haben. Aber seit der Trennung ihrer Tochter von deren Mann lebten die beiden Mädchen beim Vater. Die Großeltern dürften sie seither nicht mehr sehen. Sie würden die Enkelinnen sehr vermissen und umgekehrt sei es genauso. „Sind wir nicht auch Teil ihrer Familie?“ habe die Großmutter unter Tränen gefragt. „Für Kinder ist es wichtig, dass Beziehungen, die über längere Zeit gewachsen sind, bestehen bleiben“, betont Paula Maria Ladstätter. Wenn vor der Scheidung der Eltern eine enge Bindung zu den Großeltern bestanden habe, sei ein Kontaktabbruch schädlich und könne zu psychischen Auffälligkeiten führen, erklärt die Kinder- und Jugendanwältin.

Bei der Kinder- und Jugendanwaltschaft steht das Wohl des Kindes im Mittelpunkt. Die Mitarbeiterinnen stehen Interessierten mit Gesprächen und Mediationsangeboten zur Verfügung. Weitere Informationen erhalten Interessierte unter Tel. 0471 946 050 und per Mail an info@kinder- jugendanwaltschaft-bz.org.

Von: luk

Bezirk: Bozen