Bürgermeister kleiner Gemeinden im Kampf gegen die Entvölkerung

“100.000 Euro und ein Haus, wenn du in meine Gemeinde ziehst”

Dienstag, 23. September 2025 | 07:04 Uhr

Von: ka

Scigliano/Radicondoli/Ollolai/Penne – Die Bürgermeister italienischer Landgemeinden, die seit Jahrzehnten unter Abwanderung leiden, lassen kaum eine fantasievolle Idee aus, um Neubürger zum Zuzug in ihre Gemeinde zu bewegen.

Die einen versuchen es mit Einkaufsgutscheinen und kostenlosem Internet für Arbeitnehmer im Homeoffice, die anderen schenken Familien mit minderjährigen Kindern Ein-Euro-Häuser samt einer Zuzugsprämie von 5.000 Euro. Besonders großzügig sind jedoch jene Gemeindeväter, die ihren neuen Gemeindebürgern Geldgeschenke von bis zu 100.000 Euro bieten und Unter-35-Jährigen Holzfertighäuser kostenlos zur Verfügung stellen. Der Erfolg gibt den Bürgermeistern durchaus Recht.

Facebook/Città di Scigliano

Den Maßnahmen, mit denen Bürgermeister kleiner Dörfer gegen die Entvölkerung kämpfen, setzt die Fantasie fast keine Grenzen. Großzügige Zuschüsse und Häuser, die zum symbolischen Preis von einem Euro verkauft werden, „dienen dem Ziel, eine dauerhafte Verwurzelung zu erreichen”, heißt es etwa in der Ausschreibung der verstreut liegenden Gemeinde Scigliano mit neun historischen Zentren und insgesamt 1.111 Einwohnern im Val Savuto in Kalabrien.

Scigliano wurde wie 88 andere Berg- und Landgemeinden der süditalienischen Region in das regionale Programm für nicht zurückzuzahlende Zuschüsse aufgenommen. Dieses sieht vor, Familien mit minderjährigen Kindern, Arbeitnehmern im Smart Working und Pensionisten, die ihren Hauptwohnsitz nach Kalabrien verlegen, 5.000 Euro zu schenken.

wivoaradicondoli.it

Laut der römischen Tageszeitung La Repubblica wurden die kommunalen Ausschreibungen in einer Sprache verfasst, die an Werbebroschüren erinnert. Das Ziel dabei ist, auf diese Weise Neubürger in entlegene Landgemeinden zu locken. „Sie werden von Bergen und blauem Himmel umgeben aufwachen“, verspricht beispielsweise die Gemeinde Panettieri in der Provinz Cosenza.

Um „Schlaumeiern“ oder gar Betrügern keinen leichten Zugang zu großzügigen Geldgeschenken zu ermöglichen und stattdessen eine dauerhafte Ansiedlung der Zugezogenen zu erreichen, haben die Gemeinden mehrere Hürden und Bedingungen in ihre Ausschreibungen eingebaut. Eine der Voraussetzungen ist beispielsweise, dass der Neubürger in spe aus einer Stadt mit mehr als 5.000 Einwohnern kommt, innerhalb von 90 Tagen nach Erhalt eines positiven Bescheids den Wohnsitz wechselt und sich dazu bereit erklärt, mindestens fünf Jahre in der neuen Wohnsitzgemeinde zu bleiben.

Viele Gemeinden sind sehr großzügig. Ein Beispiel ist die toskanische Gemeinde Radicondoli. Sie bietet Personen unter 40 Jahren, die dorthin ziehen möchten, einen Zuschuss von bis zu 20.000 Euro. „Mit 22 Kaufverträgen war die letzte Ausschreibung ein voller Erfolg. Nach dem historischen Tiefstand von 904 Einwohnern im Jahr 2021 sind wir wieder auf 968 ‚Radicondolesi‘ gestiegen“, freut sich Francesco Guarguaglini, der Bürgermeister der westlich von Siena gelegenen Kleingemeinde.

wivoaradicondoli.it

In Südtirols Nachbarprovinz Trient werden Menschen, die in eines der von Entvölkerung bedrohten Bergdörfer ziehen, dagegen bis zu 100.000 Euro geboten. „Wir heißen alle willkommen, aber ich hoffe auch, dass niemand wieder wegzieht”, sagt Andrea Pollo, der Bürgermeister von Dambel, einem 400-Seelen-Dorf im Nonstal. Bislang sind fünf Anträge eingegangen, was der Bürgermeister als guten Erfolg wertet. Sein Ziel ist die dauerhafte Ansiedlung, wofür fünf „gute” Interessenten genügen. Die Talgemeinde Rabbi zählt bereits 30 Interessenten.

Auch im Trentino ist die Teilnahme an den einzelnen Ausschreibungen an verschiedene Bedingungen und Voraussetzungen gebunden. Unter anderem ist vorgesehen, dass die Begünstigten ein Haus kaufen oder renovieren, um dort mindestens zehn Jahre lang zu einem vereinbarten Mietpreis zu wohnen. Auch bei den Gemeinden in den Niederungen der Poebene bei Ferrara sind 30 Anträge eingegangen. Sie bieten jungen Paaren bis zu 25.000 Euro für den Kauf ihres ersten Hauses.

Facebook/VAL DI RABBI

Auf Sardinien werden jungen Familien mit Kleinkindern hingegen großzügige Geldbeiträge angeboten: 600 Euro pro Monat bis zum fünften Lebensjahr des ersten Kindes und 400 Euro für das zweite Kind. Voraussetzung ist, dass sie sich dazu entscheiden, für mindestens fünf Jahre in eine Gemeinde mit weniger als 5.000 Einwohnern zu ziehen. Ein bekanntes Beispiel ist Ollolai in der Provinz Nuoro, das mit seinen Ein-Euro-Häusern für Aufmerksamkeit gesorgt hat.

Instagram/Comune di Ollolai

In Penne in der Provinz Pescara gingen laut Bürgermeister Gilberto Petrucci, der dies La Repubblica berichtete, „Hunderte von Anrufen und Anfragen und 1.700 E-Mails in nur einer Woche” ein. Die meisten der Interessenten stammen aus Asien. Der durchschlagende Erfolg liegt auch daran, dass in Penne nur wenige Voraussetzungen gestellt werden.

So wird lediglich verlangt, dass die Immobilie innerhalb von drei Jahren renoviert wird. Ansonsten müssen die Neubürger in spe weder ihren Wohnsitz nach Penne verlegen noch eine Kaution hinterlegen. Es ist daher kein Zufall, dass die ersten drei Häuser an eine britische, eine niederländische und eine deutsche Familie vergeben wurden.

Comune Penne/www.comune.penne.pe.it

Der Erfolg gibt den Bürgermeistern durchaus Recht. Ähnliche Erfahrungen in anderen Teilen Italiens haben bereits gezeigt, dass Initiativen dieser Art wirksam dazu beitragen können, die Entvölkerung ländlicher und gebirgiger Gebiete zu stoppen und in Orten, die sonst verlassen worden wären, neue Lebensräume zu schaffen. Da seit der Pandemie viele Menschen das Bedürfnis verspüren, dem Stadtleben den Rücken zu kehren und ein neues Leben in der freien Natur auf dem Land zu beginnen, können die Zuschüsse der Landflucht möglicherweise dauerhaft entgegenwirken. Die zunehmende Möglichkeit für Arbeitnehmer und Selbstständige, den Großteil ihrer Arbeit im Homeoffice zu erledigen, kommt den Berg- und Landgemeinden ebenfalls zugute.

Als Nachteil hingegen winkt ein Dauerleben als Pendler, denn die langen Schulwege, die als Kind und Jugendlicher in Kauf genommen werden müssen, setzen sich im Erwachsenenleben oft nahtlos als tägliches Pendeln fort.

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