Matteo Messina Denaros dunkle Andeutungen – VIDEO

“Das einflussreiche und vermögende Palermo zittert”

Montag, 20. März 2023 | 08:05 Uhr

Campobello di Mazara/Palermo – Während eines Gesprächs tätigte der „letzte Pate“, Matteo Messina Denaro, gegenüber einer Ärztin, die ihn visitierte, dunkle Andeutungen.

Einflussreiche und vermögende Kreise in Palermo, mit denen Cosa Nostra zu beiderseitigem Vorteil jahrelang zusammengearbeitet hätte und die seine Flucht jahrzehntelang gedeckt hätten, sollen sich seiner durch „Verrat“ entledigt haben. Heute – so der „letzte Pate“, der seit seiner Verhaftung in einem Hochsicherheitsgefängnis sitzt – hätten diese Personen große Angst und seien abgetaucht. Gründe für dieses Schweigen und Abtauchen seien nicht nur eine mögliche Rache des Paten und seiner Familie, sondern insbesondere die Ermittlungen der Mafiajäger, die sein gesamtes Unterstützernetzwerk aufdecken.

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Die Ermittler nehmen diese Aussagen, die von Matteo Messina Denaro zwölf Tage nach seiner Verhaftung getätigt wurden, sehr ernst. Auffällig ist, dass der Capo di tutti i capi diese Worte nach einer Stellungnahme des zuständigen Staatsanwalts von Palermo, Maurizio De Lucia, sprach.

„Der Cosa Nostra ist es gelungen, in die vermögenden und einflussreichen Kreise einzudringen, in denen Geschäfte, Finanztransaktionen und Verträge besprochen werden und in denen die öffentliche Politik beschlossen wird. Mit ihren Gesprächspartnern hat die Mafia auf Augenhöhe gesprochen. Die Cosa Nostra hat schon immer sehr enge Beziehungen zu einem Teil der Gesellschaft gepflegt und Messina Denaro hat immer eine sehr breite Unterstützung genossen, nicht nur in der Bourgeoisie“, so Maurizio De Lucia.

Ospitavano Messina Denaro a pranzo e a cena, coppia arrestata a Campobello di MazaraArrestati per favoreggiamento due coniugi di Campobello di Mazara. Per anni hanno ospitato regolarmente Matteo Messina Denaro a pranzo e a cena. L'inviato Jari Pilati per il Tg3 delle 14:20 del 16 marzo 2023

Posted by Tg3 on Thursday, March 16, 2023

Einige Namen dieser Kreise, wie der ehemalige Präsident der Region Salvatore Cuffaro und der langjährige Chirurg im Krankenhaus von Palermo, Giuseppe Guttadauro, sind den Ermittlern bereits bekannt. Sowohl Cuffaro als auch Giuseppe Guttadauro, der unter anderem auch der Bruder des Schwagers von Matteo Messina Denaro ist, wurden jeweils wegen Beihilfe und Zugehörigkeit zur Mafia zu langjährigen Haftstrafen verurteilt.

Experten interpretieren die dunklen Andeutungen des Bosses in dem Sinne, dass sie nicht nur Angst vor seiner möglichen Rache, sondern vor allem vor den immer weiter ausgreifenden Ermittlungen der Mafiajäger hätten.

ANSA/CARABINIERI

Diese Angst, so Mafiaexperten, sei nicht ganz unbegründet. Nach dem „vertraulichen Ehrenmann“ Andrea Bonafede, der seine gesamte Identität seinem Boss Matteo Messina Denaro „geliehen“ hatte, und Giovanni Luppino, der für den Capo viele Fahrdienste übernommen hatte, klickten vor zwei Wochen auch für seine Schwester Rosalia die Handschellen. Den Ermittlern zufolge soll Rosalia Messina Denaro ihrem Bruder jahrzehntelang dabei geholfen haben, sich einer Festnahme zu entziehen. Zudem soll sie die Konten des Clans geführt und sich um die Verteilung sogenannter „Pizzini“ – verschlüsselten Botschaften auf einem kleinen Stück Papier, mit denen Mafiabosse ihren Verwandten und Untergebenen Mitteilungen zukommen lassen – gekümmert haben.

Letze Woche wurden auch der 50-jährige Emanuele Bonafede und seine Frau, die 48-jährige Lorena Ninfa Lanceri, wegen Beihilfe zur Cosa Nostra verhaftet. Den Ermittlern zufolge sei der „letzte Pate“ von Emanuele Bonafede, dem Bruder des bereits verhafteten Andrea, und Lorena Ninfa Lanceri tage- und wochenlang in ihrem Haus in Campobello di Mazara beherbergt und immer wieder zum Mittag- und Abendessen eingeladen worden.

Wie Videos einer Überwachungskamera beweisen, konnte der Capo dank der Kontrollen, die die beiden zur Vermeidung gefährlicher Begegnungen mit den Ordnungskräften durchführten, ungestört das Ehepaar besuchen und das Haus wieder verlassen. Neben Ermittlungen, die alle Verwandten von Andrea Bonafede unter die Lupe nahmen, und den Videoaufnahmen wurde dem Paar auch zum Verhängnis, dass auf dem Smartphone des Paten ein Foto entdeckt wurde, das ihn in ihrem Wohnzimmer sitzend mit einem Glas Whisky und einer Zigarre zeigt.

Genauso wie Rosalia Messina Denaro wird auch Lorena Ninfa Lanceri vorgeworfen, durch die Übermittlung und Verteilung von „Pizzini“ dem Capo di tutti i capi dabei geholfen zu haben, mit anderen Cosa Nostra-Mitgliedern Kontakt zu halten.

Durch die „Pizzini“ fanden die Ermittler auch heraus, dass die Beziehung zwischen Lorena Ninfa Lanceri und Matteo Messina Denaro mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit weit über seine Flucht- und Cosa Nostra-Notwendigkeiten hinausging. In einem von den Ermittlern sichergestellten „Liebes-Pizzino“ gestand „Diletta“, so nannte sich Lorena Ninfa Lanceri in den „Pizzini“, dem Boss ihre ganze Zuneigung.

„Das Beste in meinem Leben war die Begegnung mit dir. Es ist, als hätte das Schicksal beschlossen, alles wieder gutzumachen, indem es mir ein großes Geschenk macht. Dieses Geschenk bist du. Neben dir verblassen alle anderen Männer“, schrieb „Diletta“ Matteo Messina Denaro.

Seine Schwäche für die Frauen – Matteo Messina Denaro galt unter seinesgleichen als „Fimminaro“ – war aber auch einer seiner großen Fehler. Der ehemalige Inspektor der Direzione Investigativa Antimafia DIA und Mitarbeiter von Falcone und Borsellino, Pippo Giordano, glaubt unter anderem nicht, dass Matteo Messina Denaro der letzte Capo di tutti i capi war. „Er war weder der Erbe von Riina noch der Kopf der Cosa Nostra. Er konnte die Führung nicht übernehmen, weil die Palermitaner der Cosa Nostra absolut nicht wollten, dass jemand ‚von außen‘ das Ruder übernimmt. Nach dem, was mir Pentiti, Abtrünnige der Mafia, gesagt haben, konnte er nicht der neue Capo werden“, meint Pippo Giordano.

Facebook/Quarto Grado

Ungewöhnlich sei, so Pippo Giordano, dass Matteo Messina Denaro sehr viel Hilfe von Personen erhielt, die zu seinem Verwandten- und Freundeskreis gehörten. „Die Beteiligung von Familienmitgliedern an seiner Flucht vor der Justiz war ein großer Fehler von Messina Denaro. Ich habe viele Telefongespräche abgehört, aber ich habe noch nie entdeckt, dass die Frauen der Bosse so eifrig in ihre Geschäftsangelegenheiten verwickelt waren. Es wäre klüger gewesen, wenn er von seiner Familie im mafiösen Sinne des Wortes unterstützt worden wäre. Die Verhaftungen von Emanuele Bonafede und Lorena Lanceri geben weiteren Anlass zum Nachdenken. In der Cosa Nostra ist es verboten, Beziehungen zu verheirateten Frauen zu unterhalten. Das ist zwar nicht schriftlich festgelegt, aber es ist bekannt“, erklärt der ehemalige Inspektor der DIA.

Durch diese Fehler, so Pippo Giordano, hätten die Mafiajäger viele zusätzliche Möglichkeiten bekommen, auf das Versteck von Matteo Messina Denaro aufmerksam zu werden. In der Tat hatten die Ermittler erst durch mitgeschnittene Telefongespräche von der schweren Krankheit des Capo erfahren. Dass der „letzte Pate“ für die Behandlung ausgerechnet die Identität des Neffen seines alten Unterstützers Angelo, Andrea Bonafede, nutzte, war für einen Mafioso ebenfalls sehr leichtsinnig.

Auf der anderen Seite gelang es MMD, wie Matteo Messina Denaro in den italienischen Medien genannt wird, nicht nur sich 30 Jahre lang seiner Festnahme zu entziehen, sondern auch seinen Geschäften nachzugehen und ein fast ungestörtes Privatleben zu führen. Der „letzte Pate der Corleonesi“ weiß viele Cosa Nostra-Geheimnisse und könnte viele Namen nennen. In einigen einflussreichen und vermögenden Kreisen Palermos ist daher das Zittern groß.

Von: ka