ISPRA befürwortet Abschuss weiterer Tiere

Darum gibt es „Problembären“ – der Mensch ist Schuld

Donnerstag, 20. April 2023 | 07:22 Uhr

Trient – Nachdem ein Jogger in Norditalien von einer Bärin getötet worden ist, spitzt sich in Italien die Debatte um das Zusammenleben von Bär und Mensch weiter zu. Das Tier, bei dem es sich um die Schwester vom 2006 in Bayern erschossenen „Problembären“ Bruno handelt, ist offenbar nicht das einzige auffällige Exemplar ihrer Familie. Für das aggressive Verhalten und die verlorene Scheu der Bären darf sich der Mensch wohl selbst auf die Schulter klopfen. Er könnte nämlich der Grund dafür sein.

Am 5. April wurde Andrea Papi tot an einem Forstweg in der Trentiner Gemeinde Caldes im Val di Sole gefunden. Wie Genanalysen bestätigten, wurde der Bergläufer von JJ4 angefallen und tödlich verwundet. Der Trientner Landeshauptmann Maurizio Fugatti hat darauf entschieden, dass die Bärin gesucht und abgeschossen wird.

Nachdem das Verwaltungsgericht die Anordnung aufgrund eines Rekurses von Tierschützern vorerst auf Eis gelegt hatte, wurde die Bärin eingefangen und in das mit Strom gesicherte Gehege des Tierpflegezentrums Casteller oberhalb von Trient gebracht. Wie Umweltminister Gilberto Pichetto erklärte, hat das Höhere Institut für Umweltschutz und Forschung ISPRA mittlerweile im Rahmen eines Gutachtens grünes Licht dafür gegeben, das Tier zu erlegen. Die Bärin könnte somit eingeschläfert werden.

Bereits 2020 sollte das Bärenweibchen erlegt werden. JJ4 hatte damals zwei Menschen, einen Vater und seinen Sohn, auf dem Monte Peller angegriffen. Der daraufhin erteilte Befehl des Einsperrens wurde allerdings auch damals zur Freude der Tierschützer vom Verwaltungsgericht gestoppt. Die Bärin habe ihre Kleinen schützen wollen, hieß es.

Bärenfamilie ohne Scheu

Jetzt stellt sich heraus, dass es sich um eine ganze „Problemfamilie“ handelt, die mehrere Länder vor Herausforderungen gestellt hat und immer noch stellt, berichtet die Online-Ausgabe der FAZ. Bruno (oder JJ1) und JJ4 hatten auch einen Bruder. Nachdem er seine Nahrung immer öfter in menschlichen Siedlungen gesucht hatte, wurde JJ3 im Jahr 2008 im schweizerischen Graubünden erlegt. Verschiedene abschreckende Maßnahmen wie der Beschuss mit Gummischrot, Warnschüsse und -laute oder die Hatz mit Hunden, um ihn fernzuhalten, hatten nichts mehr genutzt. JJ2, ein weiterer Bruder aus der Familie, gilt seit mehreren Jahren als verschwunden. Gerüchten aus Südtirol zufolge wurde er gewildert.

Die Eltern sind slowenische Braunbären namens Jurka, ein 1997 geborenes Weibchen, und Joze. Jurkas Leben in freier Wildbahn endete 2007, weil auch sie ihre natürliche Scheu vor Menschen verloren hatte. Danach sperrte man sie im Graben eines italienischen Franziskanerklosters ein. 2010 wurde sie in den alternativen Wolf- und Bärenpark Schwarzwald in Bad Rippoldsau-Schapbach übersiedelt, wo sie heute noch lebt.

Christopher Schmidt, Sprecher der für den Bärenpark zuständigen Stiftung, kann das aggressive Verhalten der Tiere erklären. „Sie wurden alle in jungen Jahren von Menschen angefüttert. Ein normaler Bär hält sich auf Distanz. Dies ist dann nicht mehr der Fall“, betont Schmidt gegenüber der FAZ. Auch im Trentino seien Bären von Hoteliers gefüttert worden, um sie als Attraktionen für Touristen anzulocken. Das Forstministerium in Rom habe davor gewarnt.

Im Rahmen des EU-Projekts „Life Ursus“ waren die Eltern der „Problemfamilie“ zwischen 2000 und 2001 von Slowenien ins Trentino gebracht worden, wo dann die Geschwister zur Welt kamen. Im Erwachsenenalter wanderte der Nachwuchs zum Teil aus, etwa nach Deutschland und in die Schweiz.

Bärenanzahl soll gesenkt werden

Jetzt wollen die Verantwortlichen in Trentino mit Landeshauptmann Maurizio Fugatti durch Umsiedlung die Zahl der Bären stark senken. Man ist der Ansicht, dass sich zu viele der Großraubtiere auf einer vergleichsweise kleinen Fläche aufhalten. Offiziellen Daten zufolge hat die Anzahl der Bären in dem Gebiet seit Beginn des EU-Projekts “Life Ursus” massiv zugenommen. Statt wie geplant 50 haben sich in dem Gebiet etwa 100 wild lebende Tiere angesiedelt.

50 bis 70 Tiere sollen in Ländern wie Slowenien, Ungarn, Rumänien, Polen und in Skandinavien eine neue Heimat bekommen. Wie Fugatti erklärt, wolle man die Aufnahmebereitschaft ausloten.

Weitere Abschüsse

Gleichzeitig sollen drei als problematisch bekannte Bären in Trentino abgeschossen werden. Neben JJ4 gab die staatliche Umweltbehörde ISPRA für das auffällig gewordene Tier „MJ5“ die Abschussgenehmigung. Ein Wanderer, der am 5. März mit seinem Hund unterwegs war, wurde vom Tier bei einer Attacke an Arm und Kopf verletzt. Fugatti hat den Abschussbefehl bereits unterzeichnet.

Nach dem Tod von Andrea Papi macht die örtliche Bevölkerung im Val di Sole unterdessen Tierschützern und Politikern Vorwürfe, ihr Sicherheitsbedürfnis nicht ernst zu nehmen. Der ehemalige Umweltminister Sergio Costa, der 2020 JJ4 in Schutz genommen hatte, kritisierte dagegen die Landesverwaltung, weil sie einen umfassenden Plan zur Koexistenz von Bär und Mensch abgelehnt habe. Demnach gebe es etwa nicht genug elektronische Halsbänder zur Überwachung der Tiere, mit denen man Wanderer nahezu in Echtzeit vor der Anwesenheit von Bären warnen könne.

Von: mk