Neonatologie in Bozen - Jetzt redet eine Mutter

“Der erste Blick brach mir das Herz”

Mittwoch, 20. August 2025 | 07:06 Uhr

Von: mk

Bozen – Der Tod zweier Frühgeborener in der Neugeborenenintensivstation am Bozner Krankenhaus hat in ganz Südtirol tiefe Betroffenheit ausgelöst. Beide Babys waren zu früh auf die Welt gekommen und mit dem Bakterium Serratia marcescens infiziert, das nun auch am Spülmittel nachgewiesen werden konnte, das in den Küchen verwendet wurde. Vier weitere Frühgeborene sind ebenfalls infiziert. Nach kritischen Medienberichten meldet sich nun eine Anna Schanung zu Wort – eine Mutter, die selbst Erfahrung mit Frühgeborenen auf der Station in Bozen hat. Wörtlich schreibt sie in einem Bericht:

Jedem ist bewusst, der Verlust eines Kindes ist für Eltern und Angehörige kaum zu ertragen. So auch die beiden tragischen Todesfälle zweier Frühgeborener in der Neonatologie Bozen. Doch, so schmerzlich es ist, ist der Tod ein Teil der Realität dieser Station.

Niemanden wünsche ich Erfahrungen in dieser Station zu sammeln, doch ist es schwer zu urteilen, wenn man sie nicht kennt. Unser Sohn Heinrich, geboren am 11.08. in der 35. Woche liegt in diesem Moment in der Neonatologie.

privat – Anna Schanung und Heinrich

Im Jahr 2022 kam unser Ludwig in der 26. Schwangerschaftswoche durch meine schwere Blutvergiftung tot zur Welt. Die Neonatologen reanimierten ihn ganze 30 Minuten, obwohl man gewöhnlich schon früher aufhört, gaben sie ihm fünf Adrenalinspritzen, es half nichts. Sein Herz schlug erst, als man seinen Vater zum Verabschieden rief und dieser unter Tränen seinen Namen sagte. Es war ein Wunder. Dieser Start wurde der Beginn eines viermonatigen Kampfes um sein Überleben.

Keiner befasst sich gerne mit dem Thema Frühgeburt, wenn er nicht muss. Die Bilder von winzigen Babys, welche von Kopf bis Fuß voller Zugänge und Schläuche mutterlos in einem Inkubator liegen, sind bereits eine Zumutung. Klein, wie federlose Vögelchen liegen sie da. Der erste Blick auf unseren Ludwig brach mir das Herz.

Von Beginn an klärten uns die Ärzte ohne Schönreden auf: “Ihr Sohn wird es vermutlich nicht schaffen. Wir müssen uns fünf Tage gedulden, die Sepsis ist zu schwer, seine Lungen funktionieren nicht. Jeder Zugang, den er hat, ist eine potenzielle Eintrittsstelle für weitere Infektionen.” Wir fragten verzweifelt, was wir tun können. “Nichts, außer an ihn glauben. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass in solchen Fällen nur der Glaube helfen kann.”

privat – Anna Schanung mit Ludwig

Diese Aussage, wenn medizinisch alles dagegen spricht, ist ein herber Schlag. Tagtäglich konnten wir mit ansehen, wie Schwestern und Ärzte in der Intensivstation um unseren Ludwig standen, stundenlang alles gaben. Wie die Pflegekräfte mit liebevoller Stimme zu diesem kleinen, unwirklichen Wesen sprachen, ihn mit Liebe umsorgten. Sie wurden alle nicht müde, unsere Fragen zu beantworten und uns zu trösten, täglich meine Tränen zu trocknen. Sie nahmen uns und unser Leid sehr ernst. Dort, auf dieser Station, gibt es keine Hierarchie, nur feste Zusammenarbeit.

Ludwig erlitt zwei weitere Blutvergiftungen, da er lange intubiert war, in Bauch, Kopf und den Gliedmaßen Zugänge trug, eine Magensonde, Opiate, Koffein, Antibiotika, Kortison und mehr bekam. Egal wie bemüht alle waren und sind, es gibt keinen keimfreien Ort. Und wenn ein Kind derartig geschwächt ist, hat selbst ein Wald- und Wiesenkeim, wie jener kürzlich, die Möglichkeit dem Kind das Leben zu nehmen. Bei dem kleinsten Verdacht werden Kinder isoliert, die Hände vor jeder Berührung desinfiziert, Handschuhe, OP-Kittel und das mehrmals tägliche Reinigen der Inkubatoren ist Standard.

Die Ärzte der TIN Bozen handeln schnell, sehen die Anzeichen sofort. Aber es liegt letztendlich in Gottes Hand, ob die Behandlung anschlägt. Während unserer Zeit damals, wir lebten fast auf der Neonatologie, starben vor unseren Augen zwei Kinder nacheinander. Ich sah den Schmerz der Station, die Kleinen dort sind keine “Nummern”. Jeder Tod trifft schwer und in den Augen sah ich bei Ärzten und Pflegekräften Tränen.

Unser Ludwig hat mehrere weitere Diagnosen wie durch ein Wunder überstanden und ist heute ein vollkommen gesunder Dreijähriger. Ich muss betonen, welchen unermesslichen Schaden eine solche Darstellung in den Medien verursacht. Die Verachtung oder das Mitleid gegenüber dem Personal der Neonatologie, dem sie sich stellen müssen, ist grausam. Die Mitarbeiter verrichten unermüdlich die liebevollste und zugleich fragilste Arbeit.

Die Angst und das Misstrauen, die in den Herzen der Eltern gesät wird, obschon diese einzig Hoffnung und Vertrauen brauchen, ist mehr als gedankenlos.

Unsere Dankbarkeit wird nie enden, jeden einzelnen Tag erinnere ich mich, dass das Leben nicht selbstverständlich ist und denke an die TIN, den einzigen Ort, dem ich ein schwaches Kind anvertrauen würde. Ich hoffe bald mit meinem vierten und letzten Kind Heim zu dürfen. Doch bis dahin ist er in den besten Händen.

“Ich versichere, dass hygienische Maßnahmen überaus ernst genommen werden auf der Station. Vor allem italienische Nachrichten Portale haben dieses Thema absolut falsch und überdramatisiert dargestellt, was zu abscheulichen Kommentaren führte”, erklärt Anna Schanung gegenüber Südtirol News.

Eine Frau schrieb, sie habe “Erfahrungen” gesammelt und wisse, dass die Flaschen mit der Nahrung “nur mit Spülmittel gewaschen werden”. Laut Schanung zeigt dies überaus deutlich, dass sich die Frau nur kurze Zeit auf der Station aufhielt und nicht nachfragte.

Die Flaschen werden in der Tat mit Spülmittel gewaschen, die jener Kinder mit Infekten in einem Basin mit einer desinfizierenden Emulsion für Stunden eingelegt. Danach kommen alle Utensilien in eine Maschine und werden in 100 Grad heißen Wasserdampf gereinigt. “Wenn man jedoch nicht nachfragt, sieht man lediglich das Bad und das Waschbecken mit dem Spülmittel”, so Schanung.

Bezirk: Bozen

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