50 Jahre nach dem Wunder von Malpensa

Als Pavarotti zu Weihnachten beinah sein Leben verlor

Sonntag, 21. Dezember 2025 | 08:14 Uhr

Von: idr

Mailand – Vor fast genau 50 Jahren, am Morgen des 22. Dezember 1975, herrschte am Flughafen Malpensa dichter Nebel. Die Sichtweite betrug gerade einmal 150 Meter. Alle anderen Piloten hatten an diesem Tag auf eine Landung verzichtet und ihre Maschinen nach Genua oder Turin umgeleitet. Nur einer nicht: Charles Watkins, ein texanischer Veteran am Steuer der Boeing 707 von TWA-Flug 842 aus New York.

An Bord befanden sich 125 Menschen, darunter zahlreiche Italiener und Italo-Amerikaner, die zu Weihnachten nach Hause zu ihren Familien wollten. Einer von ihnen: Star-Tenor Luciano Pavarotti, der gerade von einer Tournee an der Metropolitan Opera zurückkehrte, wo er zwei Jahre zuvor Geschichte geschrieben hatte.

Dramatischer Crash im Nebel

Der Tower riet dringend von einer Landung ab. Watkins versuchte es trotzdem – einmal und auch ein zweites Mal. Beim dritten Anlauf verlor er im Nebel völlig die Orientierung. Um 11.29 Uhr schlug die Maschine mit 400 Kilometern pro Stunde diagonal neben der Landebahn auf. Die Boeing überschlug sich, rutschte über die Wiesen und brach auseinander. Der vordere Teil des Rumpfes trennte sich vom Rest. Durch das Loch in der Flugzeughülle waren die Passagiere zu sehen – schreiend, weinend, manche völlig verstummt vor Schock.

Das Weihnachtswunder von Malpensa: Als Pavarotti dem Tod entkam
Roberto Mocchetti

Fünfzehn Minuten dauerte es, bis die Rettungskräfte im Nebel die Wrackteile fanden. Was sie vorfanden, glich einem Wunder: Alle 125 Menschen an Bord lebten. 26 von ihnen wurden verletzt ins Krankenhaus von Gallarate gebracht, doch niemand war tot.

Pavarotti blickte dem Tod ins Auge

Pavarotti erinnerte sich später: „Ich verließ die Vereinigten Staaten, um Weihnachten zu Hause zu verbringen. Der Flug über den Atlantik war perfekt. Dann begann das Problem bei Mailand. Ein dichter Nebel hinderte uns am Landen. Wir schwebten in Lebensgefahr. Noch einmal sah ich den Tod vor Augen. Ich schwor, falls ich überlebe, würde ich das Te Deum im Dom von Modena singen, zusammen mit meinem Vater“, so der Tenor.

Das Weihnachtswunder von Malpensa: Als Pavarotti dem Tod entkam
Roberto Mocchetti

Die Untersuchungskommissionen kamen einstimmig zum Ergebnis: Pilotenfehler. Watkins hatte gegen alle Warnungen gehandelt, das Radar ignoriert und ausschließlich auf seine Erfahrung vertraut. Die Fluggesellschaft entließ ihn. Als die Rettungskräfte ihn aus dem Wrack holten, soll er auf die Frage, ob er der Kapitän des Flugzeugs sei, gesagt haben: „Ehemaliger Kapitän, bitte.“

Hörschaden gegen Lebensfreude

Doch für Pavarotti war die Geschichte damit nicht vorbei. Der Tenor klagte auf Schadensersatz – er behauptete, durch den Aufprall einen dauerhaften Hörschaden erlitten zu haben. Für einen Sänger seiner Klasse eine existenzielle Bedrohung. Er forderte eine Milliarde Lire, TWA bot vier Millionen.

Vor Gericht entwickelte sich ein bizarrer Schlagabtausch. Während Pavarotti sich in die Herzen der Menschen sang, setzte die Verteidigung zum Gegenschlag an und präsentierte eine angebliche Erklärung Pavarottis, in der er gestanden haben soll, in tiefer Depression an Bord gegangen zu sein, seines Lebens müde, mit Selbstmordgedanken. Der Absturz habe ihm die Lebensfreude zurückgegeben.

Einen Monat später einigte man sich außergerichtlich. Die Höhe der Abfindung blieb geheim. Leone Magiera, langjähriger Freund und Pianist des Tenors, gab später einen Hinweis: „Sie zahlten ihm sein Gewicht in Gold.“

Ein schmaler Grat hin zur Katastrophe

Was bleibt, ist eine Geschichte über die hauchdünne Grenze zwischen Katastrophe und Wunder. Der weiche Untergrund bremste das Flugzeug ab, die geringe Reibung verhinderte einen Brand. Wäre nur eine Bedingung anders gewesen, hätte niemand überlebt. Und Pavarotti? Der entwickelte eine lebenslange Phobie. Drei Dinge durfte man in seiner Gegenwart nie tun: Salz verschütten, unter einer Treppe durchgehen – und das Wort „Flugzeug“ erwähnen.

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