Mediziner kritisieren „Testwut“ scharf – VIDEO

„200 Meter lange Warteschlange, um dem Land den Tod zu bescheinigen“

Montag, 27. Dezember 2021 | 08:05 Uhr

Von: ka

Mailand/Genua – Der bekannte Primar der Abteilung für Anästhesie und Intensivmedizin des Krankenhauses „San Raffaele“ von Mailand, Alberto Zangrillo, sieht die um sich greifende „Testwut“, die vor den geöffneten Apotheken für lange Schlangen sorgt, sehr kritisch.

Als er mit seinem Auto an einer dieser Warteschlangen vorbeifuhr, schoss er ein Foto und machte anschließend seinem Ärger auf seiner Facebook-Seite Luft. „Eine 200 Meter lange Schlange, um den Apotheken die Kassen zu füllen, dem journalistischen Terrorismus neue Nahrung zu geben und dem Land den Tod zu bescheinigen“, so seine harten Worte auf Facebook. Sein Kollege aus Genua, der bekannte Virologe Matteo Bassetti, pflichtet ihm bei. Angesichts der hohen Infektionszahlen – meint Matteo Bassetti – habe die Nachverfolgung der Positiven keinen Sinn mehr, vielmehr trage die immer häufiger stattfindende Verhängung häuslicher Quarantänen dazu bei, Italien zu blockieren.

È CORSA AI TAMPONI, LA STRETTA PER LE FESTE

È CORSA AI TAMPONI, LA STRETTA PER LE FESTEÈ corsa ai tamponi per le feste. Le misure del Governo. Discoteche chiuse e feste in piazza vietate. Obbligo di mascherine Ffp2 sui mezzi pubblici, al cinema e allo stadioPaolo Pasi dal Tg3 delle 14,20 del 24 dicembre 2021

Posted by Tg3 on Friday, December 24, 2021

Wer in den letzten Wochen an einer Apotheke vorbeikam, dem fielen sofort die langen Schlangen am Eingang auf. Besonders vor dem Beginn der Weihnachtsferien war es der erste Gedanke vieler Italienerinnen und Italiener, sich testen zu lassen. Da für die Festtage viele zu ihren Familien in ihren Herkunftsregionen zurückkehren wollten und für die Benutzung von Schnellzügen und Flügen der Nachweis eines Grünen Passes notwendig ist, bildeten die größte Gruppe dieser „Testwütigen“ die Ungeimpften. Um die Möglichkeit einer Ansteckung auszuschließen, beschlossen auf Anraten einiger Experten aber auch viele Geimpfte, sich einem Abstrich zu unterziehen.

In der Tat wurden in Italien in den letzten beiden Adventswochen täglich mehr als 900.000 durchgeführte Tests gezählt. In den letzten Tagen vor dem Weihnachtsfest näherte sich ihre Zahl sogar der Millionenmarke. Selbst während der Festtage stellten viele Apotheken ihre Testtätigkeit nicht ein. Allerdings sind sich nicht alle Experten darin einig, dass diese Strategie zur Eindämmung der Pandemie sinnvoll sei.

Facebook/Alberto Zangrillo

Zu diesen Kritikern gehört Alberto Zangrillo. Der bekannte Primar der Abteilung für Anästhesie und Intensivmedizin des Krankenhauses „San Raffaele“ von Mailand vertritt die Meinung, dass die um sich greifende „Testwut“ sogar schädlich sei. Als er am Stephanstag mit seinem Auto an einer dieser Warteschlangen vorbeifuhr, schoss er ein Foto und machte anschließend seinem Ärger auf seiner Facebook-Seite Luft. „Eine 200 Meter lange Schlange, um den Apotheken die Kassen zu füllen, dem journalistischen Terrorismus neue Nahrung zu geben und dem Land den Tod zu bescheinigen“, so seine harten Worte auf Facebook.

Facebook/Alberto Zangrillo

Sein Kollege aus Genua, der bekannte Virologe Matteo Bassetti, pflichtet ihm bei. Auch Matteo Bassetti, der an der Universität von Genua das Fachgebiet der Infektiologie lehrt und als aufmerksamer Beobachter der italienischen Covid-19-Lage gilt, hält die gängige Teststrategie der Regierung nicht für sinnvoll.

„Wenn wir diese Regeln beibehalten, kommen auf jede Person, die positiv getestet wird, 50 Personen, die zu Hause bleiben müssen. Wegen der weiten Verbreitung des Virus hat die Nachverfolgung jetzt keinen Sinn mehr. Wir müssen damit aufhören, einem positiv Getesteten das Gefühl zu geben, er käme gerade aus dem Atomreaktor von Tschernobyl, denn das ist nicht der Fall. Wenn wir mit dieser Strategie fortfahren, riskieren wir, dass Italien in einem Monat zum Stillstand kommt. Wenn wir so weitermachen und alle testen – auch diejenigen, die keine Symptome zeigen oder vielleicht nur erkältet sind – was könnte dann passieren, wenn sich vielleicht 1,5 Millionen Menschen infizieren? Das würde bedeuten, dass zehn Millionen Menschen unter Quarantäne gestellt werden müssten. Wir riskieren ein stillstehendes Land“, echauffiert sich der Virologe aus Genua.

Instagram/Matteo Bassetti

„Wir sehen, dass die Sterblichkeitsrate zurückgeht und dass die Impfstoffe wirken. Ich möchte daher nicht, dass immer dieselben Leute Panik verbreiten. Ich würde mir vielmehr wünschen, dass mehr Menschen ihre Vorbehalte aufgeben, mehr an ihr Land denken und sich impfen lassen“, meint Matteo Bassetti.

Facebook/Matteo Bassetti

Die Ansichten des Mailänders und des Genuesen finden immer mehr Zustimmung. Die hohen Infektionszahlen – meinen viele Experten – sollen nicht den Blick darauf verstellen, dass verglichen mit dem vergangenen Jahr der Druck auf die Krankenhäuser weit geringer ist, Italien nicht in den Lockdown musste und die Italiener „fast normale“ Weihnachtsfesttage genießen konnten. Die Impfung – so diese Stimmen – bleibt weiterhin der wichtigste Baustein im Kampf gegen das Virus.