Von: Ivd
Bozen – Wiedergutmachungsjustiz hat großes Potenzial, auch in komplexen Situationen, und sollte entsprechend gefördert und ausgebaut werden. Heute präsentierte die Koordinatorin des Dienstes für Wiedergutmachungsjustiz des Vereins „La Strada – Der Weg“, Ulrike Oberlechner, in Zusammenarbeit mit der Kinder- und Jugendanwältin Daniela Höller, dem Präsidenten des Jugendgerichts Benno Baumgartner und der Leiterin des Sozialdienstes am Jugendgericht, Katia Sartori, die Daten des Jahres 2024 von jugendlichen Straftätern und Geschädigten, die an einem Projekt der Wiedergutmachung teilgenommen haben.
Während die traditionelle Justiz den Täter oder die Täterin einer Straftat identifiziert und bestraft, schlägt die Wiedergutmachungsjustiz stattdessen vor, dass – ergänzend zum Strafverfahren – die beteiligten Personen einen geschützten Raum zum Zuhören und gegebenenfalls zum Dialog finden können. Wiedergutmachungsjustiz ist immer freiwillig, niemals aufgezwungen. Durch die Begegnung mit dem Anderen wird dem jungen Mann oder der jungen Frau, die einen Fehler begangen hat, bewusst, was er oder sie getan hat, und dies trägt dazu bei, dass er oder sie diesen Fehler in Zukunft nicht mehr wiederholt. Für die Person, die durch die Straftat geschädigt wurde und sich entschließt, am Projekt der Wiedergutmachung teilzunehmen, kann es eine Gelegenheit sein, ihre Genesung zu fördern, indem sie sich gehört und verstanden fühlt.
„Die beteiligten Personen können so Antworten auf ihre Bedürfnisse nach Klarheit, Einsicht und Verständnis finden und haben die Möglichkeit, mit neuem Blick auf das Vorgefallene ihre eigene Erfahrung neu für sich einzuordnen“, betont Kinder- und Jugendanwältin Daniela Höller.
„Jugendkriminalität ist kein neues Phänomen: Im Durchschnitt werden pro Jahr rund 500 Straftaten angezeigt, im Jahr 2024 sind es nicht einmal 400. Weniger als 200 Jugendliche müssen tatsächlich vor dem Ermittlungsrichter erscheinen“, erklärt Benno Baumgartner, Präsident des Jugendgerichtes Bozen.
Dank der Auseinandersetzung der Beschuldigten mit dem Jugendgericht, gezielten Interventionen der Sozialdienste und Wegen der opferorientierten Justiz werden jugendliche Straftäter unterstützt, wieder auf den richtigen Weg zu kommen. Vor allem die Bewährungsmaßnahme erweist sich als sehr wirksam: Sie umfasst eine Verpflichtungszeit von vier bis zwölf Monaten und beinhaltet sozial nützliche Arbeit, pädagogische Gespräche, obligatorische Ausbildung oder Arbeit und Wiedergutmachung.
Der schrittweise Ausbau und die gute Vernetzung der Dienste und Organisationen, die sich um Minderjährige kümmern, sowie die Konzentration auf erzieherische Maßnahmen haben in den letzten Jahren dazu beigetragen, die Zahl der Straftaten zu senken und die Rückfallquote in Südtirol zu minimieren. Dieser pädagogische Ansatz gilt natürlich auch für Minderjährige unter 14 Jahren. Diese haben nämlich nicht Narrenfreiheit, weil sie noch nicht strafmündig sind: Sie werden der Staatsanwaltschaft gemeldet und engmaschig vom Sozialdienst begleitet und können in Zusammenarbeit mit den Eltern den Weg der Wiedergutmachung bestreiten.
„Nach einem steigenden Trend in den letzten zwei Jahren hat das Amt in diesem Jahr endlich einen leichten Rückgang der betreuten Minderjährigen und jungen Erwachsenen in der Provinz Bozen festgestellt: von 345 im Jahr 2023 auf 312 im Jahr 2024, davon 105 erstmals betreut. In den letzten Jahren wurde insbesondere in den drei Städten Bozen, Meran und Brixen ein Anstieg der zweiten Generation von Minderjährigen beobachtet, während in den Tälern überwiegend einheimische Jugendliche vorherrschen“, erklärt Katia Sartori, Direktorin der Sozialdienste am Jugendgericht. Die Prävalenz männlicher Minderjähriger im Alter von 15 bis 17 Jahren bleibt konstant, obwohl die Zahl der unter 14-Jährigen und 14-Jährigen, die betreut werden, gestiegen ist. Insgesamt wurden im Jahr 2024 72 junge Erwachsene betreut.
Bezüglich der Straftaten, für die Minderjährige gemeldet wurden, zeigt sich auch in diesem Jahr eine Häufung von Straftaten gegen Personen. Im Jahr 2024 wurden insgesamt 98 Bewährungsproben begleitet, davon wurden 57 im Laufe des Jahres gestartet.
„Seit über 20 Jahren ist der Dienst für Wiedergutmachungsjustiz des Vereins ‚La Strada – Der Weg‘ im Bereich der Jugendkriminalität tätig und arbeitet mit Jugendlichen, die mit dem Gesetz in Konflikt geraten sind“, betont die Koordinatorin des Dienstes, Ulrike Oberlechner. „Das Ziel ist es, die Jugendlichen bei der Übernahme der Verantwortung für ihr Handeln zu begleiten, Bewusstsein für das Opfer zu schaffen und eine angemessene Wiedergutmachung für die begangene Straftat zu finden.“
Wenn der oder die Jugendliche keine Möglichkeit hat, sich direkt beim Opfer zu entschuldigen, wird ihm oder ihr die Gelegenheit geboten, an einer psychologischen Gruppe teilzunehmen, um gemeinsam mit anderen jugendlichen Straftätern über sein oder ihr Verhalten nachzudenken und neue gewaltfreie Strategien zu erlernen.
Der Dienst für Wiedergutmachungsjustiz des Vereins „La Strada – Der Weg“ bietet außerdem eine Beratung für Opfer von Straftaten an, insbesondere für diejenigen, die von der Staatsanwaltschaft des Jugendgerichts oder vom USSM gemeldet wurden, also Opfer von Straftaten, die von Minderjährigen begangen wurden. Ziel ist es, den Opfern zunächst zuzuhören, sie zu informieren und sie auf dem schwierigen Weg der Neubewertung des Geschehenen zu begleiten. Von den 90 kontaktierten geschädigten Personen, die der Dienst kontaktiert hat, haben 72 die Begleitung durch den Dienst bereitwillig angenommen.
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